Am letzten Freitag gab es eine muntere Bundestagsdebatte zum Thema 50 Jahre deutscher „Entwicklungs“politik – ein guter Anlass, um wieder einmal an Brigitte Erlers Fundamentalkritik „Tödliche Hilfe“ (1985) zu erinnern.
Wir dokumentieren die Rede von Heike Hänsel (LINKE):
Man merkt: Viele drängt es, viel zu sagen. Daher finde ich es schade, dass ausgerechnet der Herr Minister heute nichts zu 50 Jahren Entwicklungsministerium zu sagen hat und hier nicht spricht.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht (FDP): Das ist die Stunde des Parlaments! Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er lässt uns den Vortritt!)
Ein Tag wie heute ist ein Auftrag, nicht nur zu feiern, sondern auch eine kritische Bilanz zu ziehen, insbesondere wenn wir sehen, dass eine Milliarde Menschen hungert und von Armut betroffen ist.
Die Entwicklungspolitik in den 60er-Jahren war von der beginnenden Entkolonialisierung und der Ost-West-Konfrontation in Zeiten des Kalten Krieges geprägt. Dadurch war auch die deutsche Entwicklungspolitik besser gesagt: die wirtschaftliche Zusammenarbeit auf westdeutsche Interessenpolitik in den Ländern der Dritten Welt festgelegt. Man erkaufte sich die ideologische Bündnistreue der Eliten des Südens und förderte gleichzeitig die eigene Exportindustrie. Der Kolonialisierung folgte also eine zweite Entmündigung in Afrika, Asien und Lateinamerika. Wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten wurden weiter vertieft.
Nach dem Ende des Kalten Krieges hofften viele auf die sogenannte Friedensdividende, die auch eine Entwicklungsdividende sein sollte. Stattdessen dominierten aber die in den 70er-Jahren begonnenen Strukturanpassungsprogramme der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds mit ihren neoliberalen Rezepten die kommen Ihnen wahrscheinlich bekannt vor Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung. Die Folgen dieser verheerenden Politik sind bis heute spürbar.
Diese Politik war der Beginn eines weltweit entfesselten Kapitalismus, der sogenannten neoliberalen Globalisierung. Mittlerweile haben Verfechter dieser Dogmen, zum Beispiel Joseph Stiglitz, der ehemalige Chefökonom der Weltbank, diese Dogmen widerrufen. Er stellt fest, ich zitiere:
Das politische Regelwerk, das wir im Ausland vorangetrieben haben, half unseren Unternehmen, erfolgreich zu sein.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber es gab zweifellos auch immer wieder fortschrittliche und auf Entwicklung ausgerichtete Ansätze. Ich möchte in diesem Zusammenhang das wurde schon erwähnt den Nord-Süd-Bericht Willy Brandts in den 80er-Jahren und die Forderung der blockfreien Staaten nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die auf Gerechtigkeit und souveräner Gleichheit der Staaten beruhen sollte, nennen. Welch moderne Idee!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Vision Willy Brandts, dass Entwicklungspolitik die beste Friedenspolitik ist, ist bis heute eine große Herausforderung. Mit der Beteiligung am Afghanistan-Krieg – das kann ich der SPD nicht ersparen – hat sich leider auch die SPD von dieser Vision weit entfernt.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD): Ach so!)
Es gibt interessante Zitate des ersten Entwicklungsministers Walter Scheel auf ihn berufen auch Sie sich gerne, Herr Niebel , der unter anderem mit dem Spruch ich zitiere „Entwicklungspolitik ist eine Art Sozialpolitik im weltweiten Ausmaß“ doch andere Vorstellungen als Sie verdeutlicht hat, Herr Niebel, und der in meinen Augen weiter war als Sie, weil Sie einmal recht despektierlich gesagt haben, das Entwicklungsministerium sei nicht das Weltsozialamt.
(Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): So ist es!)
