Hochzeit im Epizentrum des Aufstands. Photo: taz.de
„Der ‚Wahnsinn am Nil‘ geht unterdessen weiter – die Revolution formiert sich direkt unter dem Fenster unseres Korrespondenten Karim-El-Gahary, wie hier zu sehen, in seinem aktuellen Handy-Video.“ schrieb ein taz-Mitarbeiter in der taz-blog-Übersicht.
Der Kairo-Korrespondent hatte am Samstag berichtet, dass der Touristenausfall in Ägypten bereits 10 Milliarden Dollar betrage und dass die Demonstranten am Freitag daraufhin auf dem Tahrir-Platz eine Kampagne „Visit Egypt“ starteten. „Viele trugen T-Shirts mit der Aufschrift ‚Unterstützt die Freiheit – Besucht Ägypten!'“
Der ägyptische Altertümer-Minister Zahi Hawass will weiterhin von Deutschland die Rückgabe der weltberühmten Nofretete-Büste an Ägypten fordern. „Ja, das werde ich. Dieser Kampf geht weiter“, sagte er dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Die taz wird ihn mit einer Kampagne zur Rückführung der Nofretete-Büste unterstützen.
Die Nachrichtenagenturen melden heute nichts vom Nil, sondern vom Sinai:
„Maskierte Bewaffnete haben nach Behördenangaben am Sonntag an der Grenze zu Israel drei ägyptische Grenzbeamte entführt. Wie Sicherheitskräfte mitteilten, fuhren die Angreifer zunächst mit drei Autos zu einem Grenzposten auf der Sinai-Halbinsel. Daraufhin hätten sie die drei Beamten in die Fahrzeuge gezerrt und seien davongefahren, hieß es. Den Angaben zufolge könnte ein Zusammenhang zwischen den Entführungen und dem Tod eines mutmaßlichen Drogenhändlers bestehen, der die Grenze nach Israel passieren wollte und dabei erschossen worden war. In die Schießerei waren die gleichen Grenzbeamten verwickelt, an deren Grenzübergang es am Sonntag zu den Entführungen kam.“
Dafür kommt von der Nachrichtenagentur Reuters heute eine Meldung über Proteste in China:
„Die chinesische Polizei hat am Sonntag Demonstrationen für mehr Demokratie im Keim erstickt. In Peking drängten die Beamten etwa 100 Menschen ab, die sich auf einer Einkaufstraße vor einem Schnellrestaurant versammelt hatten. „Haut ab, haut ab. Hört auf, zu glotzen“, riefen die Polizisten Demonstranten und Schaulustigen zu. Es gab keine Festnahmen. Auch in Shanghai zeigten Sicherheitskräfte in den Straßen Präsenz, die in den über das Internet verbreiteten Kundgebungsaufrufen als Versammlungsorte genannt worden waren. Beamte führten drei junge Männer ab und brachten sie zu einer Polizeiwache.
Der chinesische Präsident Hu Jintao rief am Samstag vor hohen Funktionären zu stärkeren Kontrollen über das Internet auf. Es gelte, die „virtuelle Gesellschaft“ in den Griff zu bekommen. In China nutzen etwa 450 Millionen Menschen das Netz.“
Auch in Dresden, sonst nicht gerade ein Epizentrum des Aufstands, kam es zu „Unruhen“:
Dort demonstrierten 20.000 Menschen gegen einen Aufmarsch der Neonazis. AP tickert: „In einer Seitenstraße nahe der Universität eskaliert am Samstag die Lage. Gewaltbereite linke Demonstranten, gegen deren Blockaden die Behörden ein hartes Vorgehen angekündigt hatten, liefern sich eine Straßenschlacht mit der Polizei. Steine fliegen gegen Polizisten, Wasserwerfer kommen zum Einsatz. Danach sieht es dort „aus wie nach einem Krieg“, berichtet ein Augenzeuge. Abgebrannte Barrikaden bestimmen das Bild, die Straße ist wegen der vielen herumliegenden Steine unbefahrbar.
