Komisch, wie hastig die Zeit so vergeht. Mit einer „Woche der Widerspenstigen“ wird derzeit der glorreichen Hausbesetzerbewegung gedacht, die vor dreissig Jahren in West-Berlin ihren Höhepunkt erlebte. 1981 waren über über 150 Häuser, vor allem, aber nicht nur in Kreuzberg besetzt. In Schöneberg, Charlottenburg, Wedding, selbst im fernen Zehlendorf gab‘s besetzte Häuser. „Die Heerschar von Spekulanten (…) wurde kollektiv zurückgeschlagen“ (Flyer). Tausende BesetzerInnen machten Initiativen. Nachbarn, Projekte, Kollektive, die AL und mehr oder minder prominente Hauspaten, wie Günter Grass waren auch dabei. Da und dort am Rande der „Häuserbewegung“ gab es Krawalldemos. Die Aussenwirkung war groß. Viele junge Menschen aus „Wessiland“ zogen schnell nach Berlin, um mitzumachen. Etwa die Hälfte der Häuser wurden später legalisiert, die Nicht-Verhandler geräumt und nach 89 gab es dann einen langen Sommer der Anarchie im Ost-Teil der Stadt, wo etwa 120 Häuser besetzt waren, der bis zur Räumung der Mainzer Straße im November 1990 andauerte.
Mit der „Woche der Widerspenstigen“, die am letzten Freitag nicht festlich eröffnet wurde, sondern einfach so losging, versucht man herauszufinden, was von der „Häuserbewegung“ der 80er und 90er Jahre übriggeblieben ist. Vor allem soll es auch darum gehen, eine Brücke zwischen damals und heute zu schlagen. Grad in den letzten Jahren hat die Gentrifizierung ja bekanntlich nicht geschlafen. Selbst die CDU, die damals auf Plakaten dafür kritisiert worden war, dass sie statt „Wohnungspolitik“ den „Bürgerkrieg“ plane, findet das nicht so gut. Trotzdem ist der Traum vom selbstbestimmten, nicht entfremdeten Leben im Kollektiv besetzter Häuser angesichts der herrschenden Verhältnisse schwerer zu verwirklichen als damals. Auch die Häuser, die zur Besetzung taugen, sind rarer gesät. Seit Jahren fällt einem immer nur die Schlesi 25 ein, ein schönes fast entmietetes Haus in bester Lage, das mehrmals vergeblich besetzt worden war.
Nicht weit davon, in der Lausitzer Straße, liegt bekanntlich die „Regenbogenfabrik“, die vor 30 Jahren besetzt worden war. Vier Leute von damals sind auch noch dabei und dazu gehört auch noch ein Hostel, in dem nette Touristen mit einer „PEACE“-Fahner begrüßt werden. Im Veranstaltungs-, Kneipen- und Kinoraum gibt es keine Hightech; dafür sitzt man superbequem auf alten Sesseln und Sofas.
