vonWolfgang Koch 30.06.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Taschentuch. U-Bahnlinie U1, eine junge Frau um die Zwanzig weint herzzerreißend. Die Fahrgäste beobachten sie peinlich berührt, bis ihr einer zaghaft ein Taschentuch reicht. Als sie kurz auflächelt, verkündet eine Stimme: »Gott sei Dank, sie lacht wieder!«

Noch ein Taschentuch. In einer U1-Garnitur sitzt ein Mann mit einer leicht verletzten Hand. An der offenen Wunde schimmert das Blut. Die gegenübersitzende Dame hält den Anblick nicht aus, zieht ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und überreicht es dem Mann mit den Worten: »Bitte, ich steig eh gleich aus«.

Eigenberechtigung. Zwei alkoholisierte Männer mittleren Alters stehen in der Tür der Bim am Tandlerplatz. Sie öffnen ihre Hosenlatze und pinkeln in hohen Bogen hinaus auf den Gehsteig. Der eine zum andern: »Wos is? Sollns sich ned beschwern, besser aussebrunzn als eine! Wenn ich Lulu muss, muss i lulu«.

Homer 2009. Im Bus 68A auf der Fahrt von Urselbrunnengasse zum Reumannplatz. Zwei nervöse junge Männer tauschen Geschichten aus. »Heast, erzähl ich dir a Geschicht, die is super!« – »Ja, Olda«. – »A Vata hat drei Söhne, den ältesten, einen mittleren und den dritten, verstehst?« – »Ja, drei«. – »Der älteste fladert immer Geld, der mittlere a«. – »Ja, und ?« – »Da Vater ruft seine Söhne zum Bett, weil er stirbt, sagt zum Ältesten, du kriegst Wohnung, da Mittlere kriegt Auto und Geld« – »Und was der dritte Sohn?« – »Jetzt wird’s voll spannend. Der Ditte sagt: Musst ma nix geben Vater«. Der schaut ihn an u. stirbt«. – »Hearst, bist deppert! I hear dir a Stund zua, Olda, des is ka Geschicht!«

Der Zwischenfall. Knallvoller U3-Waggon. Im Einstiegsbereich steht ein älteres Ehepaar mit einem riesigen Koffer. Beim Versuch das Ding aus der Bahn zu hieven, reißt der Henkel mit einem lauten Knall ab. Alle Leute schauen erschrocken, nur ein Mann meint seelenruhig: »Na, hams zwenig einpackt?«

Zug fährt ab. Jemand verpasst den U-Bahn-Anschluss, die Türen schließen, vor der Nase weg ist der Zug. Ein mitfühlendes Mütterlein am Gehstock: »Beim Scheißen soi’s der Blitz treffn, de Hua!«

© Wolfgang Koch 2014

 

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https://blogs.taz.de/wienblog/2014/06/30/heiteres-aus-den-wiener-offis-taschentucher-odyseen/

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kommentare

  • Danke ok, jetzt kann ich über Homer 2009 lachen. Mit Musik und Kopfhörern meinte ich, dass ich mich so ablenken kann bei HochzieherInnen von Naseninhalten. Für den Sichtschutz hilft die aufgeblätterte tageszeitung natürlich besser.

    Das Schöne an Nicknames im Internet ist find ick, dass mensch die ändern kann und verschiedene Namen ausprobieren kann. Bei den echten in der Geburtsurkunde, Ämtern, Arbeit etc ist das bekanntlich umständlicher und kann zu langwierigen Brandmarkungen führen. Ich heiße ab jetzt in einer Hommage an mein lebenslanges Fahren, Leiden und Zeitverbringen in öffentlichen Berliner Nahverkehrsmitteln:
    Öffilia!

  • Grüß taz,

    I bin neu hier als Leserin im Wienblog. Stellen sich mir vier Fragen als Ausländerin (Berlin). Ist eine Bim eine U-Bahn oder eine Bimmelbahn gleich Straßenbahn? Was bedeutet Homer 2009? Fand das Geschehen vor fünf Jahren statt? Querverweis zur Zeichentrickfigur Homer aus der US-Serie Simpsons? Homer aus der Antike?

    Unterhaltsame Erlebnisse aus den “Öffis”, nie gehört die Abkürzung. Ich frag mich in den Öffis bei tropfenden und triefenden Nasen immer, ab wann ich einschreite, ohne überkommene Geschlechter-Stereotype zu bedienen. Danke schön MusikgeräteherstellerInnen für mobile Musik und Kopfhörer!

    +++++++++

    Bim = Straßenbahn
    Homer = antiker Autor der Odysee
    Öffis = Wienerisch für Öffentlicher Personennahverkehr

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