vonWolfgang Koch 30.09.2012

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Hanno Millesi gehört seit dem Erzählband Wände aus Papier (2006) zu den besten österreichischen Autoren der mittleren Generation. Anders als die Stars des Literaturbetriebs, Elfriede Jelinek und Robert Menasse, versucht er uns nicht über das Geschlechterverhältnis oder über die Politik zu belehren, sondern treibt in einer geradezu bewundernswerten Askese den Einfallsreichtum und die Absurdität der Existenz sprachlich an die Grenzen.

 

Millesis neuer Roman, Granturismo betitelt, beginnt später, als er anfängt. Über die ersten 80 Seiten hüllen wir diskret den Mantel des Schweigens. Auch beim verbleibenden Text bin ich mit der Arbeit des Lektorats nicht immer einverstanden; viel zu bereitwillig lassen die Mitarbeiter des kleinen Wiener Luftschacht Verlags dem Autor nichtsagende Formeln wie »der schale Geruch loser Ausflugskameradschaft« durchgehen.

Es fühlt sich an, als bekäme man Existenz zu fassen. / Foto: W. Koch

 

Gewiss, Millesi verfügt über eine prachtvoll flüssige Sprache, in die er mit großem Geschick Jargons, Soziolekte, pädagogische Begriffshüllen (»ein gewisses Mass an seelischer Beanspruchung«) und psychologische Floskeln einwebt. Das funktioniert in der Regel recht gut.

 

Auf der Handlungsebene aber überzeugt leider nur das zu Hause geblieben Alter Ego des Schriftstellers, ein Erzähler-Ich, das seinerseits – in postmoderner Manier – eine männliche Figur auf Reisen schickt. Während die diversen Ausflüge dieses »Reisenden« in die äußere Welt schnell langweilen, bietet uns das zurückgeblieben Erzähl-Ich höchst vergnügliche Abenteuer in seiner Wohnung.

 

Hanno Millesi ist gelernter Kunsthistoriker, er dürfte also Xavier des Maistres fuminanten Bericht Voyage Autour de Ma Chambre (1790) kennen. Wie in diesem französischen Meisterwerk der Fantastik vermag auch Millesis Erzähler tausenden Dingen in den eigenen vier Wänden nicht zu entrinnen, seine Gedanken gehen – angeregt durch Geräusche aus der Nachbarschaft – verstörend im Kreis.

 

Der Erzähler verbringt all seine Zeit mit dem Belauschen seiner Umgebung; er beginnt im Dunklen zu hantieren, bereitet sich ohne Licht seine Mahlzeiten zu, entwickelt den sportlichen Ehrgeiz, sich so unauffällig wie möglich zu verhalten.

 

Seine imaginierten Steps ins nächste Stockwerk beruhigt den Mann im Kopf, seine Gedanken hören auf, sich gegenseitig zu Tode zu hetzen. »Da bei mir sozusagen der literarische Faden gerissen ist«, gesteht er einmal, »bin ich dabei, mich in einer für mich gänzlich unbekannten Beschäftigungslosigkeit zu verirren«.

 

Wir lernen auf dieser Zimmerreise überraschend einen Erzähler kennen, der ständig mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist. So etwas ist ja bereits eine Seltenheit in der realen Literatur.

 

Dieser Schreiber-Schreiber hält seinen vom eigenen Versagen (als Autor) empfindlich gewordenen Wahrnehmungsapparat in den Sound der Nacht. Er möchte im Leben anderer Menschen einfach vorbeischauen, um etwas von ihrer Unverdorbenheit auf sich übergehen zu lassen.

 

Am gelungensten finde ich die Passagen, in denen dieser Zimmerreisende mit dem eigenen Körper am Mobiliar experimentiert und dabei wirkt wie bei einer Moderne Dance Performance:

 

»Oft sitze ich beispielsweise auf dem Parkettboden und lege mein Kinn auf die Sitzfläche eines Sessels. Oder ich knie vor dem Bett und platziere die ausgestreckten Arme, den zur Seite gedrehten Kopf und den Oberkörper auf der Tagesdecke, als wären sie beim Beten eingeschlafen. Ich halte mich gerne unter Tischen auf; in der Küche, im Wohnzimmer. Das Bügelbrett scheint mir geeignet, ein Bein der Länge nach aufzulegen. Ich denke auch darüber nach, mich mit der Schulter voran in den Fauteuil zu setzen und die Beine über die Lehne hängen zu lassen«.

 

»Von Zeit zu Zeit halte ich mich auch ganz gerne in meinem Kasten auf … Ich stelle mir vor, ich befände mich in einem Fahrstuhl, der zwischen zwei Lebensabschnitten stecken geblieben ist«.

 

»Unlängst habe ich mich zwischen Bettrost und Matratze gezwängt wie ins Innenleben eines Sandwichs«.

 

»Gute Ideen kommen mir auch auf dem Couchtisch sitzend, wobei ich den Teppich nicht nur mit meinen Fußsohlen berühre, sondern, auf der anderen Seite des Tisches, auch mit meinen Händen und Haaren«.

 

Der Ich-Erzähler von Granturismo hält schließlich seinen Kopf in den Kühlschrank, er legt spielerisch seine Handflächen auf die Kochplatten. Die Wohnung wird zu einem einzigen grandiosen Refugium des Rätselhaften.

 

Wieso die anderen Teile des Romans dagegen so stark abfallen, ist schwer zu sagen. Ob der »Reisende« nun draußen herumirrt in einer unterirdischen Stadt, ob er einen Themenpark zur Hallstattzeit besucht, ob er betrunken von Wein ist oder berauscht von psychedelischen Pilzen – sämtliche dieser Einfälle  zerschellen an den Felsen der viel härteren Innenschau im Kern des Buches.

 

Gewiss, auch diese zweite Figur sieht ihren schlimmen Befürchtungen dabei zu, sich zu bewahrheiten. Der »Reisende« zeigt sich entsetzt über Windräder, er flieht Dritte-Welt-Bazare und Rotweinwanderwege – doch was wiegt das schon gegen den Erkenntnisgewinn aus einer wohlgesonnenen Mineralwasserflasche, die sich ganz ohne Zischen öffnen lässt?

 

© Wolfgang Koch 2012

 

Hanno Millesi: Granturismo. Roman, 228 Seiten, Wien: Luftschacht Verlag 2012, ISBN: 978-3-902844-11-8, EUR 21,90

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