An der Wand kopierte Zeitungsberichte von früher. Ein Kommentar der „WELT“ wettert gegen „Grüne Lümmel“. Auf der Leinwand wird der 1981 gedrehte Hausbesetzerklassiker des Novemberkollektivs „Schade, dass Beton nicht brennt“ gezeigt. In dem Film werden Neubauwohnungen denunziert, weil sie so seriell und klein sind. Handwerklich begabte und tierfreundliche junge Leute besetzen ein Haus und freunden sich mit alten Leuten an. Eine alte Frau sagt: „Ich bin gern lustig und mache Schabernack“. Andere alte Leute ignorieren die jungen Leute, weil die erst nachts zu leben anfangen. In Latzhosen und Norwegerpullovern versucht man sich am selbstbestimmtem Leben und daran, eine Infrastruktur für Besetzer mit Materiallagern usw. zu schaffen. Thematisert wird der nutzlose Abriß alter Häuser. Immer wieder sieht man Abrissbirnen auf wehrlose Häuser einhauen und Demonstrationen junger Aktivisten, die rufen „Eins, zwei, drei – lasst die Leute frei“, wenn Genossen von Polizisten festgehalten werden. Die Demonstrationsformen wirken komisch, wenn sich etwa 30 Leute an den Händen halten und vor Polizisten provozierend herumhüpfen; die Agitations-Lieder eher uncool und naiv. „Wir wollen keine Polizisten/ wir wollen keine Staatsgewalt …“, unsre Herzen sind warm, eure Herzen sind „kalt“ zur Melodie von „Just another brick in the wall“. Es geht darum, nicht nur zu „ackern“, sondern auch noch ein bißchen zu leben. Freunde, die „eingefahren“ sind, spielen auch eine Rolle. Eine Besetzerin erzählt von einem Traum, in dem die Polizisten unterstützt von amerikanischen GI‘s mit MG‘s angreifen. Damals hatten die Amerikaner tatsächlich noch in Kreuzberg geübt. Die Verhältnisse, das Kreuzberg, von denen der Film berichtet, wirken ganz schön lange her. Türken tauchen kaum auf; ein Türke, der auch in dem Haus wohnt, hat keinen Eigennamen, sondern wird nur „der Türke“ genannt.
Am nächsten Tag bin ich auf dem Strassenfest in der „Reiche“. „Dota“, eine junge Liedermacherin, singt gerade ein paar schöne Lieder. Ich treffe eine Bekannte, die neulich auch beim Versuch, die „Schlesi 25“ zu besetzen, dabei war. Mieter-Inis informieren. Die multilinguale anarchistische Bücherei „Tempest“ ist auch dabei. Da und dort gibt es Essen. Am Rande stehen drei junge Männer mit einem Schild „Free Hugs“. Niemand umarmt sie. Drei türkische Jungs machen sich über sie lustig. Dann erbarmt sich doch eine Frau. Einerseits wirkt alles ein bißchen bieder; andererseits ist das Nebeneinander doch sehr vielfältig. Man sieht türkische Kinder mit CDU und SPD-Ballons, Punks mit Iros, einen Mann mit T-Shirt, auf dem steht „Vegan Anarchists – don‘t forget to smash the state!“, Babys, die einen Slalom entlangkrabbeln und am Rande steht Jan Stöß, der Bürgermeisterkandidat der SPD. Man spricht ein paar Worte, er wirkt sehr sympahisch!
Jan Stöß, SPD
Später am Abend zeigt der Dokumentarist Gerhard Schumacher in der Galerie ZeitZone in der Adalbertstraße Super-8-Filme von damals. Die dvd‘s hatte er erst kurz zuvor zusammengestellt. Die kleinen Filme waren Teil gegenöffentlicher Tagesschauen sozusagen, die im Umfeld besetzter Häuser usw. gezeigt wurden. Zehn Leute sind gekommen und gucken auf einen I-Mac, in dem die Filme laufen. Vor allem gibt es mit Rockmusik untermalte Straßenschlachten. Bilder vom Hüttendorf in Gorleben. Als Schüler war ich da auch oft gewesen. Dann die furchtbare Szene des Todes von Klaus-Jürgen Rattay am 22.9.1981. Man sieht wie der 18jährige Hausbesetzer am Rand einer Demo in der Potsdamer Straße von einem Bus zu Tode geschleift wird. Schumacher sagt, es sei fast ein Wunder, dass nicht noch schlimmere Sachen passiert sind und dass Rattyas Tod die Gemüter auf beiden Seiten beruhigt hätte.
Später zeigt er noch andere Filme aus der Zeit zwischen Anfang der 70er und Ende der 80er und erzählt von früher. Der ökonomische Druck war nicht so groß gewesen, „man hat gemacht, was man wollte. Ich musste für meine Magisterarbeit keine einzige Klausur schreiben.“ Ein junger Mann ist auch gekommen. Er sagt so in etwa, er sei auf der Suche nach Leuten von damals, deren Herzen nicht erkaltet sind.
