vonHeiko Werning 07.05.2009

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Ein neu entdeckter Vertreter der Gattung Boophis im Ranomafana-Wald in Südostmadagaskar Foto: M. Vences

Ein neuer Rombophryne aus dem Schutzgebiet Foret d’Ambre Foto: F. Glaw

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Dass es noch manche unbekannte Art auf der Welt zu entdecken gibt, ist ja keine Neuigkeit. Und dass es neben diesen jährlich neu beschriebenen Arten eine ganze Reihe weiterer längst entdeckter und bekannter Spezies gibt, die eben noch nicht formal beschrieben werden konnten, z. B. aus Zeit- und Geldgründen, weiß auch jeder „Insider“.

Was meine Kollegen Miguel Vences, Frank Glaw, Katharina Wollenberger und weitere Forscher nun aber vorgelegt haben, ist schon auf besondere Weise beeindruckend. Sie haben erstmals den Versuch einer vollständigen Inventarisierung der gesamten Froschfauna Madagaskars mittels genetischen Screenings unternommen. Dafür wurden 2850 Frösche von 170 Fundorten genetisch untersucht. Die Ergebnisse wurden auf dem gerade im Zoologischen Forschungsinstitut Alexander Koenig in Bonn tagenden Symposium zur Ökologie tropischer Wirbeltiere der Öffentlichkeit vorgestellt und gleichzeitig in den Proceedings of the National Acadamey of Sciences veröffentlicht und schlugen hohe mediale Wellen.

Völlig zu Recht: Denn das Problem der klassischen Taxonomie ist, dass die formale Neubeschreibung einer Art extrem aufwändig ist. Zu aufwändig, wie Vences schon vor Jahren vertrat, denn angesichts des massiven Artenschwunds bleibt uns überhaupt nicht mehr die Zeit, alle Arten sozusagen Stück für Stück aufzuklären, nach fixen Merkmalen zu suchen, gegen ähnliche Arten abzugrenzen und so zu beschreiben. Mit schnellen DNA-Tests dagegen lässt sich mit einer recht hohen Sicherheit sagen, ob man es mit unterschiedlichen Arten zu tun hat oder eben nicht. Kombiniert man dieses sogenannte DNA-Screening mit anderen Parametern wie dem Fundort und den Rufen der Frösche, bekommt man bereits ein sehr sicheres Ergebnis. Man weiß dann noch längst nicht, an welchen Merkmalen im Aussehen sich beispielsweise zwei ähnliche Arten unterscheiden, aber man kann klar sagen: die sind unterschiedlich. Vences, Glaw und Kollegen haben dies nun auf ihrer „Forschungsinsel“ Madagaskar (beide arbeiten dort seit langen Jahren und haben auch die entscheidenden Bücher zur dortigen Herpetofauna vorgelegt) erstmals systematisch an Fröschen ausprobiert, und das Ergebnis ist frappierend. Rund 130 noch unbeschriebene Arten haben sie auf diese Weise „enttarnt“ und damit die Zahl der für Madagaskar bekannten Froscharten von 244 auf 373 nach oben katapultiert, möglicherweise sind es sogar 465.

Das ist nicht nur an sich schon sehr interessant, es ist in seiner Bedeutung geradezu spektakulär. Denn diese Zahlen sagen unterm Strich nichts anderes aus, als dass der Schwund der Biodiversität noch um Größenordnungen bedrohlicher ist als bislang bekannt. Manche der neu aufgespürten Arten, etwa ein Frosch aus der Gattung Platypelisy, haben nur winzige Verbreitungsgebiete von Restwaldfragmenten der Größe 100 x 100 m, man muss also davon ausgehen, dass bei fortschreitender Zerstörung der Lebensräume der Verlust an Arten noch einmal um Dimensionen größer ist als bisher angenommen. Und das wird nicht nur für Madagaskar gelten, der Inselkontinent im Indischen Ozean ist lediglich der Erste, für den eine solche Komplett-Inventarisierung vorliegt. So bedeutet der scheinbare Anstieg der Artenzahlen in Wirklichkeit das exakte Gegenteil: Das Artensterben ist noch viel gravierender, als bislang angenommen.

Ein sehr schöner, ausführlicher Artikel von Joachim Müller-Jung dazu erschien gestern in der FAZ und ist online kostenfrei einsehbar.

Bedrohte Schatzkammer für unzählige Arten: Primärregenwald auf der Madagaskar vorgelagerten Insel Nosy Bé Foto: F. Glaw

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https://blogs.taz.de/130_neue_froscharten_auf_madagaskar_entdeckt/

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