vonWolfgang Koch 17.11.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Ich habe ausreichend bewiesen«, betont der österreichische Künstler und Gesamtkunstwerker Hermann Nitsch, »dass ich nicht politisch bin«, und er sagt das mit der Gewissheit eines vom Dasein verheißenen Heils, dass einem die Worte durchaus verdächtig vorkommen können.

Tatsächlich ist Nitschs Kunst, das Orgien Mysterien Theater, vollkommen frei von politischen Gesten. Dabei hatte der Künstler in seiner langen Karriere viele Berührungspunkte mit politischen Menschen und dem politischem Denken. Das begann mit der Parodie einer »österreichischen Exilregierung« durch die Wiener Avantgardekünstler in den Nachkriegsjahren. Den Aufruf in der ersten Ausgabe des Organs Die Schastrommel 1969 zeichnete Nitsch als »Kaiser für Religion und anderen Fragen«.

Als sich dann in Wien die ersten zarten Pflänzchen der Studentenbewegung rührten, machten sich die politisierten Intellektuellen sofort lustig über den Infantilismus der Wiener Aktionisten.

Ihre Eifersucht war durchaus berechtigt, denn die Aktionisten verkörperten die antiautoritäre Revolte in mancher Hinsicht viel glaubwürdiger als die marxistischen Zirkel und die Satanskultler um ihren ehemaligen Mitstreiter Josef Dvorak. Der Konflikt in der Subkultur führte zu sich über Jahre hinziehenden Wortfechten in der von Günther Nenning herausgebenen Kulturzeitschrift NEUES FORVM.

In den 1970er-Jahren näherten sich Österreichs sozialdemokratische Politiker in Riesenschritten der Kunst und der Kultur. Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte parallel zu den Reformen im Schul- und Bildungsbereich die Öffnung der Partei für Künstler und Intellektuelle ausgerufen. In der Folge hofierten Nitsch bis in die 1900er-Jahre alle möglichen SPÖ-Granden. Seine Schüttbilder zierten nun auch die Wände von Staatskanzleien. Bundesminister Rudolf Scholten, ein prägender Kulturpolitiker der Epoche, deklarierte sich offen als Nitsch-Freund.

Die sozialdemokratische Kulturpolitik akklamierte den Aktionsmaler, der aus dem Exil zurückgekehrt war, wie sie es auch mit dem Bürgerschreck Thomas Bernhard tat, mit dem selbsternannten »Eurostalinisten« Alfred Hrdlicka, dessen neobarocke Skulpturen seither als Mahn- und Denkmale an finstere Zeiten in Hamburg und Wien herhalten müssen.

Wahllos feierten Sozialdemokraten alles, was irgendwie nach Innovation und Aufbruch aussah. Der burgenländische Landeshauptmann Theodor Kery besuchte 1979 bis 1986 regelmäßig den Friedrichshof, in dem der Kommunarde und Künstler Otto Mühl seine »Diktatur der freien Sexualität« eingerichtet hatte, mit sich selbst als unumschränkten Eigner des Jus primae noctis.

Die linksliberale Wiener Kulturschickeria und prominente Jouralisten des Landes hätschelten und tätschelten den psychisch schwerstens gestörten Schriftsteller Jack Unterweger als »rebellischen Star« des Literaturbetriebs, bis ihm die polizeilichen Ermittler elf Prostituiertenmorde nachweisen konnten.

Nitschs Mißtrauen gegen die Aufmerksamkeit von Politikern und Journalisten war also mehr als berechtigt. Die Parteifunktionäre stellten sich den Künstler als einen taubstummen Knecht ihrer Wahlschlachten vor, der ihre absoluten Standpunkte teilte und gehorsam weiter transporierte. Aber Kunstwerke funktionieren nun mal anders, sie bringen neu erfahrbare Gestaltungen hervor und deshalb auch neue Kohärenzen.

