vonWolfgang Koch 25.05.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Kürzlich wies mich ein Freund auf einen Laden in der Klosterneuburgerstraße mit den Worten hin: »Wer hat schon einen Schuster aus Samarkand?« – Stimmt, dachte ich mir und beschloss im Stillen diesen Handwerker von der Seidenstraße, den es da in die Brigittenau verschlagen hat, nächstens mit löchrigen Sohlen selbst einmal aufzusuchen.

Was tun wir nicht alles wegen der Namen! Ich kenne, mich selbst mit eingeschlossen, drei in Wien lebende Personen, die ihre Reiserouten unter anderem nach poetischen Kriterien wählen: den Humorzeichner Tex Rubinowitz und den Streetlife-Fotografen Paul Albert Leitner.

Naja, Schriftsteller und Künstler, möchten Sie einwenden, die können sich solche Faxen leisten. Wer dem Leben nur dreist genug gegenüber tritt, der kann auch nach Belieben Örtlichkeiten mit so klingenden Namen wie Abbazia und Abbottabad, Heidelberg, Heiligenblut, Jaipur, Odessa, Ostende, Palmira oder Timbuktu aufsuchen.

Für englisch geschulte Ohren hätten wir noch Anchorage, Chattanooga, Shamrock und Sweetwater anzubieten. Das alles glitzert sprachlich exotisch, ein See furioser Landkartenpoetik. Aber man muss schon, möchten Sie einwenden, in Lindenblütentee getaucht worden sein, um Orte allein wegen ihres Namens aufzusuchen.

Der Vorwurf ist ungerecht! Für die Poesie von Namen braucht niemand taub zu sein. Oder glauben Sie etwa, dass all diese 14jährigen Lady-Gaga-Fans musikalische Feinspitze sind? Nein, die Menge huldigt wie immer der Kongruenz von Marke und Inhalt.

Warum bitte reist denn jemand auf die Azoreninseln? Warum nach Hawaii? Es wird sicher tausende Gründe dafür geben, aber neben all diesen vernünftigen, eben auch eingestandener oder uneingestandener Maßen diesen einen: wegen des Namens.

Um diese These zu untermauern, erzähle ich eine Geschichte aus der 3. Wiener Gesera, der Verfolgung und Vernichtung der östereichischen Juden nach 1938. Von den rund 180.000 in der Stadt lebenden Juden floh in diesem und im folgendem Jahr, wer immer es konnte und durfte ins Ausland, um der Ghettoisierung und späteren Vernichtung durch die Nationalsozialisten zu entgehen.

Seit dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht im März 1938 verschärften die Behörden praktisch täglich die Lebensbedingungen für jüdische Mitbürger. Kinderfrauen, die jahrelang sorgsam auf Sprösslinge aufgepasst hatten, beschimpften ihre Schützlinge plötzlich als »Saujuden«. Die jüdische Bevölkerung wurde aus Parks und Schulen vertrieben, sie stellte sich in Suppenküchen an, ließ alle möglichen Repressionen über sich ergehen.

Die Dikatur ließ niemanden umstandslos ausreisen. In den ersten Monaten würde Flüchtlingsfamilien dabei ihr Vermögen abgeknöpft. Das US-Konsulat vergab Nummern für Ausreisewillige; aber die Warteschlangen der Bewerber waren lange, die Bewilligung wurde immer unsicherer. Im November erlaubten die Behörden nach England nur mehr dann eine vorübergehende Immigration, wenn sich ein ausländischer Sponsor dafür bereit fand.

In dieser Situation hatte ein gewisser Karl Roper, Inhaber eines Männerbekleidungsgeschäfts am Neubaugürtel 29, die verrückte Idee, Leuten in England zu schreiben, die Roper hießen, ihnen die schrecklichem Umstände zu erklären und sie, sich auf den gemeinsamen Namen beziehend, um Hilfe zu bitten. Sein 1928 geborener Sohn Robert, der das überliefert hat, half ihm die Briefe zur Post zu tragen.

Auf alle Schreiben Ropers antworte, wie durch ein Wunder, nur ein einziger der unbekannten Adressaten. Doch diese eine erstaunliche Antwort, die auf der Magie des Namens beruhte, sie genügte, um drei Leben zu retten. Der Sponsor für die Familie Roper war gefunden; Dokumente für die Einreise nach Großbritannien wurden ausgestellt, wo die Ropers im August 1939, nur wenige Tage, bevor der Zweite Weltkrieg vom Zaun gebrochen wurde, glücklich ankam.

Die Geschichte entstammt dem von Karin Cerha und Christopher Treiblmayer herausgebenen Dokumentationsband »Weggewiesen 1938«, der sich mit dem Schicksal jüdischer SchülerInnen am Realgymnasium Wien 7 beschäftigt, Löcker Verlag 2010. Das bemerkenswerte Projekt zur Aufarbeitung der Zeitgeschichtet wird auch auf der Schulhomepage www.brg7.at dokumentiert.

© Wolfgang Koch 2011

 

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