vonHans Cousto 12.09.2011

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Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) stellte im Sommer 2001 eine Website zur Drogenaufklärung ins Internet: www.drugcom.de

Die Pressemitteilung Nr. 11 vom 26. Juli 2001 von der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Frau Marion Caspers-Merk, hatte den Titel:
„besoffen, verstrahlt, bekifft, verpeilt“ – http://www.drugcom.de ist online!

In dieser Pressemitteilung wurde „drugcom“ wie folgt vorgestellt:

drugcom.de ist ein Internetportal rund ums Thema Drogen. Hier können Jugendliche chatten, Fragen stellen und ihr Wissen über Alkohol, Tabak und illegale Drogen wie Ecstasy oder Cannabis testen. Das Projekt ging am Love-Parade Wochenende ans Netz und hatte bereits in den ersten zwei Tagen über 37.000 Zugriffe. Am häufigsten wurden dabei Fragen zu Cannabis gestellt.

Ziel des Projektes ist es, Jugendliche auch außerhalb der Techno-Party-Szene ansprechen. Ein wesentlicher Schwerpunkt soll die Vermittlung von Wissen über die verschiedenen Substanzen (Drogenwissen) und die kritische Reflexion eigener Drogenerfahrung sein. Das Angebot soll personalkommunikativ sein, d.h. einen Dialog von Diskussionen bis hin zu Beratungsgesprächen ermöglichen. drugcom.de ist ein „atmendes Medium“. Wenn sich neue Projekte vorstellen wollen, wenn Wissensfragen ergänzt werden müssen, wenn aktuelle Informationen auftauchen – im Internet können diese Änderungen jederzeit und schnell eingearbeitet werden.

Wettbewerb Drogenkompetenz

Auf den Seiten von „drugcom“ waren seinerzeit zahlreiche falsche Angaben (Fehler), irreführende Angaben (Täuschungen) oder suggestive Angaben (Manipulationen) zu finden. Deshalb veranstaltete Eve & Rave Berlin zu Ostern 2002 den „Wettbewerb Drogenkompetenz – Fehlersuche auf www.drugcom.de“. Inhalt des Wettbewerbs war das Auffinden dieser Fehler, Täuschungen und Manipulationen.

Die Tatsache, dass „drugcom“ vor allem verunsichern und überhaupt nicht aufklären wollte, konnte man deutlich am Beispiel der gegebenen „Informationen“ betreffend Streckmitteln in Ecstasypillen sehen. In der Ergänzung zu den Antworten zur Frage 5 im Test zu Ecstasy „Welche der folgenden Wirkungen ist typisch für Ecstasy?“ konnte man nach dem Anklicken von Faktoren, welche die Wirkung von Ecstasy beeinflussen, unter dem Zwischentitel „Zusammensetzung der Pille“ folgendes lesen:

Analysen haben gezeigt, daß die Pillen praktisch nie reines MDMA enthalten. Im günstigsten Fall sind noch andere entaktogen wirkende Substanzen enthalten, oft aber auch Speed, meistens noch andere Verschnittstoffe.

Das BKA meldete demgegenüber im Rauschgiftjahresbericht 2000 auf Seite 91 folgende Zahlen betreffend Reinheitsgehalte von Ecstasypillen und Kapseln:

Für insgesamt 935.186 Tabletten und Kapseln – im Folgenden als Konsumeinheiten (KE) bezeichnet – wurden die Wirkstoffgehalte mitgeteilt. 92,7 % der Konsumeinheiten enthielten einen psychotropen Wirkstoff (Monopräparate), während bei 7,3 % zwei und drei Suchtstoffe festgestellt wurden (Kombinationspräparate).

Von den 852.736 Monopräparaten enthielten 98,4 % 3,4-Methylendioxy-methamphetamin (MDMA), 1,2 % Amphetamin und die verbleibenden 0,4 % Methamphetamin, 3,4-Methylen-dioxy-N-ethylamphetamin (MDE), 4-Brom-2,5-dimethoxy-amphetamin (DOB), 4-propylthio-2,5-dimethoxyphenethylamin (2C-T-7) und 3,4-methylendioxyamphetamin (MDA). Bei den gemeldeten Kombinationspräparaten handelte es sich um Mischungen von MDMA /MDE, MDMA/MDA, MDMA/Methamphetamin, MDMA/Amphetamin MDA/Amphetamin oder MDMA/MDA/Amphetamin. Die am häufigsten gemeldeten MDMA/MDE-Zubereitungen enthielten durchschnittlich 36 mg MDMA und 22 mg MDE pro Konsumeinheit (als Base berechnet).

98,4 Prozent aller Monopräparate respektive 91,2 Prozent aller untersuchten Proben aus dem Jahr 2000 enthielten gemäß BKA ausschließlich den Wirkstoff MDMA. Demzufolge war die Angabe bei „drugcom“, dass Analysen gezeigt hätten, dass die Pillen „praktisch nie“ reines MDMA enthielten, falsch. Der durchschnittliche Gehalt an MDMA lag gemäß BKA im Jahr 2000 bei 64 Milligramm (als Base berechnet) respektive 76 Milligramm (als Hydrochlorid berechnet). Auch die Formulierung „im günstigsten Fall sind noch andere entaktogen wirkende Substanzen enthalten, oft aber auch Speed, meistens noch andere Verschnittstoffe“ bei „drugcom“ war genauso wirklichkeitsfremd. Bei „drugcom“ waren 91,2 Prozent „praktisch nie“, 1,2 Prozent „oft“ und 0,4 Prozent „meistens“ (die 7,3 Prozent der Kombinationspräparate sind in den letztgenannten Zahlen nicht berücksichtigt, wobei der gewichtigste Anteil bei diesen Zubereitungen die Kombinationen verschiedener entaktogener Wirkstoffe darstellte.

