vonWolfgang Koch 18.09.2010

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Die Aufgeblasenheiten der selbsternannten Weltstadt Wien nehmen kein Ende. Der größte Aufschneider unter den Falschspielern wird Bürgermeister. Logisch.

Es redet. Es schreibt. Es regnet. Es regnet in allen Redaktionsfluren Dr. Michael Häupl. Wie kommt das so kurz vor dem Wahltermin am 10. Oktober? Sind wir nicht schon seit Jahren angewidert vom schlechten Deutsch dieses Mannes, der wie ein feucht-fröhlicher Barockkavalier ins Mikrophon plärrt, schnaubt oder prustet? – Sie müssen wissen, dass sich der amtierende Bürgermeister von Wien den rauen Ton schuldig zu sein glaubt: das Unflätige, Hemdsärmelige, den Gestus des proletarischen Zupackens.

Denn Häupl will ein Bürgermeister mit Ecken und Kanten sein, kein geistliches Beffchen, eine Persönlichkeit zum Anfassen – das kostet dem Landesherrn schauspielerisch allerdings schon so viel Mühe, dass man beinahe Mitleid haben möchte mit ihm. Als gelernte Wiener wissen wir natürlich, dass der Mann nach der erfolgreich geschlagenen Wahl bald in Pension gehen wird. Die WählerInnen bekommen mit Sicherheit nicht, was sie glauben – sondern was die SPÖ-Zentrale nach der Wahl als personelles Wahlergebnis beschliessen wird.

Also in diesen Stunden: Michael Häupl als Gärtner, als Spitzenkoch, unter Schulkindern, am Marktstandl, Häupl in der Straßenbahnremise, Häupl als Ordenanhefter, Häupl im Heizkeller, und vor allem und immer wieder: Häupl am Würstelstand. Mit Lauterkeit und Wahrheit haben diese Wahlkampfbilder nichts zu tun; aber das kann man von der Politik auch nur schlecht verlangen.

Also Hinspucken, wo schon Abraham a Sancta Clara hingespuckt hat! Winken, wo schon Theodor Körner mit behandschuhter Hand gewinkt hat. Tanzen, wo schon Fanny Elßler das Tanzbein schwang. Und trauern, wo schon Hans Moser den Pompefunebrer gab. – Was hat denn ein Spitzenkandidat in dieser eiscremeseligen Millionenstadt sonst noch zu tun?

Das ist es, was mich vielleicht am meisten gegen die Gestalt des Dr. Michael Häupl aufbringt. Dass die Sozialdemokratie seit Jahr und Tag das Politiker-Modell eines christlichsozialen Populisten kopiert, dass die Dauerregierungspartei stets nur Kandidaten nach dem Muster des Antisemiten Dr. Karl Luegers schnitzt. Also penetrant leutselig, scheinbar im Volk verwurzelt, ein Feschak der alten Schule, ein guter Redner, absolut unerschütterlich den Frauen, dem Wein und dem Schnitzel verpflichtet.

So geht das seit nunmehr 100 Jahren: ein Lueger-Double folgt dem nächsten, mal mehr mit Bügelfalte wie Leopod Gratz, dann wieder der leberkäsige Fiakertyp – immer ist es dieser längst überholte Politikerstereotypus einer jovialen Männlichkeit, verschlagen, selbstverliebt, wehmütig rückbezüglich und mit dem unschlagbaren »Schmäh«, aus jeder ernsten Situation ein Spiel zu machen.

Der Wiener ist bekanntlich von Beruf Zuschauer. In den Straßen stehen jetzt übergewichtige Menschen herum, die ein T-Shirt mit der Aufschrift »Häupl passt mir!« tragen. Als prominente UnterstützerInnen werden – vom Präsidenten der Vereinigten Bühnen Wien, Thomas Drozda, über den Organsiator des Donauinselfestes, Sascha Kostelecky, bis zum Kunsthallendirektor Gerald Matt – lauter Leute genannt, deren berufliches Wohl und Wehe von der SPÖ abhängt. Diese abhängigen Unterstützer betrachten Häupl öffentlich als Garant für die lebendige und liebenswerte Atmosphäre Wiens.

Und wieder einmal lernt man hier Lachen, indem einem das Lachen vergeht.

© Wolfgang Koch 2010

 

 

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