vonWolfgang Koch 04.06.2013

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Hermann Nitsch: 31. Aktion, München 1969 / Angaben zum bearbeiteten Foto im Katalog »Hermann Nitsch. Sinne und Sein« (Metroverlag): L. Armbruster, L. Hoffenreich, K. Nievers, Atelier Nitsch, M. Thumberger, Vintageprint auf Holzfaserplatte

Der neue Dilettantismus des Nitsch Museum Mistelbach beschränkt sich nicht auf die Zensur von Aktionsfotos. Die in Wien lebende Hanel Koeck, das weibliche Modell der legendären 31. Aktion von 1969, nennt die Bearbeitung der Bilder im Museumskatalog eine »unverschämte Manipulation« – unverschämt aus zweierlei Gründen:

 

Erstens, weil die Verfremdung der Abbildung praktischen allen wissenschaftlichen Standards bei der Dokumentation von Aktionskunst widerspricht, und zweitens, weil dabei auch noch die Autorenschaft der Fotos selbst vernebelt wird, wie Koeck sagt.  

 

Der Museumskatalog zählt nicht weniger als fünf Namen in der Bildlegende auf: Armbruster, Hoffenreich, Nievers, Nitsch und Thumberger (siebe oben). Rechtlich gesehen liegt das Copyright am Aktionsfoto seit dem Tod des Fotografen Ludwig Hoffenreich zu gleichen Teilen beim Künstler Hermann Nitsch und bei Hanel Koecks Partner, dem Kunsthistoriker und theoretischen Wegbegleiter des Wiener Aktionismus Peter Gorsen.

 

Koeck und Gorsen sind seit Jahren im Besitz der zirka 300 Originalaufnahmen der Münchner Aktion und ihre Rechte wurden bei der Wiedergabe der Bilder im Katalog schlichtweg übergangen. Das kunstsinnige Paar hätte der kuriosen Selbstbezichtigung von Verlag und Museums sicher nicht zugestimmt.

 

Die 31. Aktion im Atelier Zimmer in München soll mehr als zehn Stunden lang gedauert haben, sie war für die Öffentlichkeit nicht frei zugänglich. Es waren damals in zirka 20 Personen als Zuseher und Akteure anwesend, darunter der heute vielgeehrte Filmemacher Peter Kubelka und der Übermaler Arnulf Rainer, dem in Niederösterreich seit 2009 ebenfalls ein Künstlermuseum gewidmet ist.

 

Nitsch hat in späteren Jahren wiederholt erklärt, er sei »in erotisch-sexueller Hinsicht« bei keiner Aktion wieder so weit gegangen wie an diesem Dezembertag in München. Dem Geschehen lag eine Partitur zugrunde, an der das weibliche Modell direkt mitgewirkt hat. Das war für die männlich dominierte Kunst des Wiener Aktionismus mehr als ungewöhnlich.

 

Unter Punkt 19 zum Beispiel heißt es im Regiekonzept: »Hanel steckt mir mehrmals den künstlichen Penis tief in den Mund, bis ich nahe daran bin zu erbrechen. Während sie mir den Penis in den Mund stößt, werden dieser und mein Kopf aus einem Kelch mit Blut und aus anderen Gefäßen mit Eidotterschleim beschüttet«.

 

Nitsch trug bei dieser Ekeldusche ein schwarzes Messgewand mit applizierten Weintrauben, schon nach kurzer Zeit kamen auch Gedärme und stark riechende Teerosen mit ins Spiel, am symbolischen Höhepunkt der Aktion tropfte Blut und Schleim über Koecks aufgeklafftes Geschlecht in einen Messkelch.

 

Im Kunstbetrieb werden solche Schockbilder, die sich ja nur kategorial von denen heutiger TV-Shows wie Dschungelcamp unterscheiden, weder Kindern noch unvorbereiteten Erwachsenen gezeigt, und die Selbstzensur im Museumskatalog scheint diesem Prinzip ja irgendwie Rechnung zu tragen. Doch das scheint eben nur so. Vor Ort in Mistelbach, da passt nämlich einfach überhaupt nichts mehr zusammen.

 

In der Restrospektive werden die Aktionsbilder unverpixelt präsentiert, und zwar Tür an Tür mit einer Schau über Punchkrapfen und Gugelhupf (»Süße Lust – Geschichte der Mehlspeise«). Auf der Website des Museums bewirbt man im Moment eine Halloween-Party im Haus. Und es bestehen keinerlei Zugangsbeschränkungen für die Nitsch-Säle; Kinder bis zehn Jahre in Begleitung der Erziehungsberechtigten zahlen ausdrücklich nichts.

 

Hier, in der Museumspublikation also eine betonte Vorsicht, eine kontraprodukrtive Überkorrektheit, die Nitschs künstlerische Positionen kuratorisch ad absurdum führt, und da, im Museumszentrum selbst ein geradezu fröhliches Chaos aus Lebensmittelgeschichte, dem Blut der Verwandlung, aus Starkult und Familienerlebnis.  – Nein, die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang …

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.museonitsch.org/

http://www.nitsch.org/index-de.html

 

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