Die Analyse der Angaben bei „drugcom“ offenbarte, dass dieses Projekt der BZgA sich auf dem Niveau der übelsten polemischen Artikel der Boulevardpresse bewegte. Als Aufklärung konnte man das beim besten Willen wirklich nicht bezeichnen. Deshalb wurde der Wettbewerb Drogenkompetenz durchgeführt.

Ergebnisse des Wettbewerbes Drogenkompetenz

In einem „Ersten Zwischenbericht“ zum Wettbewerb Drogenkompetenz sind außer einer Auflistung gefundener Fehler eine präzise Analyse zur Verwendung der Begriffe „Sucht“ und „Abhängigkeit“ bei „www.drugcom.de“ zu finden. Der Zwischenbericht wurde auf der neu gestalteten privaten Website www.drogenkult.net der Redaktion des Webteams von www.eve-rave.net veröffentlicht, weil der Vereinsvorstand Tibor Harrach diese Aktion „gar nicht lustig fand“ und sich dagegen verwahrte, dass die Ergebnisse auf www.eve-rave.net veröffentlicht werden. Dies fanden wiederum einige Mitglieder des vereins „gar nicht lustig“ und verließen den Verein.

Ein Endbericht wurde nie veröffentlicht, da die Macher von „www.drugcom.de“ sehr schnell auf die Ergebnisse des Wettbewerbes reagierten und innert kurzer Zeit die meisten Fehler korrigierten und viele Texte gänzlich überarbeiteten. Eine Szeneorganisation hat somit mehr für die Qualität von „www.drugcom.de“ bewirkt als alle Instrumente zum Qualitätsmanagement respektive zur Qualitätssicherung der BZgA. Dies war im Jahre 2002.

Neun Jahre später

Die Website „www.drugcom.de“ sieht seriöser aus als zu Beginn des Jahrtausends. Jeden Monat erscheinen Besprechungen von wissenschaftlichen Studien zum Thema Drogen, die jeweils mit Quellenangaben versehen sind. Man gewinnt den Eindruck von umfassender und gut recherchierter Information. Doch bei genauerem Hinsehen bemerkt man dann, dass gewisse Themen systematisch ausgeblendet werden: z.B. Drug-Checking.

Drug-Checking

In keinem redaktionellen Beitrag findet man Informationen zum Thema Drug-Checking – in manchen Publikationen auch Pill-Testing genannt. Diese Begriffe sucht man vergeblich in den Topthemen, im Drogenlexikon, im Abschnitt Drogen, bei den Wissenstests und im Bereich FAQ (häufig gestellte Fragen). Offenbar will die BZgA nicht, dass sich die Leute über dieses Thema informieren können – zumindest nicht auf ihrer Website. Dabei ist zu bemerken, dass Drug-Checking in verschiedenen Nachbarländern von Deutschland seit vielen Jahren erfolgreich in den Maßnahmen zur Schadensminderung eingesetzt wird und heute auf höchster politischer Ebene auch in Deutschland diskutiert wird.

Harald Dähne und Stephan Meyer haben im Rahmen der wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages im Februar 2009 die Studie „Substanzanalyse von Drogen („drug checking“) – Rechtliche Implikation“ fertig gestellt. Und Bündnis 90/Die Grünen wollen die gesundheitlichen Risiken des Drogenkonsums durch ein Drug-Checking verringern. Ihr Antrag (17/2050) wird am Mittwoch, 28. September 2011, Gegenstand einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Gesundheit unter Vorsitz von Dr. Carola Reimann (SPD) mit 24 Sachverständigen sein. Zudem stellte die Fraktion Die Linke am 1. September 2011 eine kleine Anfrage zum Thema „Drug-Checking als aktiver Gesundheitsschutz“ beim Deutschen Bundestag.

Auch in Berlin wird das Thema auf höchster Ebene diskutiert. Am 6. April 2011 stellte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen  beim Berliner Abgeordnetenhaus den Antrag „Prävention stärken und Drogenrisiken senken mit Drugchecking“ und am 20. Juni 2011 gab es eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zugunsten dieses Antrages (mehrheitlich – mit SPD, Linksfraktion und  Grüne gegen CDU bei Enthaltung FDP). Auch drei Parteien haben vor der Wahl zum Abgeornetenhaus in Berlin das Thema Drug-Checking in ihrem Wahlprogramm aufgenommen: Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und die Piratenpartei. Die drogenpolitischen Passagen aus den Wahlprogrammen hat der Deutsche Hanfverband in einer Übersicht zusammengestellt.

Weitere Informationen zum Thema Drug-Checking findet man auf der Website des inzwischen vakanten Vereins Eve & Rave Berlin wie auch auf der Website der Drug-Checking Initiative Berlin-Brandenburg wie auch auf diversen Websites anderer Anbieter von fundierten Drogeninformationen – nur eben nicht auf „www.drugcom.de“.

Fishing for compliments …

Die BZgA sucht nach Komplimenten für ihr Machwerk und hat eigens dafür eine Sparte „fishing for compliments“ eingerichtet. Wer durch die Medien auf das in Deutschland und vor allem auch in Berlin aktuell intensiv diskutierte Thema Drug-Checking aufmerksam geworden ist und dann vergeblich auf der Website „www.drugcom.de“ nach Informationen suchte, wird sicherlich nicht angeregt worden sein, Komplimente zu übermitteln. So aktuell die Topthemen auch erscheinen mögen, ein Topthema hat die BZgA systematisch ausgegrenzt. Auch das nennen Journalisten Manipulation – neutrale Information und korrekte Wissensvermittlung sieht anders aus.

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