vonWolfgang Koch 24.03.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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[ß = ss] Innerhalb des letzten Jahres hat sich in Österreich die Zahl der Alleinerzieherinnen und Rentner, die nicht mehr in einem Supermarkt einkaufen können, verdoppelt. Das sagt die Leiterin des vom AMS mitfinanzierten Sozialmarktes SOMA in St. Pölten, Christine KRAMPL, und wir haben keinen Grund ihr nicht zu glauben.

Wie reagiert die Politik nun auf die exorbitante Teuerungswelle? Bundeskanzler GUSENBAUER (SPÖ) möchte für Bedürftige einmalig 100,- Euro an Inflationsabgeltung aus der Staatskasse zahlen. Dabei weiss der Mann sehr genau, dass sein Koalitionspartner ÖVP für solche Geldgeschenke seitens der Regierung nicht zu haben ist. Hundert Euro entprechen im übrigen gerade mal dem Wert von zwei Weinabenden im Haus des trinkfesten Sozialdemokraten.

Wie reagiert also die Politik auf die neue Armut im Land? Sie reagiert in Wahrheit gar nicht. Sie reagiert mit einem Scheingeplänkel. Die politische Kultur ist grundsätzlich statisch und formuliert gesetzliche Massnahmen stets erst im Nachhinein. Regierung und Parlament bewegen sich in Österreich nur, wenn der Druck auf sie unausweichlich wird.

Im Fall der verarmenden Bevölkerung könnte dieser Druck heute nur von den Gewerkschaften kommen. Doch Österreichs Gewerkschaften sind Kampforgansiationen zur Verteidigung der Privilegien der Vollzeitarbeitsplatzbesitzer. Bis der skandalgebeutelte ÖGB mal Arbeitlose und Kleinverdiener in den Blick kriegt, können noch Jahrzehnte vergehen.

Braucht Österreich vielleicht ein Linkspartei, wie jetzt Deutschland eine hat? Immerhin ist es der Linkspartei ja gelungen die politischen Verhältnisse beim grossen Nachbarn zum Tanzen zu bringen.

Keine Frage: der LAFONTAINE-Wahlverein von halbgewendeten Kommunisten hat zunächst als DDR-Nostalgieclub das politische Parkett betreten. Doch ebenso ausser Zweifel steht, dass die Wahlerfolge der Linkspartei heute ein Ergebnis der Harz IV-Politik sind, also jener Kürzungen im Sozialbereich, die dafür sorgen, dass auch viele Deutsche beim Einkaufen kein »Shopping-Erlebnis« mehr haben.

Die Linkspartei ist nicht das Gelbe vom Ei. Sozialstaatsmodelle von gestern, Politik einer wachsenden Staatsverschuldung, plumper Antiamerikanismus – ja die Linkspartei weiss nicht einmal zu sagen, ob sie besser als die Sozialdemokratie sein will oder die bessere Sozialdemokratie.

Die deutsche Linkspartei ist weit entfernt von den Positionen der USPD in den Zwischenkriegsjahren. Dennoch macht allein schon ihre Existenz der Trägheit im politischen System ein Ende. Jetzt müssen die Herrn und Damen von den Grünen und der SPD wieder mal raus aus den Wärmestuben und erklären, warum eine existierende Mehrheit links von der Mitte nicht regieren soll.

In Österreich hat es bis vor zwanzig Jahren, bis zum Aufstieg der Grünen, nie einen Platz links von Sozialdemokratie gegeben. Die KPÖ war als politisches Projekt bereits tot, als der legendäre Friedrich ADLER, Sohn Victor Adlers und Stürghk-Attentäter von 1916, den angetragenen Vorsitz ablehnte, um die Einheit der Arbeiterbewegung nicht zu gefährden.

Im Kalten Krieg blieb die KPÖ ein Kreml-Satellit mit Schlagobers. Heute ist sie ein kurioser Veteranenverein und nur in der Stadt Graz von politischer Bedeutung. Ihr Zentralkomitee hat als einziges in ganz Europa keine Konsequenzen aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion gezogen.

Die wenigen noch existenden Parteilokale der KPÖ sind heute mit Deutschkursen für schnauzbärtige kurdische Marxisten ausgelastet. Die einstigen Kader, die sich in der Ära der K-Gruppen mit studentischen Maoisten und Trotzkisten geprügelt haben, fanden an den Universitäten oder in der Diplomatischen Akademie Unterschlupf.

Der heutiger Bundesprecher der KPÖ, der wuschelköpfige Kärntner Slowene Mirko MESSNER kann Hymnen der Titopartisanen im Schlaf singen. Und Österreichs wohl bekannteter politischer Künstler, der Bildhauer Alfred HRDLICKA, schimpft sich seit zwanzig Jahren mit stolzgeschwellter Brust einen »Eurostalinisten«.

Nein, mit diesem Personalangebot kann man nicht einmal den Roten Falken Angst machen. Österreichs pauperisierte Senioren werden weiterhin am Supermarkt vorbeischleichen müssen, und von Saufgelagen in Gusenbauers Weinkeller träumen.

© Wolfgang Koch 2008
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