vonWolfgang Koch 15.10.2009

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Ältere Menschen lieben Gedenktafeln, und Wiens Hausfassaden sind reich gesegnet mit diesen kleinen Verwandten der Denkmäler. Senioren verfügen über genügend Zeit, die steineren Hinweise auf bedeutende Persönlichkeiten zu studieren. Doch nicht so ein angegrauter Sammlerkopf ist es, sondern ein Doktorant der Literaturwissenschaften, der nun ein Nachschlagwerk zum Thema Wiener Gedenktafeln im Amalthea Verlag vorgelegt hat.

Aus dem Vorwort erfahren wir, dass der Autor, Clemens OTTAWA, ein Enkel des Essayisten und Drehbuchsautors Theodor Ottawa (1909-72) ist, dem man in der Döblinger Hauptstrasse 56 eine Gedenktafel gewidmet hat. Kein schlechtes Motiv für einen jungen Akademiker, sich auf die Spuren weiterer Dichter, Denker und Musiker in der Stadt zu begeben. Nur: wir hören weder etwas über die Quantität noch über die Qualität seiner Auswahl, nichts über die Kriterien nach denen bestimmte Objekte Eingang in das Buch gefunden haben, andere aber nicht.

Warum werden zum Beispiel die Tafeln für die wenig bekannte Kabarettistin Stella KADMON am Franz-Josefs Kai 23 und die Tafel für den kaum übersetzten Schriftsteller Hermann BROCH am Franz-Josefs-Kai 37 aufgelistet, die nur ein paar Schritte weiter, am Haus Nr. 45 angebrachte Gedenktafel für den international beachteten Religionsphilosophen Martin BUBER aber nicht? (Das Thema meines ersten Wienblogs im Oktober 2006). Weil Clemens Ottawa die Buber-Tafel nicht kennt? Weil er, was schlimmer wäre, Buber nicht kennt? Oder weil er lokalen Sternchen vor globaler Prominenz den Vorzug gibt?

Man ahnt es ja, dass meist Verwandte oder Kollegen die Anbringung von Gedenktafeln im öffentlichen Raum betreiben. Trotzdem hätte man bei der Gelegenheit eines solchen Nachschlagwerkes gerne mal Näheres über die behördlichen Bestimmungen für Personengedenktafel erfahren, über magistratische Regularien, über die Ideologie der Erinnerungspolitik und auch über die Arbeit der Steinmetze.

Der Amathea Verlag hat das Buch keinem Verlagslektorat unterzogen, was nun, das die erste Auflage im Druck vorliegt, schulterzuckend eingestanden wird. Der Mangel an Sorgfalt bei der Drucklegung kann einem bei gewöhnlichem Lesefutter auch egal sein, zumal wenn man weiss, wie lächerlich niedrig heute die Masse der Buchautoren für ihre mühselige Arbeit entlohnt wird. Bei einem Nachschlagwerk aber ist der Verzicht auf ein professionelles Lektorat unverzeichlich!

Es gibt zwei Sorten von Fehlern in diesem Lexikon: Satzfehler, meist in der Form unrichtiger Jahreszahlen, wobei man sich mit etwas Mühe ja die richtige zusammenreimen kann. Wirklich katastrophal aber wirken sich falsche Angaben zu den Gedenktafeln aus. Gustav KLIMT etwa wurde laut Ottawa gleich zweimal geboren: in der Westbahnstrasse 36 in der Josefstadt und in der Linzer Strasse 243-247 in Penzing. Nur einmal dürfte das wahr sein, und Ottawa hätte die richtige Adresse mühelos erkennen können, wenn er den Text der auf Seite 245 abgebildete Gedenktafel auch wirklich gelesen hätte.

Etwas Gutes und Brauchbares hat der neue Viennensia-Band aber doch. Die letzten 38 Seiten geben zahlreiche Abbildungen der im Textteil verzeichneten Gedenktafeln wieder. – Ein wahrer Leckerbissen für Freunde der Typografie! Hier kann man in Ruhe die Vor- und Nachteile verschiedener Materialien und Gestaltungsweisen der Wiener Gedenktafeln studieren.

Erstaunlich zum Beispiel, wie gut die Gedenktafel für den in Wien verstorbenen Komponisten Antonio VIVALDI am Karlsplatz funktioniert. Die Versalschrift mit den zwei verschiedenen U-Buchstaben – mal bauchig, mal spitz – wirkt, als wäre sie direkt dem Setzkasten der Wiener Werkstätten entnommen. Das hat ästhetisch nichts mit Vivaldis barocker Epoche zu tun, aber viel mit der Aufwertung des Jugendstils zur Zeit der Stiftung acht Jahrzehnte später. Der klug formulierte Text erteilt in knappster Form relevante Informationen und ist optisch perfekt vor das Auge hingebreitet. Einer klein gemeiselten Abschlusszeile entnehmen wir, dass es 1978 der inzwischen selbst schon wieder historische Creditanstalt-Bankverein war, der die schöne Tafel finanzierte. Das waren noch Banken!

© Wolfgang Koch 2009

Clemens Ottawa: Das Gedächtnis der Stadt. Die Gedenktafeln Wiens in Biographien und Geschichten, 277 Seiten, ISBN 978-3-85002-688-8, Wien: Amalthea Signum Verlag, 19,95 EUR

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https://blogs.taz.de/wienblog/2009/10/15/das_kurze_gedaechtnis_der_stadt/

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kommentare

  • Ich habe mir das Buch gestern gekauft, und nach den ersten Seiten schon einige ärgerliche Fehler gefunden. Und sie ziehen sich durch das ganze Buch…
    Hinzu kommt, dass auch mir fehlende Tafeln aufgefallen sind, ein Mangel den ich noch weniger nachvollziehen kann.
    (Martin Buber darf nicht fehlen – da gebe ich ihnen recht, aber Stella Kadmon und Hermann Broch sind keine “lokalen Sternchen”, und ihr Fehlen hätte mich ebenso gestört. Wo ist Fritz Grünbaum?)
    Aber es sind nicht die Satzfehler; nicht die teilweise seltsamen Kurzbiographien, die das Buch so halbgar machen: Als Nachschlagewerk hätte es nur dann einen Sinn, wenn man auch nach den Personen suchen könnte. Wer wissen will, welche Gedenktafeln von z.B.: Beethoven oder Mozart existieren, darf das ganze Buch durchsuchen.

  • habe das buch letzte woche gekauft und meine,dass es durchaus gelungen ist.immerhin hab ich schon eine tafel in meiner umgebung entdeckt dadurch die ich immer übersah.die bezirksgeschichten runden es ab und die bilder sind gelungen.ein, zwei fehler sind überall zu finden.

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