vonWolfgang Koch 25.01.2007

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Anschliessend an die spektakuläre Reprospektive Martin-Gropius-Bau in Berlin präsentiert der Wiener Aktionsmaler und Schöpfer des Orgien Mysterien Theaters seine Farbenlehre im Niederösterreichischen Landesmuseum (26. Jänner bis 17. Mai 2007).

Das Haus im Kulturbezirk St. Pölten widmet sich unter Direktor Carl AIGNER einem wesentlichen sinnlichen Anliegen des Künstlers: der visuellen Wirkung der Zeichnungen, Grafiken und Schüttmalerein. Das geschieht anhand ausgewählter Werke und Farbobjekte (Farbskalen) sowie spezieller Farblehrtexte, die Nitsch im Lauf seines über vier Jahrzehnte dauernden Schaffens publiziert hat (www.landesmuseum.at).

Zur Einstimmung auf die Schau präsentiert der Wienblog der taz ausgewählte Zitate und Sprüche des Künstlerphilosophen aus Österreich. Ich habe aus dem geheimen Brevier des Hermann Nitsch diesmal den Buchstaben S (wie St. Pölten) ausgewählt. Folgendes hat dieser erklärte Antihumanist und anatomische Realist aus Wien wörtlich gesagt [Hinzufügungen in eckigen Klammern stammen von mir]:

»Ich bin kein Sadist. Ich habe keine Vorliebe für Blut« (1968)

»Ich möchte, dass unser normaler Lebensvollzug geheiligt wird, dass jeder Augenblick einem Sakrament gleichkommt« (2001)

»Es ist merkwürdig, in Wien spielt das geschlachtete, zu schlachtende Tier eine grosse Rolle, im besonderen das Schaf (Lamm), bei Hofmannsthal, Trakl, Kokoschka« (1995)

»Mir geht es um jenes verloren gegangene Schauen, das die zu beschauenden Objekte vollsinnlich wahrnimmt« (1988)

»[Egon] Schiele hat mich zu meinen letzten und äussersten Ausdrucksmöglichkeiten gebracht« (1995)

»Das Erlebnis Schlachthaus erregt und bedrückt mich jedesmal aufs Neue« (1979)

»Oft habe ich grosse Angst, dass eines der Rinder [im Schlachthaus] ausbricht und sich mit seiner furchtbaren Kraft an uns Menschen rächt, unsere hinfälligen Leiber zerstampft und zerschmettert« (1979)

»Ich schaue [bei Schlachtungen] meistens weg. Für mich ist das nicht angenehm« (1998)

»Der sexuelle Schlaf ist der tiefste« (1982)

»Ich habe geglaubt, dass gegen Ende meines Lebens, oder sobald ich meine Arbeit durchgesetzt habe, der Staat vielleicht einmal das Schloss Prinzendorf zur Verfügung stellen würde. Nachdem man mich dreimal eingesperrt hat, habe ich gesehen, dass das ein Holzweg war« (1984)

»Das Schloss soll einer Kultstätte des Grals nicht unähnlich sein« (1998)

»Schloss Prinzendorf hat vergleichsweise wenig gekostet, weniger als eine kleine Garçonniere in München« (1999)

»Ich bejahe den absoluten Daseinsjubel, der sich in den Schmerz treibt« (1962)

»Schmerz und Ästhetik schliessen sich nicht aus« (1968)

»Die Hässlichkeit des Schmerzes hat eine tiefe innere Schönheit« (1984)

»Eigentlich dürfte man ein Kunstresultat nicht als schön bezeichnen, es ist etwas darüber hinaus« (1970)

»Die Schönheit neutralisiert und tilgt die Frage nach der Moral, nach Verantwortung. Mögen sie die tragen, die sich dazu berufen fühlen« (1974)

»Die Kunst versucht aus dem Tragischen Schönheit zu gewinnen und dieses dadurch zu überwinden« (1983)

»Die gesamte Schöpfung ist tragisch angelegt, ist Vollzug einer Tragödie, nach dem Scheitern folgt die Wiederholung« (1974)

»Die Schöpfung hat nie begonnen und wird nie enden« (1995)

»Kein Theater braucht gebaut zu werden – die Schöpfung konstruiert es« (1995)

»Die sich auffressende und gleichzeitig gebärdene Schöpfung ist ihrem Wesen nach tragisch« (1995)

»Der ekstatische Schrei aktiviert unsere gesamte psychophysische Organisation, reinigt erlebnismüde Sinne von Frustration, durchspült das Menschliche mit voll sinnlichem Erleben« (1986)

»Wenn man das Werk nicht schätzt, soll man gar nicht darüber schreiben« (1988)

»Die am wenigsten davon [meiner Kunst] verstehen, werden am meisten darüber schreiben« (1993)

»Alle grossen Rollen meiner frühen Theaterversuche schrieb ich für Klaus Kinski« (1995)

»Ich war ein echt trauriger Schulversager« (1994)

»Ich möchte meinem Leben einen ästhetischen Ausdruck geben, indem ich mich schwarz kleide« (1959)

»Ich sehe Schwarz als Farbe an« (1999)

