vonWolfgang Koch 28.04.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

Mehr über diesen Blog

In Westfalen erzählte man sich einst folgende Sage:

 

Die Frau eines Schäfers aus Bardenhagen ging mit einem ihr unbekannten Zwerg fremd, der sie dafür reichlich mit Garn versorgte. Als sie schwanger wurde und der ihr angetrauter Gemahl betrübt durch die Gegend lief, hörte er unvermutet ein schnurrendes Rad im Berg drehen und eine Stimme dazu singen: »Dat is gaut dat dat de gnädige Frû nich weit/ dat ik Zirkzirk heit« [Klasse, dass die Lady nicht mal meinen Namen kennt! … ].

 

Beim nächsten Tête-à-tête schleuderte die Gespielin dem Zwerg seinen Namen ins Gesicht, und wohl noch einiges andere. Daraufhin ward das Bardenhagener Schäferpaar den Spuk für immer los.

 

ooooOO*OOoooooooOO*OOoooo

 

»Ideen? Assoziationen?«, fragte meine Lehrerin.

 

ICH: Naja, der Buddha ist kein Zirkzirk. Wohl ist auch die Buddha-Sphäre voller Rätsel, aber da verhält es sich genau umgekehrt: Wir kennen den Stifter des Weges, sind uns allerdings uneins, wie sich sein Rad dreht, ob es sich überhaupt weiter dreht und, wenn ja, wie oft es das schon getan hat.

 

»Fünf Mal«, sagt sie mit einer Bestimmtheit, die mich überraschte.

 

»Fünf Mal?«

 

LEHRERIN: Die erste Drehung des Rades war Nikāya, das ist ein Wort aus der Pali-Sprache. Es bezeichnet heute den Urbuddhismus der Theravadis, die Lehre der Älteren auf Sri Lanka. Dann kam der Buddhismus des Mahāyāna mit seinen Bodhisattvas. Als Drittes kam Tantra oder Vajrayana: der Bergbuddhismus der Diamantenen mit seinem religösen Dämonenhimmel. Der tibetische Buddhismus integriert alle drei dieser Fahrzeuge in einem Lehrsystem. Als vierte Innovation betrachte ich die japanische Modernisierung im Zen; und seit 200 Jahren entwickelt sich im Westen die Version 5.0.

 

ICH: Ja, aber die Zennis halten sich doch selbst für eine Strömung des Mahāyāna-Buddhismus.

 

LEHRERIN: Richtig; von dort gingen die Schulen des Chan-, Thien- und Seon-Buddhismus ja auch aus; aber entscheidend für die heutigen Praktiken des Sitzens war das 17. Jahrhundert und alles, was darauf in Japan folgte. Darum spreche ich von einer eigenständige Drehungen des Buddha-Rades.

 

ICH: Unter uns Westlern heißt »am Rad drehen« eigentlich nicht mehr weiter wissen. Denken Sie an den Hamster, der nicht vom Fleck kommt.

 

LEHRERIN (lachte): Außerdem ist das fünfte Rad am Wagen meist überflüssig, wenn es nicht das Lenkrad ist. Das hat schon Egbert von Lüttich im 11. Jahrhundert gewußt.

 

ICH: Gerade noch haben wir im europäischen Mittelalter Straftäter aufs Rad gebunden, – und jetzt wollen wir an der Lehre des Erhabenen von der inneren Befreiung weiter drehen?

 

LEHRERIN (lachte): Ja, und man hat die üblen Kerle mit Eisenstangen oder der Peitsche zu Tode gefoltert. Vorher durfte, zur Belustigung des Volkes, noch einmal jeder am Rad drehen.

 

ICH: So abartig war der Westen.

 

© Wolfgang Koch 2012

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/wienblog/2012/04/28/wie-oft-hat-sich-das-rad-des-buddhismus-schon-gedreht/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert