vonClaudia Mussotter 14.01.2010

taz Blogs

110 Autor*innen | 60 Blogs
Willkommen auf der Blogplattform der taz

Mehr über diesen Blog

„I am a cider drinker“,  Folksongs wie dieser mit den typischen Themen des englischen West Country: Landwirtschaft, Dorfleben, Fabrikarbeit und – natürlich Cider, waren das Erfolgsrezept der Band Wurzels, die mit ihren Songs die britischen Charts eroberten. Entstand 1976 zuerst der Titel „Combine Harvester“, ein Ohrwurm über einen Mähdrescher, den sicher jeder kennt, folgte mit „I am a cider drinker“ nach der Musik von „Una paloma blanca“ ein weiterer Hit, der noch heute im Südwesten Englands, der Heimat des Cider, populär ist.
Die Grafschaft Somerset mit ihren zahlreichen Apfelplantagen steht für den englischen Cider wie die Normandie oder die Bretagne für den französischen Cidre, Hessen für den Äppelwoi oder der Norden Spaniens für die Sidra. Aber auch Kanada und die USA, Südafrika oder Österreich und vor allem auch Irland sind traditionelle Cidre-Länder. Im Deutschen ist übrigens ebenfalls die französische Bezeichnung „Cidre“ üblich.
Die Produktion der spanischen Sidra erstreckt sich über die ganzen Kantabrischen Kordilleren, hauptsächlich ist sie aber im Fürstentum Asturien präsent, in Guipúzcoa im Baskenland, einem Teil von Navarra und zu kleinen Teilen in Galicien und Castilla y León. Asturien etwa mit seiner langen Sidra-Kultur hat sich mit der Schaffung einer Denominación de Origen Protegida (D.O.P.) „Sidra de Asturias“ wieder den alten einheimischen Apfelsorten verschrieben. 23 Mostereien, 265 Apfelbauern und 493 Hektar Plantagen unterstehen dem Kontrollrat, der 22 verschiedene asturische Apfelsorten erlaubt.
Wann zum ersten Mal natürlicher Most hergestellt wurde ist nicht mit Sicherheit belegt. Man spricht aber von keltischem, wenn nicht gar ägyptischem Ursprung. Im Mittelalter gab es schon reichlich Cidre, aber erst Ende des 18. Jahrhunderts fand er in einer breiten Bevölkerungsschicht Zuspruch. Das nur leicht alkoholische Getränk durfte bei keiner Romería, bei keinem Fest fehlen. Besonders im mythischen, mit Legenden behafteten Asturien, wo Wein von Trauben immer noch keine so große Rolle spielt wie die einheimischen Äpfel – obwohl das Valle de Narcea auf eine Weinbautradition bis in römische Zeiten zurückblicken kann.
Hergestellt wird der Wein mit seinen nur zwischen vier und sechs Alkoholgraden aus sauren, süßen und bittersüßen, speziellen Äpfeln, die sich allerdings nicht als Tafelobst eignen. Das Ergebnis, das letztendlich in der Flasche landet, ist so ungewiss wie seine Herkunft – in Asturien gibt es viel hausgemachten Apfelwein, der ohne Etikett auf den Tisch kommt – und viel unbekannte Sidra, die auf den „Espichas“, den populären Festen, ausgeschenkt wird. Was gegenüber den kommerziell produzierten Cidres oft die bessere Wahl ist.
Das Einschenken – „escanciar“ – ist eine Kunst. Man hält die Flasche hoch über dem Kopf, das Glas auf Höhe des Oberschenkels und lässt die Sidra von großer Höhe ins Glas laufen. Das gibt Schaum und macht den Wein erst richtig spritzig. Man nimmt die Sidra in einem Schluck, lässt aber laut Tradition ein bisschen im Glas, um es auszuspülen, bevor der Nächste dran ist. Denn oft pflegt man in Gesellschaft eine Flasche nur mit einem einzigen Glas aufzutischen.