Im Dresdner Stadtteil Plauen durchbrechen Rechtsextreme eine Polizeikette und verletzen zahlreiche Beamte. Insgesamt werden bei den Ausschreitungen am Samstag 82 Polizisten von Links- und Rechtsextremen verletzt. 40 linke und 23 rechtsextreme Teilnehmer werden laut Polizei vorübergehend festgenommen.“
Einige stille Teilnehmer von „Bürger beobachten die Polizei“ gehen davon aus, dass es sich bei den Links- und Rechtsextremen, die 82 Polizisten verletzten, um Polizeispitzel handelte, die das nur taten, um nicht aufeinander loszugehen zu müssen. Denn sie waren dort zur „Legendenpflege“ abkommandiert worden.
o.T.. Photo: koptisch.wordpress.com
Polizei allerorten:
„Bei einem Polizeieinsatz gegen oppositionelle Demonstranten ist am Sonntag in Teheran ein Mensch getötet worden. Wie Websites der Opposition meldeten, wurde der junger Mann am Haft-Tir-Platz im Zentrum der iranischen Hauptstadt erschossen. Die Polizei war zuvor mit Tränengas und Knüppeln gegen die Demonstranten vorgegangen. Nach Berichten der Opposition wurden zahlreiche Demonstranten festgenommen, unter ihnen auch die Tochter des Ex-Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani. Hunderte Anhänger der „Grünen Welle“ hatten sich an mehreren Plätzen der Hauptstadt versammelt.
Einige hundert Regierungsgegner kamen vor der Zentrale des staatlichen Fernsehnetzes IRIB zusammen, das als wichtigstes Propagandainstrument der iranischen Führung gilt. Vertretern der ausländischen Presse wurde von den Behörden einmal mehr verboten, von den Protestkundgebungen der Opposition zu berichten.
Die iranischen Sicherheitskräfte hatten zu Wochenbeginn eine Kundgebung der Opposition, die sich mit der Reformbewegung in Ägypten und Tunesien solidarisieren wollte, brutal niedergeschlagen. Mindestens zwei Menschen kamen dabei ums Leben. Nach den Zusammenstößen forderten Parlamentsabgeordnete die Todesstrafe für die Oppositionsführer Mir Hussein Mussawi und Mehdi Karrubi, weil sie die jüngsten Proteste mit Hilfe westlicher Länder organisiert hätten. Mussawi und Mehdi stehen seit Tagen unter Hausarrest. Am Sonntag hieß es auf Mussawis Website, die Regierung beabsichtige, um sein Haus eine „Mauer aus Eisen“ zu errichten.“ (dpa)
Die Süddeutsche Zeitung berruft sich auf „westliche Geheimdienstkreise“ – sind auch nur Bullen!, die behaupten: „der geistliche Führer des Iran Ali Chamenei habe vor einigen Monaten eine „Direktive“ erlassen, in der er davon ausgeht, dass „innere Unruhen“ die größte Gefahr für das Überleben der islamischen Republik darstellen, während er Angriffen von außen nur ein geringes Risiko beimaß.
Auch in Gaza droht die Hamas-Führung laut SZ den aufmüpfigen Jugendlichen mit der Polizei: „Auf der Facebook-Seite der Gaza-Jugend haben sich bereits mehr als 20.000 Unterstützer eingetragen.“
Aus Libyen meldet AP:
„Die Lage in Libyen spitzt sich immer weiter zu, Staatschef Muammar al Gaddafi geht mit äußerster Gewalt gegen die Protestbewegung in seinem Land vor. Nach Zeugenaussagen wurden bislang über 200 Menschen getötet. Zentrum der Proteste gegen Gaddafi, der das nordafrikanische Land seit 42 Jahren mit eiserner Faust regiert, ist die zweitgrößte libysche Stadt Bengasi.
In der rund eine Million Einwohner zählenden Stadt schossen Sicherheitskräfte am Sonntag mit Maschinengewehren in einen Trauerzug für getötete Demonstranten. Nach Angaben eines Krankenhausarztes, der namentlich nicht genannt werden wollte, wurden dabei mindestens 15 Menschen niedergeschossen. Zuvor hatte er bereits von 200 Todesopfern bei den sechstägigen Protesten allein in Bengasi gesprochen. An dem Trauerzug am Sonntag beteiligten sich Augenzeugen zufolge trotz der staatlichen Einschüchterungsversuche mehrere tausend Menschen.
Bereits am Vortag war es zu einem ähnlichen Blutbad in Bengasi gekommen. Nach Augenzeugenberichten griffen Gaddafi-treue Einheiten eine Trauergemeinde für getötete Demonstranten an. Auch dabei gab es mehrere Tote. Bei dieser Trauerfeier wurden 35 Regierungsgegner bestattet, die am Freitag getötet wurden.
Auch am Rand der Hauptstadt Tripolis soll es am Samstagabend zu kleineren Protesten gekommen sein, die aber schnell von Sicherheitskräften aufgelöst wurden. In der zwei Millionen Einwohner zählenden Stadt war die Lage aber weit ruhiger als in Bengasi. Überall waren Mitglieder der Geheimpolizei anzutreffen, Bewohner wollten nicht über ihre Meinung und Gefühle reden.“
Vor der libyschen Botschaft in London haben am Sonntag mehrere hundert in Großbritannien lebende Libyer gegen das Regime von Staatschef Muammar al-Gaddafi und das „Massaker“ in ihrer Heimat demonstriert. Der Westen müsse mehr tun, um die Gewalt zu unterbinden, forderten die Demonstranten. „Mein Land schwimmt in einem Bassin voller Blut“, sagte ein 56-jähriger Arzt, der in Birmingham lebt. „Die Menschen werden auf offener Straße massakriert. Es ist ein Blutbad.“ Die Demonstranten bezichtigten Gaddafi, fremde Söldner für die Gewalttaten angeheuert zu haben.
dpa weiß:
„Libyen macht eine ausländische Verschwörung für die Unruhen verantwortlich. Die staatliche Nachrichtenagentur Jana verbreitete am Samstagabend, die Sicherheitskräfte hätten Angehörige einer Verschwörergruppe festgenommen, darunter Palästinenser, Tunesier und Sudanesen. Es sei möglich, dass der israelische Geheimdienst seine Finger im Spiel habe.“
Die SZ weiß dagegen von einer Verschwörung der Herrschenden in Libyen, sie titelte am Samstag: „Gaddafi schickt Söhne in den Kampf“.
Über die Proteste in Bahrain schreibt die SZ:
Sie „eskalieren. Das sunnitische Herrscherhaus hofft auf US-Unterstützung“. Die USA „bedauern“ jedoch erst einmal laut Reuters die „Gewaltanwendung“ des Regimes. Zumal die „Reformwelle in der arabischen Welt die USA in Not bringt,“ wie dpa meldet, die eine „Landkarte der Unruhen“ angefertigt hat – man kommt ja sonst ganz durcheinander mit den vielen Ländern, in denen es derzeit rumort und die Regime ins Wanken geraten, wo also jetzt reihenweise die Kacke des Seins umgegraben wird – oder, wie dpa es tickert: „In der islamischen Welt von Marokko bis zum Iran gärt es. Seit Tagen gehen Abertausende Menschen auf die Straßen, meist um demokratische Reformen einzufordern. Die Machthaber stehen dem oft hilflos gegenüber, greifen zum Teil zu brutaler Gewalt.“
Es folgt dazu ein „Überblick“:
„In Marokko demonstrierten am Sonntag mindestens 2000 Menschen für demokratische Reformen. Bürgerinitiativen und Jugendgruppen hatten zum „Tag des Stolzes“ mit Kundgebungen in etwa 20 Städten aufgerufen. Sie verlangten eine Einschränkung der Macht des Königs Mohammed VI. In Sprechchören forderten die Menschen größere wirtschaftliche Freiheiten, Bildungsreformen, eine bessere Krankenversorgung und Beihilfen, um mit den steigenden Lebenshaltungskosten fertig zu werden. Einige Polizisten in Zivil mischten sich unter die Demonstranten, hielten sich aber wie auch ihre uniformierten Kollegen größtenteils im Hintergrund.
In Tunis haben am Sonntag erneut mehrere tausend Menschen gegen die neue Übergangsregierung protestiert. Die Demonstranten forderten eine neue Verfassung und eine neue Republik. Die derzeitige Staatsführung steht in der Kritik, weil sie – wie Ministerpräsident Mohammed Ghannouchi – teilweise noch aus Funktionären des alten Regimes besteht. Bereits am Samstag hatten mehrere hundert Menschen bei einem Protestmarsch in der tunesischen Hauptstadt ihre Empörung über den Mord an einem polnischen Priester zum Ausdruck gebracht. Sie demonstrierten friedlich gegen Extremismus und für Toleranz. Der Pater war am Freitag mit durchschnittener Kehle auf einem Parkplatz in La Manouba in der Nähe von Tunis gefunden worden.
Im Jemen bot Präsident Ali Abdullah Salih der Opposition nach Tagen des Protests und der Gewalt einen Dialog an. Er sei bereit, über alle „legitimen Forderungen“ zu sprechen sagte er nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Saba. Seit der vorvergangenen Woche demonstrieren Regimekritiker, darunter Studenten, in den Städten Sanaa, Aden und Tais für einen Wechsel an der Spitze des jemenitischen Staates. Seit Mitte der Woche waren im Jemen mindestens fünf Menschen bei Demonstrationen ums Leben gekommen.
Jordaniens König Abdullah II. sagte seinem Volk nach wochenlangen Protesten ebenfalls schnelle Reformen zu. „Wenn ich Reform sage, dann meine ich eine schnelle und echte Reform“, sagte der Monarch nach einem Treffen mit Vertretern von Justiz, Parlament und Regierung. Abdullah hatte schon Anfang des Monats nachgegeben und die Regierung ausgetauscht.
