Nett, dass sie mal in Berlin vorbeigeschaut haben, die Milchbäuerinnen. Jetzt sind sie wieder abgezogen. Frau Merkel wollte nicht mit ihnen reden, Herr Sonnleitner distanzierte sich von der Aktion und bezeichnete die Forderungen als unrealistisch. Nur der nette Herr Seehofer kam vorbei. Immerhin haben es die Bäuerinnen in die Tagesthemen geschafft. “Wie es jetzt ausgeschaut hat, lässt uns die Frau Merkel ja hier verhungern,” schimpfte Christine Seebichler auf die kaltherzige Kanzlerin gegenüber dem Spiegel und den Gefallen wollte sie ihr dann doch nicht tun. Da geht sie lieber erst mal zurück nach Neubeuern zu ihren drei Kindern, dem Mann und den 50 Kühen und denkt sich was Neues aus. Worum es bei der Auseinandersetzung geht, ist freilich vielen Berlinerinnen und Berliner verborgen geblieben. Es geht schlicht darum wer bestimmt wie künftig in Deutschland Milch produziert wird: Aldi und die Bauernfunktionäre oder die Bäuerinnen und Verbraucher.
Gerd Sonnleitner vom Deutschen Bauernverband meint, die Bauern müssten der Wahrheit ins Gesicht sehen und die sei nun mal die des Marktes. Was er dabei geflissentlich verschweigt ist, dass dieser Markt von AgrarministerInnen und Bauernfunktionären in Brüssel eingerichtet wird und deren Ziele andere sind als die der Milchbauern. Die Überproduktion, die von der EU und der Milchindustrie systematisch gefördert wird, führt dazu, dass nur die Größten überleben: Hochsubventioniert und auf Kosten der Umwelt und der Dritten Welt. Kühe auf der Weide und Bauernhöfe mit 20 bis 50 Kühen sind nicht marktkonform in dieser Welt. Fabriken müssen her, in denen die Hochleistungsviecher am Rande ihrer Leistungsfähigkeit wie Maschienen gehalten werden. Frische Milch ist nicht marktkonform – “Länger frisch”, die neue H-Milch unter falscher Flagge, hilft dem Weltmarkt in die Regale.
Milchquoten, die die produzierte Menge an die Nachfrage anpassen, sind nicht marktkonform. Exportsubventionen, mit denen die Überschüsse zu Schleuderpreisen in alle Welt verschifft werden und dort die lokalen Milchbauern kaputt machen, das gefällt den Müller-Milchs der Republik, die damit gutes Geld verdienen, Steuergeld.
Billig-Importe von Futtermitteln aus Übersee (vorzugsweise gentechnisch verändert) sogar aus Ländern, in denen Hunger herrscht, sind marktkonform.Billige Butter aus Neuseeland ist ebenso marktkonform wie deutsche Billigbutter in Afrika. Nur der gesunde Menschenverstand und die einfachsten Regeln der ökologischen Effizienz, die sind nach wie vor weltfremd.
Leider erklärt auch der Bund Deutscher Milchviehhalter all diese Zusammenhänge bisher noch unzureichend auf seiner Webseite.
Campact erklärt zwar, dass faire Milchpreise in der Dritten Welt durch die Exportsubventionen kaputt gemacht werden und Heike Makatsch protestiert dort als Oxfam-Botschafterin mit. Aber was faire Milchpreise in Deutschland bedeuten erfahren wir dort nicht.
Greenpeace erklärt uns welche Milch ohne Gentechnik erzeugt wird und auch der BUND macht sich für “Ohne Gentechnik” stark; aber die Milchbäuerinnen kommen bei dieser Kampagne auch noch nicht richtig vor.
Die nordhessische Upländer Bauernmolkerei gibt uns eine Ahnung von den Zusammenhängen.
Doch nach wie vor fehlt uns der direkte und praktische Zusammenhang zwischen der Milchtüte im Regal und der Kuh auf der Weide. Solange der nicht zustande kommt, können die Politiker bedauern, der Bauernverband seinen speziellen Realismus verbreiten und die Bäuerinnen einpacken und wieder nach Hause fahren. Dabei könnte der Weg von der Melkmaschiene zur Latte macchiato sich als kürzer und einfacher erweisen als mancher, der an seinem Rand verdient, verdummt und Schaum schlägt, heute noch hoffen mag.
Keine Sorge: Die Bäurinnen kommen zurück. Die Milch, immerhin der wichtigste Wirtschaftsfaktor der deutschen Landwirtschaft, wird noch lange ein Reizthema bleiben. Kein Produkt eignet sich besser dazu, den scheinbar unumstösslichen Gesetzen eines betrügerischen Marktes gemeinsam ein Schnippchen zu schlagen.
Sie werden es schaffen. Denn es waren, wie mann so sagt, echt starke Frauen, die nicht so aussahen als würden sie bald aufgeben.
Bis dahin empfehlen wir für’s erste Biomilch.