vonWolfgang Koch 04.08.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

Was für ein hübsches Buch, auf den Text komme ich noch zu sprechen, denn zunächst sticht die Ausstattung ins Auge: 21 Farbillustrationen, gezeichnet von der in Wien lebenden Künstlerin Anna Stangl. Die Bilder sind von so umwerfend verspielter Retroschönheit, dass man den Band zunächst gar nicht lesen mag. Der aus dem Hämmlere Verlag 2006 hervor gegangene Bucher Verlag macht dem eigenen Anspruch, bei seinen Produkten »ästhetische Erscheinung« und »fantasievolle Gestaltung« zu bieten, alle Ehre.

In der Manier von Kinderbüchern schwimmt hier eine junge Frau durchs Wasser oder schwebt in transparenten pflanzlichen Kugeln – dass etwas vegetabel und durchsichtig zugleich ist, vermag ich mir in meiner Schulweisheit doch gar nicht vorzustellen! 

Die Schöne ruht auf einem Riesenfisch zwischen Korallen, sie stülpt sich ihr linkes Auge auf die Hand, Untiere hetzen vorbei, ein Löwe spiralisiert seinen Schweif – eine Welt des Unbewussten tut sich in diesen Zeichnungen auf, hinter der jedes lineare Erzählen zwangsläufig zurückbleiben muss.

Das beginnt schon damit, dass die weibliche Protagonistin der Bilder eine dunkelhaarige attraktive junge Frau ist, während im Text von einer Frau mit blonder Mähne um die Vierzig erzählt wird…. Diese Frau, Ann, reist auf eine namenlose griechische Insel, um ihren Seelenschmerz über eine Partnertrennung abzuschütteln. Allerdings fährt Ann ausgerechnet dorthin, wo sie mit Richard viele Jahre als Langzeiturlauberin verbracht hat.

Das kann nicht gut gehen, und tut es auch nicht. Alkohol, griechische Lover, in Zynismus getränkte Gespräche, während das Meerwasser gegen die Hafenmauer klatscht. Dabei wirft Brochards große Beobachtungsgabe treffende Sätze über die anderen Urlauber ab, die verschüchtert an den Einheimischen vorbeischlendern »und doch um Anerkennung für ihr Geld bettelnd«.

Zitat: »Ehefrauen zeigten ihren wortkargen Ehemännern Dinge wie Vögel, Himmel, Hotels, Kirchen, zeigten mit ausgesteckten Zeigefingern auf etwas und benannten es, wie Mütter, die einen Kinderwagen vor sich herschieben. Ehemänner, ihre Worte wiederholend, wie Kinder von ihren Kinderwägen aus, nur das sie manchmal ein Ja vor das Wort setzten, um ihren Frauen das Gefühl zu geben, sie hätten aufmerksam zugehört und verstanden. Fingerzeig: Hotel? Ja, Hotel, ja, Vogel, ja, Kirche … Das hielt zusammen, das war schön, und plötzlich war man sich im Verständnis füreinander wieder nah. Im Verständnis einig, dankbar für die Anwesenheit des anderen, die einem zuhause vielleicht nicht mehr auffiel«.

Wären nur mehr solche Passagen in dieser Erzählung, dann wäre Wenn Ann tanzt gewiss das Buch, auf das wir schon lange gewartet haben. Stattdessen aber führt uns Brochard in flotten Formulierungen (»die Schafsmilchoptik zurückweisender Inseln«) meist nur eine depressive Frau vor, die sich nach »spontaner Inkarnation« sehnt.

Worauf wartet Ann? Darauf, nicht mehr begehrt zu werden? Jedenfalls verachtet sie das meiste um sich herum. »Die Menschen sind derart besessen vom Gespenst ihrer selbst, dass ihnen wirklich sehr wenig auffällt«. Ann registriert Gesprächsfetzen vom Nebentisch im Restaurant als die »geistesabwesende Bosheit verheirateter Paare«. Vor allem aber denkt sie an Richard, an seinen Anflüge von Stadtstolz, sein Augenrollen, an Liebe und Zank.

Bald meidet Ann das Restaurant, ernährt sich von Pistazien und Oliven, verstrickt sich immer tiefer in Selbstmitleid und Sehnsucht. »Jedes Geräusch erstarb wie die Falten eines Stoffes unter einem heißen Bügeleisen«.

Ein makelloser Satz, doch er steht vielen fragwürdigen gegenüber. Ein fähiger Lektor hätte das Manuskript retten können. Warum muss das schwarze Brillenetui ausgerechnet von Gucci sein, und in der nächsten Zeile die Reisetasche von Nike? Woher weiß man, dass ein Fisch im Wasserglas stumpfsinnig ist? Etc. – Ursula Brochard ist eine bemerkenswerte Autorin, und unbehandelte Sätze wie »Mit wiedererweckter Haut ließ sich danach leicht denken« sind dem Lektorat anzukreiden.

Derart bedrängt von Anna Stangls das Personal der Geschichte krass verfehlenden Illustrationen auf der einen Seite und dem fehlenden Rotstift auf der anderen, dürfte dieser Inselerzählung nur wenige Fans finden. Schade-Schokolade.

© Wolfgang Koch 2010

 

Ursula Brochard/ Anna Stangl: Wenn Ann tanzt. Erzählung mit 21 Farbabb., 70 Seiten, ISBN 978-3-99018-004-4, Bucher Verlag: Hohenems/ Wien 2010.

 

 

 

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2010/08/04/eine_inselerzaehlung_von_ursula_brochard/

aktuell auf taz.de

kommentare

  • . ..das Meer vor Inseln in welchen die Walfische durch die Luft fliegen, und wo in der Tiefe verliebte Fische zusammen im Kreis tanzen – ein Maerchen ? Sehe youtube Video: “Tabou Combo New York City” (aber das Maerchen und seine “Erzaehler” habe nichts mit dieser ekelhaften Metropolis zu tun! Ganz im Gegenteil…sie geleiten in ein Maerchenuniversum…) “Wenn man nur noch einmal Leben koennte” haette Max Frisch nochmals gesagt.. wie damals , als er einmal kurz den Zauber dieses Maerchenuniversums spuerte (1952) und danach in “Homo Faber” so einmalig beschrieben hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert