Waren bei der letzten Volkszählung im Jahr 2002 noch knapp 3.800 Inselbewohner registriert worden, schätzt man die Wohnbevölkerung heute schon auf 5.000 – von denen die indigenen Insulaner lediglich 40 Prozent ausmachen. Immer mehr Chilenen, die die Neugier nach Rapa Nui führt, lassen sich dort nieder, weil sie den entschleunigten Lebensrhythmus der Südsee liebgewonnen haben. Auch viele Ausländer haben Hanga Roa, die (Haupt-)Stadt der Insel, zum Wohnsitz erkoren, hinzu kommen Jahr für Jahr zehntausende Touristen. Den Alteingesessenen stinkt das zunehmend, auch im Wortsinn, denn das System der Müllentsorgung ist auf solche Menschenmengen nicht eingestellt. Das Leben sei, so heißt es, nicht mehr so ruhig, die Kriminalität merklich gestiegen, die weltberühmten Kultstätten der Insel litten unter dem Ansturm.
Vor einer Woche schließlich machte eine Gruppe Rapanui ihrem Zorn über die Untätigkeit der Regierung in Santiago Luft und besetzte, bewaffnet mit Fahnen und einem Zelt, die Landebahn des Insel-Flughafens Mataveri für mehrere Tage. Ihre Forderung: die Schaffung eines Einwanderungs-Rates und eine Art Masterplan, der das Wachstum der Inselbevölkerung kappen soll. Erst als Staatssekretär Rosende den Protestierenden in einer Videokonferenz versprach, persönlich auf die Insel zu kommen, räumten sie das Feld. Heute will Rosende, der unter anderem von Oscar Santelices, dem Direktor der chilenischen Tourismusbehörde Sernatur, begleitet wird, an einer Art Insel-Vollversammlung teilnehmen, wo er erklären soll, was die Regierung gegen die Übernutzung von Rapa Nui zu tun gedenkt. Möglicherweise wird dabei aber auch zu Tage treten, dass nicht alle Rapanui den „Fremden“ gegenüber gleich skeptisch sind: Der Ältestenrat der Insulaner, ein traditionelles Gremium ohne größere Befugnisse, hat bereits verkündet, bei den Flughafenbesetzern handele es sich nur um eine kleine Gruppe von Unruhestiftern. Man kann sich leicht vorstellen, dass Zuzugs- oder gar Reisebeschränkungen für manchen ein handfestes ökonomisches Problem darstellen würden.
Interessant an der aktuellen Auseinanderstzung ist, dass die Osterinsel schon einmal an der Übernutzung ihrer Ressourcen fast völlig zugrunde ging – vor dem ersten Eintreffen europäischer Seefahrer und der unrühmlichen Diskriminierung der Polynesier bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Jene Kultur, die die Moais, die riesigen Steinskulpturen, auf der Insel errichtete und ein komplexe Gesellschaft begründete, entzog sich durch Raubbau und Entwaldung offenbar selbst die Überlebensgrundlage. Dem Biogeografen Jared Diamond dient die Insel deshalb als Paradebeispiel für sein Buch „Kollaps“, in dem er den Zusammenbruch historischer Gesellschaften untersucht.
Einige Beobachter mutmaßen, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und die Rapanui endgültig auf die Palme gebracht habe, sei das Fußballspiel in der Copa Chile gewesen, das die Inselauswahl mit 0:4 gegen den kontinentalen Spitzenverein Colo-Colo verlor – trotz martialischer Rituale des einheimischen Clubs vor dem Anpfiff. Danach sollen etliche der eingeflogenen Colo-Colo-Fans länger auf der Insel geblieben sein, um weiter den Sieg ihres Teams zu feiern.
Fotos: P_R_ auf flickr.com (o.), Te Rapanui (u.)