vonWolfgang Koch 19.08.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der israelische Politologe Zeev Sternhell und seine Mitarbeiter haben sich alle erdenkliche Mühe gegeben, dem Faschismus das Prädikat der »einzigen originären politischen Ideologie des 20. Jahrhunderts« zu verleihen. Ihre Studien stellen einen biologischen Determinismus in allen Varianten dieser Ideologie fest, und sie arbeiten einen gewissen Anteil einer spezifischen Marxismusrevision (die mit den Namen George Sorel, Arturo Labriola, Robert Michaels, u. a. verbunden ist)  an dem Phänomen heraus.

Hinter diesen Stand der Faschismusforschung sollte auch die Expertise im Fall Breivik nicht mehr zurückfallen. Ob seine aggressiv-antiislamische Weltdeutung dieser einen Ideologie des 20. Jahrhunderts geschuldet ist, oder etwas grundsätzlich Neues darstellt, ist keine unwichtige Frage. Die Antwort entscheidet mit, wie der Brevikismus in den nächsten Jahrzehnten bekämpft werden kann.

Dass es sich bei dem Einzeltäter weder um einen Einzeltäter, noch um einen Einzeldenker handelt, das wusste sofort jeder, der in den letzten Jahren die Namen Theodore John Kaczynski, Timothy James McVeigh und Franz Fuchs im Ohr behalten hat. Seit dem 22. Juli ahnt nun auch eine Mehrheit unter den Demokraten, dass der sogenannte Counterdschihad den Auftakt zu einer neuen Rechtsideologie darstellt, die uns noch längere Zeit beschäftigen wird.

Ich habe in meiner Untersuchung zur »Ideologie des Faschismus« (2005) fünf variable Merkmale genannt, von denen nicht alle, aber doch eine qualifizierte Mehrzahl vorhanden sein muss, damit wir eine politische Ideologie als »Faschismus« bezeichnen dürfen.

Von der Legion des Erzengels Michael in Rumänien bis zur SS-Leibstandarte Adolf Hitlers, vom Rassentheoretiker Joseph Arthur de Gobineau bis zu Goebbels berühmten Tagebüchern, von den Menschenaugen, die getreue Ustaschas ihrem Führer Ante Pavelic geschenkt haben, bis zum männlichen Seppuku des japanischen Schriftstellers und Putschisten Yukio Mishimas – in all diesen Erscheinungen des Faschismus wird man stets eine coupfähige Mischung aus folgenden Zutaten finden:

1) Der Faschismus war antimaterialistisch; – auch Breivik verweigert das rationalistische, individualistische und utilitaristische Erbe des 17. und 18. Jahrhunderts. Der fundamentalste Wert, das Höchste, ist ihm das selbstlose Opfer für die weiße, nationale und christliche Gemeinschaft.

2) Der Faschismus war virulent antirationalistisch; – auch bei Breivik regiert das Primat des Unbewussten vor der Vernunft, allerdings unfreiwillig. Die Schwarz- und Braunhemden attackierten die Vernunft nicht aus Übermut; sie favorisierten eine Philosophie des Handelns, die sich auf die Vergöttlichung von Energie und Dynamik gründete. Kollektive Begeisterung (für den Führer), war es, was die Menschen leiten sollte – nichts davon bei Breivik.

3) Der Faschismus war aktivistisch; – auch bei Breivik korrelierte das Attentat mit einer Mythenkonstruktion: mit dem Mythos des neuen Tempelrittertums (samt Wikipedia und Atombombe). Die Mordtaten entfachten einen Zauber, der die innere Brüchigkeit dieses ideellen Konzepts verdrängen soll. Das Attentat sprach die Sprache der Stärke, während die Texte, für die Breivik dieses »Marketing« betrieb, seltsam emotionslos bleiben. In einer »Zeit der Dekadenz« lag für ihn alle Tugend beim Entschluss zum Töten.

4) Der Faschismus war vitalistisch; – darunter verstanden seine Exponenten nicht etwa überschäumende Lebenslust, sondern Gehorsam und Disziplin. Breivik aber ist ein jeden Kollektivkörper scheuender Waldgänger, kein »einsamer Wolf«, denn er verfügte über zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremen, doch er lieferte sich der Gefahr alleine aus, gestattete sich das Vorrecht zu töten wie ein Adeliger; Breivik lebte neun Jahre von der schönen Geste und brachte die erforderliche Ausdauer beim Bombenbauen und Schießen nur mit Hilfe von Sport und Drogen zustande.

5) Der Faschismus war produktivistisch; – er glaubte an gigantische kollektive Arbeitsanstrengungen, rückte das Heer der Arbeit in den Mittelpunkt und zielte auf möglichst ergiebiges Wirtschaften der Nationen, auf ein Bündnis von Kapital und Arbeit. Der Normierung der Produktion sollte die Normierung der Konsumption folgen, der Normierung der Waren die Normierung der Menschen. Nichts davon bei Breivik, der über nationalökonomische Fragen sagt, dass sich seine »Vienna School of Thought« darüber noch nicht einig geworden sei.

Um Breivik dem historischen Faschismus zuzuschlagen, bleiben also nur die Punkte 1 und 3: Antimaterialismus und Aktivismus. Breiviks Ideologie ist kaum mehr faschistisch; aber ein materialistischer Breivikismus ist nicht denkbar. Seine Terroranschläge sind nicht typisch faschistisch, aber ein gewalttätiges Fanal ohne unmittelbare, offene Aggressivität, ohne das Verlangen nach Kündern und Heroen, wäre undenkbar.

In der politischen Öffentlichkeit ist es egal, unter welchem Titel antirassistische Initiativen auftreten. Man weiß schließlich, was gemeint ist. Im theoretischen Diskurs aber werden die Antifaschisten 2.0 ihre Analysen noch ein wenig nachbessern müssen.

© Wolfgang Koch 2011

 

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