Bei einem Polizeieinsatz gegen eine Protestkundgebung von Beduinen in Kuwait sind nach einem Bericht von Human Rights Watch am Freitag Dutzende Menschen verletzt worden. Die Beduinen hatten gegen die Weigerung der Behörden protestiert, ihnen die Staatsbürgerschaft zu verleihen.
In der ölreichen Ostprovinz Saudi-Arabiens haben Schiiten gegen die Diskriminierung ihrer Religionsgruppe in dem islamischen Königreich protestiert. Die Demonstranten beklagten, dass Schiiten von der Besetzung höherer Ämter ausgeschlossen würden.
Bei einer Demonstration von Regierungsgegnern in Algier gab es am Samstag mehrere Verletzte. Mehrere hundert Menschen hatten sich trotz der massiven Polizeipräsenz auf dem Platz des 1. Mai in der Innenstadt versammelt, um gegen die Regierung und soziale Missstände im Land zu protestieren. Einziges Zugeständnis von Präsident Abdelaziz Bouteflika bisher: Der seit 1992 geltende Ausnahmezustand soll „in naher Zukunft“ aufgehoben werden.“ (dpa)
Aus dem Irak meldet AP um 19 Uhr 30:
„In der irakischen Stadt Sulaimanija haben Unbekannte in der Nacht zum Sonntag den Hauptsitz des kurdischen Senders NRT überfallen. Rund 40 bis 50 Bewaffnete hätten dabei Ausrüstung zerstört und das Gebäude in Brand gesetzt, sagte ein Sprecher des Fernsehkanals, der erst vor wenigen Tagen den Dienst aufgenommen hatte. Hintergrund des Angriffs sei vermutlich, dass NRT Bilder von gewaltsamen Protesten in dieser Woche ausgestrahlt hatte.
Später am Sonntag versammelten sich in der kurdischen Stadt Sulaimanija den vierten Tag in Folge etwa 2.000 Demonstranten. Wie in den Tagen zuvor zogen sie vor die Zentrale der Partei des kurdischen Präsidenten Massud Barsani und verlangten von der Regionalregierung politische Reformen.
Es kam zu Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, die die Demonstranten abdrängen wollten. Die Protestierenden warfen Steine und Sicherheitskräfte feuerten in die Luft, um die Menge zu zerstreuen.
Laut Polizei und Krankenhausmitarbeitern wurden ein Zivilist und ein Mitglied der Sicherheitskräfte durch geworfene Steine verletzt. Zwei weitere Personen hätten Schusswunden gehabt.
Am Donnerstag waren bei ähnlichen Demonstrationen zwei Menschen ums Leben gekommen. Als einige der Demonstranten Steine auf das Gebäude warfen, eröffnete das kurdische Wachpersonal vom Dach aus das Feuer. Nach Angaben von Polizei- und Krankenhaussprechern wurden zwei Menschen getötet und 47 verletzt.“
„In Kairo und Tunis jubeln die Menschen. Dürfen auch wir Europäer jubeln? Oder drohen neue Gewaltherrschaften durch Militärs, Oligarchen oder Imame?“ fragte sich der Schweizer SonntagsBlick. Und die „tagesschau“ titelte: „Aufstand in Kairo – Erfolg für die ganze Region?“
Al Dschasira stellt derweil die wichtigen, d.h. richtigen Fragen:
„After almost three weeks of dramatic protest, Hosni Mubarak finally stepped down as president of Egypt. As the Egyptian army struggles to clear Tahrir Square of protestors, opposition groups are still trying to find a united voice. Cracks are already showing in the youth movement, who say they are the rightful owners of the revolution. Keen to preserve their achievements, the Coalition of the Youth of the Revolution, which includes members of the April 6 Youth Movement, the Muslim Brotherhood Youth and young supporters of Mohamed ElBaradei, plan to form their own opposition party. During the protests, they were successful in mobilising the Egyptian people with the help of social media. But as the roadmap for the future is planned, will their voices be heard in the clamour for real change?
It is widely accepted that the spark for the recent dramatic events in Egypt came from last month’s uprising in Tunisia. If people power could bring down one regime perhaps it could do the same elsewhere. Many of the necessary conditions were already in place: public fury at years of political repression, an economy that rewarded a corrupt elite and kept a majority in poverty, and widespread loathing for a leader clinging to office. Could Egyptians be persuaded to overcome 30 years of fear and apathy and take to the streets?“
Denkmal für den arabischen Aufstand 1917. Photo: thegreensprinter.ch