Sonntagnachmittag bin ich im Hof eines ehdem besetzten Hauses am Fraenkelufer. Alles sieht richtig schön aus mit Garten, so dass man gleich neidisch ist auf das Kollektiv der dort Wohnenden. Im Hof sind Schwarz-Weiss-Fotografien ausgestellt. Viele Schlachten- und Demobilder, aber auch Innenansichten. Es ist heiss. Später bildet sich ein Kreis und die Leute sollen was erzählen. Gutgelaunt sagt ein braungebrannter alter Kämpfer, er wolle nun doch noch einmal ein Fass aufmachen. Es geht um Verhandler, Nichtverhandler und um „Verräterschweine“. Dass in dieser Zeit als noch Genossen im Knast waren, Verhandeln Verrat gewesen sei, dass Hausbesetzen cool war, bis dass die Hippies kamen, dass taz und AL die „Parasiten am Arsch der Bewegung“ gewesen wären; dass „wir“ doch weit mehr gewollt hatten als Freiraum. Dass es den Aufrechten um die „völlige Eskalation“ gegangen sei. Dass er die Hippies in der Winterfeldstraße ja eigentlich auch nett gefunden hätte, aber die seien dann ja auch von ihm und seinen militanten Kollegen verteidigt worden, als ihr Haus beinahe geräumt worden wäre, weil die sich nicht selber hätten verteidigen können. Bei Streiks wäre es immer wichtig zu checken, wo die Streikbrecher sind und die müssen dann unter Druck gesetzt werden. Er erzählt, wie sein Nichtverhandlerhaus ein tolles Angebot bekommen hatte und wie sie dann so empört gewesen waren über das unmoralische Angebot, dass sie ein Büro der GSW besucht und verwüstet hätten.
Der Genosse sprach gerne und gut. Wenn er von „Feinden“ sprach, erinnerte das an Carl Schmitt und die RAF. Er wirkte sehr hochmütig und irgendwie auch so, als würde er die doch sehr verachten, die sich von den großen revolutionären Perspektiven verabschiedet und versucht hatten, wenigstens ihr unmittelbares Umfeld, ihr Leben in den Häusern, gut zu gestalten. Ich spreche ihn nicht an, weil ich genervt bin. Sein Vorwurf war „Verrat“. „Wenn ihr verhandelt, kriegt ihr ein‘n auf die Fresse!“
Ich hab mit meinen Genossen auch eure Häuser verteidigt, ich bin dafür in den Knast gegangen und ihr habt hinter unserem Rücken viel zu früh verhandelt. Deshalb will ich euch hier mal in eure schöne Suppe spucken. Sein Vorwurf richtete sich an keinen der Anwesenden, sondern war eher allgemein. Anders als bei denkwürdigen, meist persönlichen Streitereien 1998, bei den Feierlichkeiten zu 30-Jahre-68, war diese Streiterei auch nicht hysterisch; der Revolutionär hatte Spaß an seinem Auftritt und die Leute vom Haus in der Fraenkelstraße reagierten vernünftig und sachlich.
Die anderen erzählten vom Versuch, ein anderes Leben zu leben. Nicht so atomisiert und entfremdet; andre Formen von Gemeinschaft und Sexualität wie in der Zehlendorfer „Villa Lima“ auszuprobieren. Oder wie es ja tatsächlich in dieser Szene von 160 besetzten Häusern plus Umfeld eine Infrastruktur gab, in der man auch ohne Geld leben konnte. Mit geklautem Strom und Kohlen, eigenen Medien, Kulturprogramm, Kiez-Miliz, Volksküche, Kampfsportgruppen, Materiallagern usw. usf. Ich beneidete die Leute um ihre kollektiven Erfahrungen. Viele junge Leute waren an diesem Nachmittag nicht dabei.