Auch in den 90er-Jahren gab es interessante Entwicklungen mit dem Rio-Prozess und dem Versuch, Entwicklungs- und Umweltfragen auf die Kommunen herunterzubrechen sowie eine breite Beteiligung der Bevölkerung im Rahmen von Entwicklungspolitik zu organisieren, und zwar in den sogenannten Lokale-Agenda-Prozessen. Dies war der Versuch, zu zeigen, dass die Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern des Südens direkt mit den Lebensbedingungen der Menschen in den Ländern des Nordens zusammenhängen und dass wir deshalb eine Verantwortung haben, Strukturen sowie den Energie- und Ressourcenverbrauch massiv zu verändern, wenn wir wirklich Entwicklung wollen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Heute, im Jahr 2011, in Zeiten des sogenannten Krieges gegen den Terror, der bereits seit zehn Jahren geführt wird und an dem sich auch Deutschland durch Auslandseinsätze der Bundeswehr beteiligt,
(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Gott sei Dank!)
wird Entwicklungspolitik im Rahmen der sogenannten vernetzten Sicherheit Teil der Sicherheitspolitik und dadurch eben missbraucht. Mit der Vision Willy Brandts „Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik“, die eigentlich dazu beitragen sollte, Konfliktursachen zu bekämpfen, hat das nichts mehr zu tun. Im Gegenteil: Entwicklungspolitik wird Teil einer Kriegsstrategie, wie wir es in Afghanistan erleben. Genau deshalb sind wir gegen diese Form der zivil-militärischen Zusammenarbeit.
(Beifall bei der LINKEN)
Die neoliberale Globalisierung und die Entfesselung der Finanzmärkte sind mittlerweile auch für die entwickelten Staaten zu einer existenziellen Bedrohung geworden und haben die Spielräume von Entwicklungspolitik erst recht massiv eingeschränkt. Das erleben wir zurzeit. So trägt zum Beispiel die Spekulation mit Nahrungsmitteln zu Hungerkatastrophen bei und zerstört viel von dem, was wir durch Entwicklungszusammenarbeit erreicht haben. Die Regierungen schauen nur hilflos zu. Deshalb ist die Forderung nach einer strengen Regulierung der Finanzmärkte ganz zentral. Wir fordern das seit Jahren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Die neoliberale Globalisierung hat aber auch weltweit das ist der Hoffnungsträger soziale Bewegungen auf den Plan gerufen und linke Regierungen hervorgebracht zum Beispiel in Lateinamerika , die sich gegen Ausbeutung, Abhängigkeit und Bevormundung zur Wehr setzen und sich für neue alternative Entwicklungsmodelle, eine solidarische Weltwirtschaft sowie eine breite demokratische Beteiligung der Bevölkerung an Entscheidungen einsetzen. So sind zum Beispiel die Verfassungen von Venezuela, Bolivien und Ecuador wirklich zukunftsweisend. Genau da könnte deutsche Entwicklungspolitik ansetzen und solche Prozesse der selbstbestimmten Entwicklung stärken.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD))
Wir müssen uns nämlich davon verabschieden, dass die westlichen Industriestaaten den Süden entwickeln wollen. Vielmehr geht es darum, sich auf Augenhöhe zu begegnen, eine eigenständige Entwicklung zu respektieren und voneinander zu lernen. Das müsste die Bilanz aus 50 Jahren Entwicklungszusammenarbeit sein. Stattdessen werden solche Entwicklungen bekämpft. Für den Zugang zu Rohstoffen und Märkten wird eine knallharte Interessenspolitik durchgesetzt. Es zeigt sich, dass sich die staatliche Entwicklungspolitik nie von kolonialem Denken befreit hat.
(Beifall bei der LINKEN)
Nun soll also die deutsche Wirtschaft im FDP-geführten Entwicklungsministerium Partner für Entwicklung sein.
Ich komme zum Schluss. Aber das kann ich Herrn Niebel nicht ersparen. Die deutsche Wirtschaft soll Partner für Entwicklung und für eine unternehmerische Entwicklungspolitik sein und nebenbei vielleicht noch die niedrige ODA-Quote erhöhen. Dieser Weg, Herr Niebel, ist nichts anderes als Entwicklungshilfe für die deutsche Wirtschaft. Dieses Entwicklungsmodell ist ein Auslaufmodell, genauso wie die FDP.
(Beifall bei der LINKEN)