vonWolfgang Koch 14.06.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Keine Ahnung, warum die SPÖ bei den Europawahlen massiv verloren hat. Der Frontmann Hannes Swoboda kann es schwerlich gewesen sei – schliesslich hat ja die Sozialdemokratie trotz seiner schon sprichwörtlichen Hölzernheit bei früheren Wahlgängen zugelegt. Auch das Phänomen Hans-Peter Martin kann es nicht gewesen sei. Die besseren Argumente gegen die herrschende Unionspolitik hatte EU-Rebell ebenfalls schon bei früheren Wahlgängen vorgetragen…

Ich habe keine keine Ahnung, was bei diesem Wahlgang schiefgelaufen ist! Ich kann nur ein paar kleine organisationssoziologische Beobachtungen zur Analyse beisteuern. Seit Jahren schon springt mir eine Diskrepanz zwischen den politischen Schaltstellen der SPÖ und den nachgeordneten Bewegungsorganen ins Gesicht.

In der Mitte des Taifuns herrscht eine geradezu atemberaubende Arbeitsgeschwindigkeit. Wenn zum Beispiel ein einfaches Wiener Parteimitglied an das Bürgermeisterbüro schreibt, kann es innert von drei Tagen mit einer positiven Antwort rechnen, falls das Anliegen einigermassen realistisch ist. Man mag über die selbstdarstellerischen Qualitäten von Bürgermeister Häupl ätzen und schimpfen, das Team aus Sekretären und Assistentinnen, das er um sich geschart hat, ist in Sachen Arbeitseffizienz unübertrefflich. Anliegen aus dem Parteivolk werden nicht nur kompetenz angepackt, nein, nach einer Woche fragt das Bürgermeisterbüro auch noch einmal telefonisch nach, ob alles zur gewünschten Zufriedenheit erledigt wurde.

Zweites Beispiel. Im Februar wohnte ich einer SP-Veranstaltung für etwa 3.000 Funktionäre in einer Wiener Strassenbahnremise bei. Unter dem medialen Eindruck des US-Wahlkampfes bot dort die neue Geschäftsführerin Laura Rudas einen 45minutigen Live-Akt, der in der politischen Kultur Österreichs seinesgleichen sucht: perfekte Veranstaltungsregie, überdimensionale Videoscreens, auf denen der Bundeskanzler bei seinem Triumphmarsch von der U-Bahn-Station bis auf die Bühne zu sehen war, minutenlanger Kampfapplaus, linkspopulistische Sprüche gegen den Finanzmarkkapitalismus im Stil Lafontaines,… Als dann zum Abschluss auch noch ein zehnjähriges Mädchen das Lied der Arbeit anstimmte, glänzten den PensionistInnen bis in die letzte Reihe die Augen.

Fazit: Die Kern-SPÖ ist unter gewaltigen Geldmitteleinsatz durchaus in der Lage erfolgreich zu mobilisieren. Aber nur ein wenig entfernt von ihren mächtigen Grundmauern sieht die Sache schon ganz anders aus. Ich spreche nicht von der Peripherie der traditionsreichen Arbeiterbewegung, den Bezirksgruppen, den Roten Falken oder den Kleingartenvereinen. Ich wähle zum Kontrast eine Seminarreihe der sozialdemokratischen Wiener Bildung.

Das Thema tut nichts zur Sache. Von Jänner 2009 an fanden im 2. Bezirk drei Vortragsabende und – am Ende – eine Exkursion für Parteimitglieder und Nichtparteimitglieder statt, die ich besucht habe, und deren technisch-organisatorische Bilanz im höchsten Ausmass ungedeckte Kredite und wertlose Schuldverschreibungen unserer führenden Regierungspartei verrraten.

Am ersten Abend gab es einen regelrechten Publikumsansturm: gezählte 55 männliche und weibliche Interessierte aus allen Bevölkerungsgruppen waren zum Einleitungsvortrag erschienen. Es begrüsste ein wirklicher Gemeinderat. Der Abend sollte aus zwei Teilen bestehen und mit einer Power-Point-Präsentation beginnen. Nur leider hatte der erste Vortragende, der sich als IT-Unternehmer vorstellte, kein passendes Kabel zum Anstöpseln seines Laptops dabei, und auch keiner der 55 Gäste hatte an solche Kalamitäten gedacht. Aus seiner Not eine Tugend machend erzählte der Vortragende kurzerhand, was auf den Bildern zu sehen gewesen wäre – so als ob das ohnehin irgendwie cooler wäre.

Den zweiten Teil des Abends bestritt dann ein ausländischer Experte, der seit Jahrzehnten in der Weltstadt Wien lebt. Zu kurz allerdings, wie sich in der anschliessenden Diskussion herausstellen sollte – zwei Jahrzehnte hatten für den Mann nicht ausgereiht, sich in der Stadt Sigmund Freuds mit dem Begriff des Unbewussten vertraut zu machen.