»Wichtig als Vorstufe für die Aktion ist bei der Schwarzen Messe, dass alle Handlungen wirklich geschahen« (2004)

»Ich habe Schwierigkeiten mit dem christlichen Liebesgebot. Liebe kann und darf kein Gebot sein« (2004)

»Das Sechstagespiel soll als mein Testament der Menschheit übergeben werden« (1999)

»Ich will das Sein nicht mystifizieren, ich will es verabsolutieren« (1995)

»Alles, was je war und je sein wird, ist Sein« (1995)

»Das lebendige Sein wühlt sich in sein eigenes Fleisch, wie das männliche Geschlechtsteil in das herrlich zuckende, feuchte, schleimfeuchte, wolllustaufsaugende Geschlechtsteil der Frau« (1995)

»Das Sein ist für mich kein mystischer Begriff, sondern ein habbarer Begriff, und wenn ich von Seinsmystik spreche, dann meine ich eben, dass ich so intensiv da bin, dass ich zu meinem Sein ein mystisches Verhältnis habe« (2001)

»Angestrebt ist die konsequente Sacralisierung der Kunst und damit eine tiefgehende Existenzvergeistigung, durch welche der Mensch der reine Priester des Seins wird, nicht wie bisher das unappetitlichste Vieh unter den Tieren« (1960)

»Ich sah in der Lust, in der Sexualität, im Geschlechtsverkehr den Sinn des Lebens. Später blieben diese Grundlagen erhalten, aber es breitete sich alles mehr über das gesamte Leben und das kosmische Sein aus. Die besondere Herausstellung des Sexuellen war nicht mehr notwendig« (1995)

»Tod und Sexualität sind Geschwister« (1999)

»Shakespeare war zu sehr Literat« (1963)

»Es ist falsch, dass ein besonderer Sinn wegen des Fehlens der anderen tatsächlich besser ausgebildet wäre. Es gibt kaum einen wesentlichen, von Geburt an blinden Komponisten« (1995)

»Schauen und überhaupt richtiges Verwenden der Sinne heisst Einverleibenwollen der Aussenwelt« (1995)

»Nur ist es in Amerika nicht so wie in Wien, wo im Fall eines Skandales niemand etwas mit der Sache zu tun haben will und sich entzieht. Die Veranstalter und Fachleute traten [1970 in New York] die Flucht nach vorne an, wofür sie einmal eingetreten sind, dafür stehen sie gerade« (1986)

»Als in Österreich das Bundesheer eingeführt worden ist, wollte ich nicht Soldat werden« (1994)

»Der Sozialismus ist nur der ökonomische Verwirklichungsversuch der Botschaft Christi« (1995)

»Wenn uns schon jemand vor einem rechtsradikalen oder einem sehr stark rechtsgefärbtem Kulturklima schützt, dann sind das die Sozialisten. Sonst eigentlich niemand. Denn die Anarchie, der ich nahestehe, gibt es nicht als Fraktion« (1999)

»Die gesamte empfindbare Welt muss sich im Spiel spiegeln« (1962)

»Ich will, dass der Spielteilnehmer sich bei meinen Aktionen selber ereignet« (1989)

»Die jungen Akteure sind die einzigen und wirklichen Sponsoren!« (2004)

»Der Sport ist eine Vorstufe von Kunst, und dort, wo es erst interessant wäre, da steigen die, die sich dem Sport zuwenden, schon aus« (2004)

»Vor einem Urlauberzug, der voll ist mit Skifahrern, graust mir, vor Skiliften graust mir, vor Skihotels graust mir, vor der Überbewertung des Sports graust mir« (2005)

»Bei [Sigmund] Freud musste der Patient mit Unterstützung der Sprache assoziieren, während bei mir der Prozess der Befreiung sprachlos abläuft« (1998)

»Ich bin der Sprecher einer Welt, die in ihrer ganzen Fülle und Abgründigkeit nichts verbergen und verdrängen darf« (1995)

»Im Grunde meines Herzens bin ich ein Anarchist, der aber keine Bomben schmeisst, sondern der glaubt, dass wir – wenn die Menschen reif sind – keinen Staat brauchen und kein Militär« (1998)

»Das Rasen auf den Strassen ist Ausbruch des Bürgers aus seiner Scheingeborgenheit mit Hilfe der Technologie in Richtung Geschwindigkeitsrausch« (1995)

»Es muss möglich sein, so rückhaltlos zu erleben, dass die Konstruktion des Subjekts wackelt, zu bersten droht ob des Andranges der Empfindung, der Registration« (1995)

»Ich bekomme für meine Arbeiten keine öffentlichen Subventionen« (1988)

»Mich stört das Erklärbare der Symbole, das bedeutet dies und das bedeutet das« (1976)

»Viele Symbole – gerade des Katholizismus – sind mir persönlich heilig« (1988)

»Bei jedem echten Symbolismus muss das letztlich unlösbare Geheimnis mitschwingen« (1995)

»Unsere Erlebnismöglichkeit ist von Natur aus synästhetisch« (1983)

© Wolfgang Koch 2007
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