vonErnst Volland 05.09.2014

Vollands Blog

Normalerweise zeichnet, schneidet, klebt Ernst Volland, oder macht Bücher. Hier erzählt er Geschichten.

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Am Dorfeingang liegt das Cafe Central. Eigentlich wollten wir Lebensmittel im Laden des Cafes kaufen, doch nur die Cafetür ist geöffnet. Es ist Mittagszeit und sehr heiß. Im Cafe treffen wir auf zwei Maurer, beide ihr ockerfarbenes Arbeitsbasecap mit dem Schirm in den Nacken geschoben, sitzen sie am Tresen und blicken ohne uns zu beachten auf den über der Tür hängenden Fernsehschirm. Manchmal sehen wir die Arbeiter im Cafe am Abend, wenn wir von der Küste bis ins Dorf gelaufen sind und bei der Wirtin Graziella ein Boxenstop mit zwei Gläschen Wein gönnen und dann weiter in Richtung unseres Hauses marschieren. Graziella ist nicht im Cafe zu sehen, auch sonst kein weiterer Gast. Ich kenne Graziella schon lange, so lange, wie ich diesen Ort besuche. Sie wohnt über dem Cafe, ihr Mann ist im letzten Jahr mit 50 Jahren plötzlich an einem Herzinfarkt gestorben. So steht sie täglich allein hinter dem Tresen und bedient die wenigen Gäste.
Wir gehen in der Mitte des einfach eingerichteten Cafes durch eine offene Tür in den Laden. Der Vater von Graziella sitzt im abgedunkelten Raum an der Kasse. Neben ihm, auf der silbermetallenen kurzen Ablage für die gerade eingekauften Waren steht ein Teller mit Stockfisch (Bacaljau) und hellen großen Kartoffeln. Sein Oberkörper ist im Moment unseres Eintretens über den Teller gebeugt. Er hält inne, da er uns bemerkt. Wegen eines Augenleidens kann er uns nicht erkennen. Seine streichholzlangen, weissen Haare stehen kreuz und quer auf dem Kopf. Er richtet sich auf und beantwortet unseren Gruß „Bon tarde“ mit einem Murmeln.
Wir gehen zum Obststand. Ich reiße einen Plastikbeutel von einer Rolle und fülle sie mit vier Pfirsichen. Obst gibt es Ende August an vielen Stellen, auch auf der Straße und auf Parkplätzen hier in der Gegend an der Küste von Portugal, doch die Pfirsiche im Cafe Central sind immer schon reif, so dass ich den ersten bereits nach dem Kauf vor der Tür aus der Tüte heraushole und hinein beiße. Wir kaufen noch blaue und grüne Weintrauben. Der schlanke, kleine Herr ist aufgestanden und wiegt die drei Tüten auf einer Waage ab, die neben einer Vitrine steht, in der eine schmale Auswahl Käse und Wurstsorten liegen.
Der Laden geht schon lange nicht mehr gut, seit vor Jahren ein zweites, modernes Cafe im Ort aufgemacht hat, nur zwanzig Meter weiter, ebenfalls mit einem angeschlossenen Lebensmittelladen. Die Dorfbewohner treffen sich im neuen Cafe, es ist der Treffpunkt.
Mir fällt ein, noch ein Pao sinho zu kaufen, ein kleines Brot, nicht größer als ein Brötchen, jedoch rund und von der Konsistenz eher unserem Graubrot ähnlich. Es ist das typische portugiesische Brot. Seit einigen Jahren backen die Bäcker auch helle Brötchen, so wie sie bei uns üblich sind. Ich bevorzuge das typisch portugiesische. Im Brotkorb des Ladens liegt nur noch ein Brötchen, ein helles, das ich nach einem gründlichen Blick in das Gittergestell des Brotkorbes nicht nehme. Der alte Mann, der sich wieder auf den Stuhl vor der Kasse gesetzt hat, steht jetzt neben mir, mit einem typisch portugiesisches Brötchen in der Hand. Das Pao sinho liegt nicht flach auf dem Handteller. Wie einen großen goldenen Taler hält er es zwischen Daumen und Zeigefinger und schmunzelt.
„Queres?“
Das meint: Möchten Sie das haben?
Es ist nicht plötzlich aus einer Ecke des Ladens aufgetaucht, es lag neben seinem Bacalhaou Teller und war das Brot für seinen Stockfisch.
„Das ist doch Ihr Pao sinho, das essen Sie.“
Er dreht das kleine Brot in der Hand.
„Nao. Queres?“
„Ja, gern.“
Vorsichtig legt er das Pao sinho zu den anderen Waren und tippt die Preise, jedes Produkt einige Zentimeter vor seinen Augen anschauend, langsam mit einem Finger in das Zahlentableau der Kasse. Nachdem wir gezahlt haben, lächelt er und geht zum Brotkorb, sein Kopf ist ein wenig geneigt und wackelt unrythmisch, um sich das helle Brötchen zu nehmen. Er setzt sich wieder auf den Stuhl, sagt „Bon tarde“ und beugt sich über den Teller.
Die beiden Maurer im Cafe, immer noch den Blick starr auf den Fernseher gerichtet, erwidern unser „Bon tarde“ mit zwei unverständlichen Worten.
Vor dem Cafe nehme ich einen Pfirsich aus der Tüte. Langsam gehen wir am neuen Cafe vorbei in unser Haus.

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