Hartnäcktig nachfragende Interviewer überraschte Nitsch gerne mit einem Bekenntnis zum Anarchismus. Der Anarchismus ist seit 1937 keine politische Kraft mehr, sondern ein Hobby von Antiquariatsspezialisten. Nitsch stand zeitweise mit so einem deutschen Leseananarchisten in Briefkontakt. Doch darum ging es gar nicht. In Bohèmekreisen genügte das Wort »Anarchie« immer noch als Code für lebenskünstlerische Unangepasstheit und Widerständigkeit.

Heute gehört es zu den Pointen der Nitschen Vita, dass sich der »steuerzahlende Anarchist«, als der er sich vor zwanzig Jahren hingestellt hat, real unter Verdacht steht, ein gewöhnlicher »steuertricksender Unternehmer« zu sein.

Bei diesem Verdacht braucht aber keine Brust zu zerspringen! In der selbsternannten »Kulturnation Österreich« kann kein Kulturschaffender auf Dauer ohne staatliche Stütze, ohne privates Mäzenatentum oder ohne Atelierverkäufe in der Grauzone der Finanzgesetze überleben.

Dass sich unser Künstler stets von allen politischen Begehrlichkeiten abgegrenzt hat, war ihm nie wirklich von Nutzen. Sein stolzes Nein hinderte Gegner keine Minute, Nitsch als »Staatskünstler« zu denunzieren. Als Begründung genügten da ein paar verspätete Ehrungen, des mittlerweile im Ausland bekannt gewordenen Mannes.

Nitschs Kontakte zu den Grünen gehen auf Madeleine Petrovic und Monika Langthaler zurück. Da die Akademikerpartei an Nitschs Wirkungsstätten nirgendwo an der Macht ist, erschöpfte sich der Kontakt auf erfolglose Vermittlungsversuche zwischen dem Künstler und militanten Tierrechtlern.

Mit den politischen Positionen der Grünen kann der Prinzendorfer so wenig anfangen, wie diese mit dem erklärten Gegner von Windkraftanlagen.

Heute gilt der »anarchistische Staatskünstler« als Intimus des konservativen Spielmachers in Österreich, des mächtigen niederösterreichischen Landeshauptmannes Erwin Pröll (ÖVP). Wer Österreich kennt, weiß, was das bedeutet: Schlagartig haben sich sozialdemokratischen Politiker von den Veranstaltungen des Künstlers zurückgezogen, denn auch kulturelle Sympathien strömen in Österreich nach dem Proporzsystem der beiden ehemaligen Großparteien.

Erfüllen nun das Land Niederösterreich und der Bezirk Mistelbach mit dem Nitsch Museum ihre Pflicht gegen die Kultur? Ja und nein. Für die Leistungsträger der schwarzen Reichshälfte ist Nitsch einerseits eine Art Großstadtpille, die Anschluss an moderne Urbanität und den internationalen Kunstbetrieb verspricht.

Zweitens sind die Konservativen um Pröll herum klug genug, kulturelle Aktivitäten als Wirtschaftsfaktor in der Tourismusbranche anzuerkennen und massiv zu fördern. Die ÖVP-Politiker mögen vordergründig Presse-Events und kulinarische Genüsse im Sinn haben, im Hinterkopf dreht sich bei ihnen alles um die Schaffung von Arbeitsplätzen in ländlichen Randlagen. Das allein kann ihre Wiederwahl sichern.

Die Volkswirtschaft ist der Grund, wieso konservative Politik heute einen Zugang zur zeitgenössischen Kunst suchen; und das ist durchaus verschieden von der Taktik der Sozialdemokraten, die geistige Hegemonie über den Stammtischen durch kulturelle Impulse zu erobern. Gewiss, um Machterhalt geht es in beiden Fällen.

Die Bedeutung von Kultur als Feld der Realitätserfahrung wird in Österreich, trotz gegenteiliger Beteuerungen, marginal behandelt. In der politischen und medialen Diskussion geht es, wie überall, um ökonomische Themen und die Sicherung des Pensionsystems.

Dass Kunst generell eine Sache der auf Imagination beruhenden Rationalität ist und ein Medium, das nachhaltig neue Realitäten zu schaffen vermag – das wird in öffentlichen Auseinandersetzungen vom Gedöns der Politik völlig verdrängt.

© 2014 Wolfgang Koch

 

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