vonErnst Volland 19.02.2014

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Im Eise leben. Volltrunkenheit.
Drei Männer haben eine syrische Familie krankenhausreif geschlagen, Frauen und Männer. Das Alter der Täter betrug 18, 25 und 26 Jahre.
Es war an einem Frühlingstag und die seit 20 Jahren in Eisleben lebende syrische Familie ging wie viele andere auf die Kirmes. Niemand griff ein. Krankenwagen transportierten die Verletzten in die Krankenhäuser, ein syrischer Mann musste mit einem Hubschrauber notoperiert werden.
Nach einem Jahr kommt es zum Prozess. Zeugen widerrufen ihre Aussagen. Die Polizei war nicht am Tatort, erkennungsdienstliche Fakten verschwanden hinter Polizeimauern. Die Justiz lässt es erst nicht zu einem Prozess kommen, doch auf Druck der Öffentlichkeit stehen sich die Angeklagten und die syrische Familie gegenüber. Die Täter stammen aus der rechtsradikalen Szene, tragen neofaschistische Tätowierungen am Körper. Sie zeigen keine Reue, im Gegenteil, verweigern die Aussage und verhöhnen Gericht und Opfer.
Ihr Hauptargument für ihre Entlastung zur Tatzeit tragen die Anwälte der Täter vor: Betrunkenheit. Im Vollrausch kann man sich an nichts mehr erinnern. Auch ein rechtsradikaler Hintergrund sei nicht nachzuweisen.
Diese Informationen gehen mir seit Tagen durch den Kopf. Ich sehe die Fotos der Täter, die ihr Gesicht hinter Aktendeckel verstecken.
Gestern habe ich das Buch von Gunter Haug – Dieses eine Leben, gelesen. Es ist die Rekonstruktion eines Lebens und einer Zeit, die wir nationalsozialistisch nennen. Im Mittelpunkt steht der unter merkwürdigen Umständen getötete August Voll, der am 8.7. 1942 einen Heldentod stirbt. So jedenfalls steht es auf dem Ehrenmal des Friedhofes Kirchardt im Landkreis Heilbronn.
Motiviert durch die Enkelin von August Voll, Karin, mit der Gunter Haug verheiratet ist, beginnt er sechzig Jahre später seine Recherche. August Voll war ein sozialdemokratischer Handwerker, der sich offen gegen Hitler stellte. 1942 stirbt Voll, angeblich durch Selbstmord im Wehrmachtslazarett Winnenden.
Doch es war kein Selbstmord. Haug versucht die wahren Gründe für den Tod herauszufinden und stößt auf eine Mauer des Schweigens. Diejenigen, die gegen Voll eingestellt waren und die, die an seinem Tod Schuld waren, machten nach 1945 Karriere. Insofern ist es eine ganz normale bundesrepublikanische Geschichte. Haug:
„Genauso wenig wie bei der nachträglichen Schönung dieser ominösen „Gasthausschlägerei“ im Jahr 1938. Es ist geradezu atemberaubend,in den Unterlagen des Dorfarchivs mitverfolgen zu müssen, wie es den Hauptbeteiligten der damaligen Vorgänge im weiteren Verlauf der Wirtschaftswunderjahre gelungen ist, die Sache herunter zu spielen. Wie alles, was tatsächlich geschehen war, plötzlich als „nicht politisch, sondern nur im Vollrausch entstanden“ abgetan wurde.
Eine Formulierung, durch die sämtliche der ehemaligen Parteigenossen und damaligen Mittäter auf einmal wieder reingewaschen waren.“
August Voll wurde in der Gastwirtschaft halbtot geprügelt, weil der den Gruß „Heil Hitler“ nicht mit Heil Hitler beantworten wollte.
Die syrische Familie wurde halbtot geschlagen, weil sie Ausländer waren.

Haug- Dieses eine Leben

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https://blogs.taz.de/vollandsblog/2014/02/19/vollrausch/

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kommentare

  • Es gibt viele dieser widerwärtigen Geschichten und alle besitzen den selben faden Beigeschmack, der immer dann entsteht, wenn Täter aus der rechtsradikalen Szene stammen. Warum ist das so? Vielleicht deshalb, weil der Beobachter eines solchen Falles unbedingt eine angemessene Bestrafung erwartet. Nur kann man eben keinen Unterschied zwischen betrunkenen Neonazis machen, die eine Migrantenfamilie verprügeln und einem betrunkenen Autofahrer, der in ein entgegenkommendes Auto rast und eine deutsche Kleinfamilie tötet. Unser Rechtssystem betraft die Tat, nicht die Motivation. Man kann sich nun fragen ob man mit einem solchen Rechtssystem einverstanden ist oder nicht.

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