vonWolfgang Koch 02.12.2011

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der arme Hermann Nitsch! Seit drei Jahrzehnten muss er der Historisierung seiner eigenen Arbeit beiwohnen, während er doch zugleich immer noch qual- und lustvoll malt, komponiert und schreibt wie bereits vor einem halben Jahrhundert.

Im Zug der ständig verbreiterten Vermittlung seines in alle Sinnesrichtungen ausufernden Werkes kommt es heute immer öfter zu einer dramatischen intellektuellen Verzwergung des Orgien Mysterien Theaters. Einem Publikum, das zu faul ist, Katalogtexte und die Schriften des Künstlers zu lesen, wird das nötige Wissen in Einführungsvorträgen, in Künstlergesprächen und Popvideos zu einem leicht bekömmlichen Brei verkocht, damit es nur mehr zu schlucken und nicht mehr zu kauen hat.

Am 1. Dezember 2011 versammelte das Museum Leopold gleich fünf exemplarische Vertreter der leeren Wortblase auf einem Podium mit der thronenden österreichischen Kunstlegende. Aufgeweckte Jungintellektuelle, schnittige Kapazunder des Wiener Geisteslebens, gestandenen Kunsttheoretiker und Philosophen verirren sich praktisch nie mehr in solche Veranstaltungen, denen die Bezeichnung »Diskussion« unbedingt streitig zu machen ist.

Man nenne es ein »höfliches Palaver«, man nenne es eine »nutzlose Lobhudelei« oder eine »Respektbezeugung vor dem imponierenden Lebenswerk« des bedeutendsten Mannes – mit einem spritzigen, fruchtbaren Austausch von neuen Erkenntnissen haben solche Events schon lange nichts mehr zu tun.

Daran sind keineswegs nur die Fragesteller aus dem Publikum Schuld. Es ist vor allem die Einfalt der Gesprächsrunde selbst. Michael Karrer, Direktor der Nitsch Foundation, wiederholte brav bereits tausend Mal Gesagtes (Wiener Galeristen sprechen heute wie politische Amtsträger, bei denen es nur mehr darauf anzukommen scheint, ob ihnen irgendein falsches Wort aus dem Mund fällt). Und der Chefredakteur der Die Presse, Michael Fleischhacker, hatte über Nitsch keinen Deut mehr zu sagen als das, was sich Herr und Frau Österreicher eh so im Allgemeinen über die Sache denken.  

Einzig Hermann Nitsch glänzte in dieser matten Atmosphäre der Halbbildung und des uninspirierten Abspulens einschlägiger Stichwörter. Was der Künstler in der einstündigen Debatte mehrfach akzentuierte, lässt sich auf zwei simple Botschaften reduzieren. Die 1. Botschaft lautete: »Das Orgien Mysterien Theater ist ein Gesamtkunstwerk. Es lässt sich nicht in seine Teildisziplinen zerlegen, man muss es erlebt haben«.

VERDOPPELTE KUNST

Da wäre nun die Probe aufs Exempel zu machen gewesen. Denn vor dem langweiligen Geplauder kam ein Film, nein: das 23minütige ARTvideo »NITSCH – Requiem, das Hohelied des Lebens« von Veronika Bayer und Claudia Feyerl zur Ausstrahlung. Es ging um die 56. Malaktion des Künstlers im Mai 2009. Im Zeitraffer zu sehen: 16.000 Aufnahmen der mit Farbe beschütteten und barfuss begangenen Leinwände, deren händische Nachbearbeitung, die Regiekunst des einsamen Meisters inmitten von bekleckerten Helferkitteln.

Die beschleunigten Langzeitaufnahmen von Bewegungsabläufen der Malaktion wurden in diesem Video mit viel ausgespartem Weißraum gezeigt; dazu pathetisches Dröhnen auf der Tonspur, Laufschriften (mit dem obligaten Deppenapostroph) und im Hintergrund ein gefälliger graphisch-bewegter Teppich aus bedrucktem Zeitungspapier, das von Nitsch aufrührerischem Ruhm im 20. Jahrhundert zu künden wusste.

