vonWolfgang Koch 11.05.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Der Grieche Ktesias aus Knidos, der 401 v.u.Z. am Hof Artaxerxes II in Persien lebte, berichtet von einem indischem Wildesel, der dem Pferd gleicht und auf der Stirn ein spitzes Horn von einer Elle Länge trägt:

 

»Wer aus den Bechern trinkt, die man aus diesem Horn fertigt, wird, wie man sagt, weder von Magenkrämpfen befallen noch von Epilepsie, und auch Gift kann ihm danach nicht schaden«.

 

oooooooooooOOOOOOOOOOOOOoooooooooooo

 

»Klingt nach einem Wundermittel«, sagte ich zu meiner Lehrerin, »hilft gegen die schlimmsten Leiden der Welt. Ist eigentlich Erleuchtung auch ein Heilmittel?«.

 

LEHRERIN: Nein, Erleuchtung ist keines. Sie haben ganz richtig geraten: Ktesias war Arzt, er fasste das ganze Halbwissen seiner Zeit über Indien zusammen. Seiner Ansicht nach war das fabelhafte Tier außerordentlich schnell und wehrhaft. Er sagte, weder ein Pferd noch ein anderes Tier könne es in der Verfolgung einholen. Auch sei es unmöglich, das Wesen lebendig zu fangen.

 

ICH: Schnelligkeit, unbesiegbare Kraft – das trifft alles auch auf das Einhorn zu, wie es später im antiken Physiologus auftaucht. Das Einhorn kann dann nur mehr vom Schoß einer Jungfrau gezähmt werden, und die Christen übertrugen seine Gefangennahme auf die Menschwerdung Christi.

 

LEHRERIN: Im Sanskrit heißt das Nashorn lediglich khadgi, schwertbesitzend. In Sri Lanka findet sich eine Überlieferung, wonach mit khaggavisāna gar nicht das Nashorn gemeint ist, sondern ein pferdeartiges Tier mit einem Horn an der Stirn. Damit scheint es möglich, dass unsere Mythologie des Einhorns bei Buddha oder noch früher seinen Ausgang genommen hat.

 

ICH: Der Buddha lehrte, wie ein Nashorn zu wandern. Das ist ein schönes Bild. In unseren Breiten erzählt man sich, das Einhorn überbringe göttliche Botschaften und zeigt sich den Menschen nur selten.

 

LEHRERIN: Das passt doch. Die Dschungelnashörner Asiens wurden von den Eingeborenen als ganz normale Waldtiere akzeptiert. Spitz- und Breitmaulnashörner bewohnen die afrikanischen Grassavannen. Rhinos sind nirgends vollständig an offene Landschaften angepasstes Tiere. Zum Schutz vor der intensiven Sonneneinstrahlung benötigten sie niedriges und hohes Buschwerk, das ausreichend Deckung und Schatten spendet. Rhinos brauchen die Nähe von Gewässern, Dickicht. Ist das nicht gegeben, unternehmen sie regelmäßige Wanderungen zu geeigneten Wasser- und Suhlstellen.

 

ICH: Und aufgrund dieser Gewohnheiten wurde das Tier Sinnbild des einsamen Wandermönchs und Waldasketen?

 

LEHRERIN: Der Sutta-Nipāta, wo das Nashorn Jahrhunderte vor dem Christus unicornus auftaucht, zeichnet das Bild des Muni, des heiligen Schweigers, der allen Widerstreit in sich zum Schweigen gebracht hat. Das ist das Ideal, das Hauptmotiv.

 

Ich: Man verzichtet auf Sangha.

 

LEHRERIN: … oder man muss verzichten. Nicht überall sind genug Praktizierende für eine Gruppe da. Viele, die allein gehen, haben gar keine andere Wahl.

 

ICH: Die Einhornsage ist in den profanen Bereich der Liebessymbolik eingedrungen.

 

LEHRERIN: Auch im Osten gibt es keine einheitliche Interpretation. Einer Nikāyā-Tradition zufolge ging es Buddha bei seinem Vergleich gar nicht um einsame Wanderschaft, sondern um die Tatsache, dass das Rhino ein einziges Horn trägt – im Unterschied vom doppelten Gehörn anderer Tiere.

 

ICH: Sich auf eine einzige Wahrheit konzentrieren?

 

LEHRERIN: Sagen wir auf den mittleren Weg, der sehend macht, der wissend macht, der zum Zuruhekommen, zur unmittelbaren Einsicht, zum Erwachen, zum Verlöschen führt. So sprach der Ehrwürdige Sariputta.

 

© Wolfgang Koch 2012

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https://blogs.taz.de/wienblog/2012/05/11/alle-ernsthaften-buddhisten-sind-nashorner/

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kommentare

  • Die Art des Nashornschreitens taucht in Sufigeschichten als die des “Kamels” auf. Schliesslich heisst Nashorn auf hebräisch “Leviathan”, ein biblisches Ungeheuer, das Hobbes als Metapher für den despotischen Staat gebrauchte.

    Die Aufspaltung in ein Fabelwunschwesen Einhorn und ein alltestamentarsiches Schreckenstier ist ein schönes Feld für psychoanlytsiche Verdrängung. Wenn man die Konkurrenzverhältnisse der Inder mit den Iranern und den anderen Leuten im Nahen Osten bedenkt, könnten das Tier Zeuge von Schlachtausgängen sein.

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