Im Baskenland nennt sich das Sidra-Trinken Txotx, und die Saison beginnt Mitte Januar, so um den 21., wenn San Sebastián gefeiert wird, und geht bis Mitte April. Die im Baskenland verwurzelte ländliche Tradition zieht während dieser Zeit Tausende von Personen in die Sidrerías, wo man den Apfelwein direkt aus dem Fass, den „Kupelas“, ins Glas füllt, um den neuen Jahrgang zu testen. Auf den Ruf „Mojón!“ beenden die „Catadores“, Männer, die ausschenken, ihr Schwätzchen und zielen mit dem unter Druck herausschießenden Strahl Apfelwein ins Glas des Wartenden. Schnell müssen die jeweils Nächsten herantreten, soll kein Tropfen vergeudet werden. Die Methode macht übrigens Sinn, denn so kommt Sauerstoff ins Glas, der die Sidra noch prickelnder, frischer und fruchtiger erscheinen lässt.
Begleitet wird der Txotx traditionell von Tortilla mit Bacalao (Klippfisch, irrtümlich oft Stockfisch genannt), frittiertem Bacalao mit Paprika oder Chuletón, einem großen Kotelett vom Grill. Zum Nachtisch gibt es Käse, geräucherten Idiazábal, der Jahreszeit entsprechend mit Membrillo (Quittengelee) oder Walnüssen.
So beliebt ist das Ritual mittlerweile geworden, dass das Herstellen von Sidra oder Sagardoa (Apfelwein) längst keine Hausfrauensache mehr ist, sondern immer mehr den Önologen überlassen wird. Denn wie die Albariños, Ribeiros oder Valdeorras Galiciens oder der baskische Txacolí im Norden Spaniens kam auch die schon jahrhundertelang im Kantabrischen Gebirge gebraute Sidra mit ihrer mythischen Vergangenheit um eine zeitgemäße Veränderung nicht herum. Was nichts anderes besagt, als sich – wie etwa beim Wein – wieder verstärkt der Tradition zuzuwenden. Das heißt, das Gute zu bewahren und das Ganze in Modernität zu verpacken, die am besten harmonierenden Früchte zum richtigen Zeitpunkt behutsam zu ernten, heimische natürliche Hefen zu benutzen und die geeignete Maschinerie zu verwenden – kurz seine ganzen Vorzüge zu erhalten und Defizite wie schnelle Oxidation zu minimieren.
Frankreich beispielsweise, größter Cidre-Produzent der Welt, das schon im fünften Jahrhundert die Äpfel vergären ließ, füllt seinen Apfelwein heute in Champagnerflaschen ab, wo er noch weiterreifen darf. Kanada stellt Cidre wie einen Eiswein her – was derzeit der letzte Schrei ist. Und in England findet man nicht weniger als acht verschiedene Cider-Typen – vom populären Draft über Kompositionen mit Honig, Rosinen, Früchten oder Kräutern bis zum traditionellen Farmhouse Style.
Die Sidra in Asturien ist im Zentrum des Landes beheimatet, das die Gemeinden Bimenes, Cabranes, Nava, Sariego und Villaviciosa umfasst. Alteingesessene Firmen wie die Bodegas Valle, Ballina y Fernández in Villaviciosa machen es vor: Cidre nach der Champagnermethode und demnächst auch Eiswein läuten eine neue Ära im Apfelweinland ein.

Chorizo a la sidra
Das Schwein und Äpfel sind typische Produkte der asturischen Küche. Was liegt da näher als diese ausgezeichnete Kombination. Wer einmal in Asturien ist, sollte auch unbedingt die „schwangeren Brötchen“, bollos preñaos, probieren, die mit in Sidra gekochter Chorizo gefüllt sind.
Für 4 Pers. als Tapa: 1 EL Olivenöl „virgen extra“, 4 Chorizos (Paprikawürste) à ca. 50 g „semicurados“, in Scheiben von 1/2 Zentimeter geschnitten, 1 Tasse Cidre, zum Servieren Bauernbrot
Olivenöl in einer mittelgroßen Pfanne bei mittlerer Hitze erwärmen. Die Chorizoscheiben hineingeben und etwa fünf Minuten braten, bis sie von allen Seiten leicht gebräunt sind.
Cidre angießen, Hitze auf Maximum stellen. Wenn er zu kochen beginnt, Hitze etwas verringern und das Ganze während einer Stunde köcheln lassen, bis die Chorizos weich sind und die Sidra auf ca. zwei Drittel Tassen eingekocht ist.
Paprikawurst in Suppenschalen geben und mit dem eingekochten Apfelwein bedecken. Mit einer Scheibe Bauernbrot servieren.

Bon profit!

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/514/

aktuell auf taz.de

kommentare