Die Abspielfrequenz der vielen Bilder degradierte den Malakt zu einem Ereignis in einem Guckkasten, in dem geschäftige Ameisen um einen dicken Käfer herumschwirren. Aus der potentiellen Dekonstruktion der Aktion wurde dank der reichlich darüber gekippten Collagensauce ein elaborierter Bildschirmschoner, der das Unmittelbare des Geschehens zu einem lebensfernen Mikrodrama im Stil von Computerspielen verniedlicht.

Das mag einem animationsverwöhnten Publikum gefallen; mir gefiel es nicht. Hier wurde durch Zeitraffer, durch Off-Text und Ambient Occlusion eine Bildsynthese erzeugt, die sich denkbar weit von allem, was dem Orgien Mysterien Theater je heilig war (also Dauer, Langsamkeit, Wiederholung, Intensität, Momentform, Polystilistik, Synästhesie, Exzess), entfernt.

Auch den Videoproduzentinnen Bayer und Feyerl schien nicht ganz Wohl in ihrer Haut gewesen zu sein. Um nach der Mickey-Mouse-Perspektive die sakrale Kunstbegeisterung wieder herzustellen, griffen sie in der Apotheose auf eine bewährte Überwältigungsstrategie der TV-Unterhaltung zurück: ein Slow-Motion-Rundumschwenk im Ausstellungsraum des Nitsch Museum Mistelbach zu kitschig-gleißenden Wagner-Hornklängen.

TROTZIGE DENKVERWEIGERUNG

Eine Analyse des Gezeigten in der Runde kam nicht zustande. So blieb also nur die 2. von Nitsch selbst verbreitete Botschaft des Abends. Sie lautete:»Der Gebrauch des Wortes ist endenwollend, unsere Sprache ein ewiges Ungenügen; der Prozess der Befreiung durch das Kunstwerk muss darum sprachlos ablaufen«.

Nitschs Absage an den öffentlichen Diskurs, sein alteingesessenes Vorurteil gegen Verstand und Vernunft, gegen klare Definitionen und überprüfbare Schritte des logischen Schließens – dieses ganze bleierne Erbe der einerseits begriffstauben und anderseits optisch devianten Nachkriegsvantgarde des Wiener Aktionismus ist ja hinlänglich bekannt.

Das allumfassende Sein lässt sich nach Nitsch einfach nicht begreifen – und wer es trotzdem versuche, der gleiche dem Menschen, der seine Brille sucht, während er sie doch auf der Nase trägt.

Das ist hübsch gesagt; doch gegen diesen Pessimismus des Denkens lassen sich treffliche Einwände erheben. Denn erstens ist es doch im höchsten Grad paradox, ein eklatanter Selbstwiderspruch, dass uns da ein Leser- und Schreiberherz, das seine Selbsterklärung auf abertausenden Seiten ausgebreitet hat, ständig die Grenzen der Sprache unter Nase reiben will.

Zweitens vernebelt diese trotzige Streitverweigerung, dass sie selbst ständig mit den völlig unscharfen Kategorien von »Begreifen« und »Verstehen« hantiert. Um das kommunikative Niveau der Auseinandersetzung mit der Philosophie des Orgien Mysterien Theaters zu heben, bräuchte es weniger einer stringenten Bestimmung der Schlüsselworte Sein, Leben, Kunst, Werk oder Spiel, als all dieser unbeachteten kleinen Hilfswerkzeuge des heutigen Sprechens über Kunst. Mit diskurstheoretisch unbeleckten und philosophisch unbedarften Diskutanten wird das kaum gehen.

© Wolfgang Koch 2011

http://www.TEAMniel.com

http://www.youtube.com/watch?v=ORQbL4UW5SM&feature=player_embedded#

 

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