Macht nichts, denkt, man sich. Kann mal passieren! – Am zweiten Vortragsabend, ein Monat später, war nur mehr die Hälfte der Seminarteilnehmer erschienen. Diesmal eröffnete der eingeladende Vortragende mit den Worten, er sei eigentlich nicht in der Lage Vorträge zu halten – und lieferte dann einen anderthalbstündigen Beweis dafür.

Am dritten Abend hatte sich das Publikum der sozialdemokratischen Bildungsversammlung nochmals halbiert. Diesmal erschien eine Dame, die wusste was sie tat und wovon sie sprach. Zunächst aber war der Zugang zum Vortragssal versperrt, man musste eine Weile in einem zugigen Haustor zubringen, bis ein junger Mann mit dem Schlüssel erschien und zur Entschuldigung etwas von einem Verkehrsstau murmelte, in den er aufgrund politischer Demonstrationen geraten war.

Nun gut, wenigstens der Vortrag gelang diesmal. Bis zum Ende jedenfalls. Am Ende der Ausführung sollten alle Anwesenden gemeinsam eine kleine Übung ausführen, um ein besseres Gefühl für den besprochenen Gegenstand zu bekommen. Dabei stellte sich heraus, dass die Vortragende vorsorglich zwei ihrer Hardcore-Anhänger in das geschrumpfte Auditorium geschmuggelt hatte, die die Sache natürlich schon perfekt beherrschten. Statt dass das Thema nun durch die Übung irgendwie anschaulicher wurde, fühlte man sich kräftig überrumpelt, ja manipuliert – von den gerade noch zehn anwesenden Personen sollte zur Abschlussveranstaltung nur mehr eine einzige erscheinen: nämlich ich.

Dass die Exkursion, die die Seminarreihe ursprünglich krönen sollte, überhaupt noch stattfand, hatte einen kuriosen Grund: ein gänzlich neues Publikum. An dem sonnigen Tag erschien eine Schar gutgelaunter, ausflugsfreudige Wiener Senioren, und zwar in einer solchen Menge, dass vom Veranstalter gleich zwei Busse gechartert werden mussten. Man muss sich das so vorstellen: Pärchen im Alter von 60 plus, die Damen in beigen Sommerkleidern, die Herren in Shorts. Man tingelte fröhlich am Häusermeer vorbei und unterhielt sich unterwegs blendend über die gerade absolvierte oder eben bevorstehende Kreuzfahrt…

Dafür kann der Veranstalter natürlich nichts! Sehr wohl aber kann er etwas für die Organisation der Exkusion selbst. Man wollte an diesem Tag zwei thematisch passende Outdoor- und drei Indoor-Objekte besichtigen. Zunächst war es nicht gelungen, die beiden Busse an den Treffpunkt heranzuführen. Die Gruppe musste sich durch Fussgängermassen bis zur nächsten Ausfallsstrasse quälen.

Dann sollte der komptetente Führer die halbe Strecke mit dem ersten Bus fahren, die andere Hälfte mit dem zweiten. Nur leider bog Chauffeur Nr. 2 irgendwo ab, um eine günstigere Strecke zum Ziel als Chauffeur Nr. 1 zu wählen, der Deal mit dem Kommentator am Mikrophon war mit den Buslenkern nicht abgesprochen.

Vor dem ersten Objekt plauderte der nichtlizensierte Guide zwar sachlich kopmpetent, aber so, dass gerade mal die direkt vor ihm Stehenden ein paar Worte verstanden. Die anderen Exkusions-TeilnehmerInnen wiegten vergeblich die Köpfe im Wind. Als nächstes fehlte den Organisatoren die Einfahrterlaubnis für das Gelände, auf dem Objekt 2 der Besichtigung lag; die Herde der Samstagsausflügler trabte plötzlich zwanzig Minuten unerwartet zu Fuss durch die Landschaft.

Als letzte Station der Exkursion war die Besichtigung von drei interessanten Sakralräumen vorgesehen. Leider war einer davon partout in dem Moment, als die Exkusionsteilnehmer erschienen, mit einer geschlossenen Veranstaltung belegt; wieder hatten sich die Organsiatoren schlecht erkundigt.

Nun, was sagt man dazu? – In Wien ist man in solchen Dingen bis zum Erbrechen gnädig. Auch auf die längste Serie von Pleiten und Pannen folgt hier kein Köpferollen. Schliesslich geht es für die handelnden Personen bloss um einen Nebenjob. – Sicher, hätte die organisierte Arbeiterschaft einst mit diesem blamablen Organsiationsgrad für ihre Sache gefochten, hätte sie die Zeiten der Illegalität und der Verfolgung wohl nur schwerlich überlebt.

Aber heute? – Heute wird nach jeder Wahlschlappe in den Zentralen gross »aufgeräumt« und im Speckgürtel nisten weiter die Maden. Dass die miserable Organisation von Bildungsveranstaltungen den ganzen Unernst widerspiegelt, mit dem die Sozialdemokratie heute in ihre Kämpfe zieht, darauf scheint niemand zu kommen.

© Wolfgang Koch 2009
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