vonWolfgang Koch 12.03.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Man darf sich als Nitsch-Leser nicht entmutigen lassen durch zeitenthobene Mystik. Immer wieder bricht auch ein insgesamt überwundenes Heidentum hervor. Der Mann kommt wie viele deutschsprachige Denker vom Pantheismus her, von der Natur und vom Unendlichen.

Im 2. Band der Seins-Triologie stößt man auf wahrlich mitreißende Passagen, auf Texte, in denen sich der Autor so weit wach geredet hat, dass sie auch dem schwermütigsten Leser etwas von ekstatischen Ergriffenheit vermitteln.

Die Buchfassung der O. M. Theaterphilosophie nähert sich so wieder der Poesie an, die ja genau genommen nichts zu erzählen hat, außer eben der Aussage des Erfüllt-seins-von-Unsagbarem. In diesem Sinn haben wir es in Nitschs Opus auch nicht mehr mit Gedanken, mit Geist, mit schönen Sätzen zu tun. Der Text wird zu einem im Metaphysischen verankerten Spiel mit Worten.

Ein Schönschreiber wird Nitsch dadurch nicht; und da er sowieso jede Kurzschriftmeisterschaft verlieren würde und eine Priesterweihe nicht in Frage kommt, stehen bald keine Kategorien mehr zur Verfügung, um dieses Denken zu schubladisieren.

Üblicher Philosophenbart ist der Mann jedenfalls keiner. Nitsch verzichtet zwar auf die Abschließbarkeit seines Denkens, nicht aber auf dessen Letztbegründung: nämlich durch das Sein. Die Gedanken kreisen weiterhin unentwegt um die Grundfrage, ob Nichts zum Seienden gehört oder nicht: freilich ohne dass der Hinwegdenkende auch sich selbst hinweg denken müsste. Die antizipierende Totalnegation wird zu der faszinierenden Möglichkeit mit dem rabiatesten aller Gedankenexperimente zu spielen: dem eigenen Tod.

Den Tod nennt Nitsch ein »Maskenwechsel des Seins« (611); die Reife des Todes wird im Prunk der Sinne erspürt (442). Damit sind wir wieder im rettenden Hafen alles Kontingenten: dem Ganzen. Vergessen Heideggers »ontologische Differenz«, die davon handelt, dass man wohl dem einzelnen Seienden, aber nicht dem Sein als dem Grund aller Gründe an die Wurzel gehen kann.

Was ist denn das Mysterium des Seins? Dass dieser Zustand (a) uncharakterisierbar bleibt, (b) unbesitzbar und (c) je mehr transparent, je mehr Sein ist er. Da das absolute Sein wegen seiner Unbegrenzbarkeit sowieso unfassbar bleibt, kann ich mich nur mit einem verminderten Sein beschäftigen, das mir als Objekt gegenübertritt. Da hat man es mit Gottheiten, seien sie auch noch so querulantisch und kränkend, eben doch leichter.

Nitsch sagt: das Sein sei in »seinen niedrigsten unentwickeltsten Formen« unendlich weit von Nicht-Sein entfernt. Das ergibt null Sinn; diese Aussage sperrt sich gegen ein logisches Verständnis. Sie ist ein abschreckendes Beispiel für uferloses Philosophieren und nur mit der generellen (orphischen) Vorstellung vom Denkprozess zu erklären, die da lautet: »Die Wucht des Werdens ist entscheidender als die Differenzierungen« (369).

Er, Nitsch, wolle so tief im Ereignis des Seins geborgen sein, dass er dieses selbst sei, es verkörpere, es repräsentiere, dass er in ihm aufgehe. Nun ist Herr Nitsch gewiss ein Ereignis, auch im Philosophischen, etwa wenn er uns seine Vorliebe für Vorsokratiker erklärt: »Durch Sokrates, Platon und Plotin wurde das Sein in die Transzendenz verlegt« (371). – Doch entspricht der hier zugrunde liegende Begriff des Überschreitens nicht eher einem Ziel als einem Durchgangspunkt?

Wie gesagt, Nitsch ein Ereignis. Für mich liegt der Wert des O. M. Theaters aber nicht in der Aufhebung der universellen Schwerkraft, sondern im gesteigerten Bewusstsein jedes Aktes, dem ganzen Auftritt unseres Organismus als Individualität. In der Individuation unserer Handlungen liegt ihre Universalität – im Akt und eben nicht im Sich-selbst-genügen des Bewusstseins von sich.

Die Geheimnisse des Weltalls, sie mögen nicht enden wollen. Die Aktualität in einem Akt ist die allmächtige Schöpferin aller Dinge; oder – wie Emo es gesagt hat – »die Aktualität ist die Aktualität der eigenen Negation«.

Das Leben, gewiss: traurig, kurz ist es auf jeden Fall, doch wir müssen ja nur mit dem Verzicht auf den Anfang beginnen. Zu behaupten, dass es keinen Anfang gäbe, weil das Sein ewig walte, und darauf eine neue Moral zu organisieren, das negiert die gestellte Frage gerade nicht, sondern führt sie bloß der nächsten unbefriedigenden Antwort zu.

Der von mir in dieser Besprechung schon mehrfach zitierte italienische Ontologe Emo hat das 1962 unvergleichlich viel schöner gesagt: »Das Bewusstsein unserer unendlichen Relativität ist eben das Absolute. Es kann kein anderes Absolutes geben, denn es wäre kein bewusstes Absolutes; und das Bewusstsein ist das Bewusstsein der Relativität unseres Seins, d. h. unseres Nichts«.

© Wolfgang Koch 2010

Hermann Nitsch: Das Sein. Zur Theorie des Orgien Mysterien Theaters. 3 Bd. im Schuber, 1186 Seiten, ISBN 978-3-222-13271-1, Styria Verlag 2009, EUR 140,-

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