vonWolfgang Koch 24.12.2014

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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»Wer viel reist, behält nichts«, hat der französischen Schriftsteller Jules Renard 1901 in sein Tagebuch notiert. Das mag in unserem Zeitalter, im Zeitalter der Incentive-Reisen und der Wochenendflüge, verschärft gelten, allein Paul Albert Leitner, Österreichs bravouröser Street Photographer, reist viel und reichlich. Er behält dabei nicht nur einiges, er erkennt dabei auch das eigene Selbst in dem Rätselhaften, dem er begegnet.

So sah das Otto Hochreither kürzlich bei einer Eröffungsrede in Graz. Dort nämlich zeigt der stoppelbärtige Künstler in einem romantischen Spiel aus Kapitulation und unglücklichem Bewusstsein Weihnachtsmotive aus aller Welt, und zwar bei den kunstsinnigen Grazer Minoriten.

 Wenn Leitner irgendwo auf der Welt rätselhaften Weihnachtsmotiven begegnete, so Hochreither, dann geschah das in der Regel unerwartet plötzlich. Der kleine, stoppelbärtige Mann blieb irgendwo in China oder in London ruckartig stehen, um ein Foto zu schießen. Aus einer gewissen Höhe, lernen wir, sieht der Künstler eben alles. Ja, das eigene Selbst sieht er: in der rot-weissen Advent-Deko, im Geschenkspapiermüll, im Christbaumkadaver.

Paul Albert Leitner finden nicht einfach das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen, wenn er es findet; er findet, wenn er auf das Kind in Wickeln gewickelt und in einer Krippe liegend stößt, sich selbst, als Künstler.

Das ist tröstlich, geradezu weihnachtlich tröstlich. Für den Eröffungsredner der Ausstellung war es noch mehr als das, nämlich »als Naivität gedachte Subversivität«. Diese taktische Haltung zum Leben verkörpere, wie es hiess, der Künstler und Menschen Paul Albert Leitner als Ganzes.

Unweigerlich denkt man an Agit 883, an die Gugginger Künstler, an Udo Jürgens. Ja, war das Leben dieses Schweizer Staatsbürgers und österreichische Steuersparers denn nicht auch »als Naivität gedachte Subversivität«?

Naiv subversiv am Heiligen Abend in Graz ist vor allem, dass der erklärte Popatheist Leitner nach einer Einzelausstellung im Land der Dalai-Lama-Fresser, also in China, und nach einem Studienaufenthalt in London nun im tiefsten Herz des österreichischen Katholizismus  gelandet ist, im Herzen des kunstsinnigen österreichischen Katholizismus, versteht sich.

Die Grazer Ausstellung wäre eine unvollständige Leitner-Schau, wenn zu den Fotos nicht noch Texte und Erinnerungsstücke kommen würden. Christbaumskelette mit Angaben von Fundort und Datum. Für den Existenzialisten Leitner ist es eben wohltuend, wenn auch Christbäume sterben wie die Menschen.

Im Grund  hat der in Wien lebende Tiroler keinen wirklichen Sinn für Religion. Die in religiöser Hingabe enthaltene Erotik entgeht ihm ebenso wie die Freude am metaphorischen Sprechen der Prediger.

Das macht nichts, ja das macht den Künstler umso empfänglicher für die angeblich fehlende Besinnlichkeit unserer christlichen Weihnachtsfeiern. Aber das Fest der Geburt Jesu ist nun einmal kein leerer Konsumexzess, wie man dieser Tage wieder auf allen Kanälen hören kann.

Alle großen Feste der Menschheit sind mit Verausgabung und Verschwendung verbunden. Im Geben und Nehmen der Geschenke findet die Feierlichkeit überhaupt erst zu sich. Oder im modernen Kunstjargon gesprochen: Das Weihnachtsfest erkennt das eigene Selbst im Rätsel der rauschenden Gaben.

Wie in jedem kernigen Atheisten steckt in Leitner ein trauriger, verlorener Sinnsucher, der glaubt, dass niemand die Widersprüche des Menschlichen besser sehen kann als er: der Küsntler. In dieser Weihnachtsausstellung stehen die Weihnachtsgleichgültigen, die Weihnachtsverächter, die Weihnachtsbekämpfer und die Weihnachtsleidenden am Pranger.

Fotografieren ist hier in Wahrheit ein erfahrungsscheuer Zugriff auf die Welt, ein Ausdruck des Verlierens. Im Unterschied zum Schreiben, wo der Autor des Geschrieben eingedenkt, befördert das Fotografieren ja das Vergessen des Gesehenen.

Fotografien sind die flüchtigen Mementos einer im Zerstörungsprozess und im Verschwinden begriffenen Welt, sind Dokumente eines Bewusstseins, dem wenig an der Fortführung des Lebens gelegen ist.

Die Suchmaschine Leitner sucht nicht. Jedenfalls diesmal sucht sie wenig, was über die Erkenntnis, eben eine Suchmaschine zu sein, hinaus wert wäre, gefunden zu werden.

 © Wolfgang Koch 2014

 Foto: Marika Rakoczy

 

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