Abends im Mehringhof gibt es die nächste Erzählrunde während es draussen gewittert. Es geht darum, wie und ob es möglich ist, die eigenen politischen Erfahrungen an die Jugend weiterzugeben. Eine 44jährige Frau, die von 68ern erzogen worden war, erzählt, wie ihr vom Jugendamt ihr damals empfohlen hatten, in ein besetztes Haus zu gehen und dass das „auch Missbrauch“ gewesen war, „wie wir damals durch die Betten hüpften“.
Die Selbstverständlichkeit mit der von „Repression“, „Widerstand“, „Bewegung“, „Rebellion“, „linksradikal“ und „Veränderung“ gesprochen wird, erstaunt einen dann doch, wenn man nicht mehr in diesem Diskurs drin steckt. Und auch, dass die Leute hier nichts von der Technobewegung mitbekommen hatten. Und das Seltsame ist, dass die Pausengespräche danach so entspannt und normal sind. Während es draussen gewittert.
Ich frage eine Ex-Besetzerin, die als Arzthelferin arbeitet, was sie unter „linksradikal“ verstehe oder was der Unterschied zwischen „links“ und „linksradikal“ wäre. Oft kam es mir ja als Jugendlicher ganz naiv so vor, als wäre „links“ gut, aber „linksradikal“ eben noch besser, weil irgendwie noch viel konsequenter zu den Wurzeln gehend, wie es in anarchistischen Lehrbüchern meist hieß. Oder man denkt an diesen Aufsatz von Lenin über kleinbürgerliche Linksradikale. Sie sagt, der Unterschied liege in der Aktionsform. Linksradikal seien die, die militant sind.
Dann spreche ich mit B., der mir schon tagszuvor bei einer anderen Veranstaltung begegnet war. Wir sprechen über „Feinde“, ob für ihn „Bullen“ – ich sag‘s glaub ich tatsächlich, obgleich ich mich in irgendwann in den 90er entschieden hatte, nicht mehr „Bullen“ zu schreiben – „Feinde“ wären. Ja klar, und die Geschichten von früher, dass ein Bekannter von ihm auch „Bulle“ wäre und irgendwann, als der Bekannte übel über seine Gegner beim ersten Mai gesprochen hatte, hätte er sich dann auch als Gegner zu erkennen gegeben. Ich sage, dass ich diese Feindeserklärungen doof finden würde. Dann reden wir über andre Themen. Es ist ein sehr angenehmes Gespräch. Wie schon bei Jan Stöss oder den Leuten beim Stand der Grünen an der Admiralbrücke, hab ich auch hier das Gefühl mit Leuten zu sprechen, die vernünftig sind und sag das nachher auch zu meinem Freund C., der eher so Theorie macht mit Lacan und allen Schikanen: auch die Linksradikalen sind eine gute Partei! Sozusagen.
Er erzählt von dem von der „Anarchistischen Föderation Berlin“ veranstalteten Workshop „Generationsübergreifende Wissensweitergabe“, an dem er am Nachmittag teilgenommen hatte. Er hat auch einen Sohn und macht sich Gedanken. Mir kommt es völlig normal vor, wenn Kinder andere Ansichten entwickeln als ihre Eltern und ich finde das auch nicht weiter schlimm. Eher würde es mich erschrecken, wenn die Kinder so folgsam nach den Wünschen der Eltern gerieten. Dass es auch naheliegend ist, das anders zu sehen, fällt mir erst auf dem Heimweg ein.
Bis zum 18.9. gibt es noch sehr viele Veranstaltungen an vielen Orten, auch im kreuzberger Rathaus. Hausbegehungen, Erzählcafés, Lesungen, Fotoausstellungen, Filme usw. usf. Das Programm ist auf der Seite: www.geschichte-wird-gemacht.net. Sehr interessant ist auch eine Veranstaltung über Traumabewältigung und Burn out nach/bei politischen Aktivitäten am 15.09. in der Reichenberger Straße 58.