vonlottmann 06.10.2011

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Mit Erlaubnis des ‚Standard‘ können wir auf taz.online Teile der Begrüßungsrede, die gestern während der Doppel-Buchpräsentation gehalten wurde (Bericht darüber siehe Vortag), veröffentlichen:

„Ich frage mich, warum die Wiener mich nicht leiden können sollen…“

Einleitungsrede zur Doppel-Buchpräsentation der beiden Romane UNTER ÄRZTEN und HUNDERT TAGE ALKOHOL von Joachim Lottmann

„Seit dem 4. März lebe und wohne ich in Österreich. Seit diesem Tag habe ich mit einem Phänomen zu tun, das man den angetragenen Rassismus nennen könnte. Es ist, als würde man mir auf dem silbernen Tablett eine Rolle anbieten, wie ein Gastgeschenk, und diese Rolle heißt: Deutsche sind ja so unbeliebt in Österreich. Ich Armer müsse darunter bestimmt leiden. Ich verdiene das Mitleid der wenigen Aufrechten, die die Deutschen nicht hassen würden. Mir ginge es quasi so wie dem Schwarzen in Minnesota, dem Preußen in Bayern, dem Georgier in Ossetien, dem Armenier in Berg-Karabach, dem Ostwestfalen in Nordwestfalen, dem Gelsenkirchener in Dortmund und so weiter. Überall hassen die einen die anderen, und hier, in Wien, da hassen alle die Deutschen. Da sei ich einfach Opfer. Das sei ganz, ganz oarg. Was für ein Unsinn, möchte man da sofort sagen und das Thema wechseln. Und deshalb sage ich, was für ein Unsinn, und wechsele das Thema. Aber später werde ich doch noch eine abschließende Erklärung für das Phänomen geben.
Wir sind also, unmittelbar vor der Frankfurter Buchmesse, auf einer Doppel-Buchpräsentation. Ich habe die beiden Termine zusammengelegt, weil ich Buchpräsentationen so wenig leiden kann wie die Österreicher die Deutschen. Ja, die Wiener hassen die Piefkes, die Preußen, diese Pickelhauben in Menschengestalt, und ich hasse nun mal Buchpräsentationen. Da redet der Verleger, dann liest der Autor, obwohl er nicht lesen kann, und dann soll man auch noch Freigetränke in die Hand nehmen und zu völlig reizloser, unbedeutender Musik Party spielen und sogar tanzen. Das dauert alles zusammen quälende 120 bis 150 Minuten, dann ist auch der letzte geflüchtet, so gegen 22.30 Uhr. Die Soundmaschine wird abgestellt, der Autor liegt mit Depressionen im Hotelbett. Man nennt branchenintern diesen Präsentationstyp ‚Das Begräbnis‘. Es gibt bei wenigen Autoren noch den Präsentationstyp ‚Das Tribunal‘. Unser Freund Sarrazin gehört dazu, oder Matthias Matussek, und einige wenige Male sogar ich. Bei meiner ersten Buchpräsentation am 16. März 1987 in Köln war das so. Rund tausend gewaltbereite Leute hatten sich im Laufe der Nacht so in Wut gesoffen, daß sie jede Veranstaltung sprengen konnten. Mein Roman ‚Mai, Juni, Juli‘ hatte 90 Verrisse ausgelöst, vor allem in der studentischen und linken Szene. In meinem eigenen Verlag hatte es eine Unterschriftenliste der linken Autoren gegen das Buch gegeben, dem man vorwarf, mit frauenfeindlichen, sexistischen, populistischen Klischees zu spielen, was ja auch fast stimmte: ich spielte wirklich mit politischen Klischees, freilich in der Maske des politisch korrekten Deppen, was jeden wirklich politisch korrekten Studenten zur Raserei bringen mußte. Die Klügeren fanden das dann nur noch zynisch, oder böse, wie Rainald Goetz, aber in letzter Instanz und aus heutiger Sicht muß man sagen: es war einfach nur eine gut erzählte Geschichte. Nicht böse, schon gar nicht zynisch.
Jedenfalls war das der ‚Tribunal‘-Typ. Albert Oehlen und Martin Kippenberger standen auf der Bühne und lasen das gesamte Buch vor, bis sie, von zu vielen Gegenständen getroffen, aufgaben. Ich selbst hatte mich nur wenige Minuten für eine Ansprache nach vorn getraut.
Von da an bevorzugte ich den Typus ‚Begräbnis‘ (…)
Mein Verlag hat mir das Schreiben und das Überleben ermöglicht, mehr wollte ich nicht.
Kiepenheuer & Witsch, sein Chef Helge Malchow, mein langjähriger Lektor Marco Verhuelsdonk: sie haben sich zuverlässig um mich gekümmert. Ich kann wirklich sagen, daß mir jeder Wunsch erfüllt wurde. Ich schrieb praktisch für zwei Leser: den Verleger und den Lektor. Sie waren dafür auch die größten Fans, die man sich denken konnte. Ich durfte auf Verlagskosten überallhin fahren, und das entstehende Manuskript verschlangen die beiden, oftmals sogar häppchenweise WÄHREND der Entstehung. Aus Indien schickte ich alle 20.000 Zeichen eine Datei nach Köln, wo Helge und Marco schon warteten wie Süchtige auf den Stoff (…)
Als ich dann schließlich nach Wien übersiedelte, änderte sich die Lage. Ich mußte in Österreich wesentlich stärker in die Medien gehen, um präsent zu werden. Ich fragte daher meinen Lektor Marco Verhuelsdonk, ob ich beim Czernin Verlag in Österreich einen kleinen Band mit aktuellen Kurzgeschichten veröffentlichen sollte. Ohne den charismatischen Verleger lange zu fragen, gab Verhuelsdonk grünes Licht. So kamen die Geschichten ‚Der Molch und ich‘ im Mai sowie ‚Porno‘ am 15. September auf den Markt. Letzteres wurde rasch, also gewissermaßen gleichzeitig, zu einer Theateradaption. Es läuft – auch heute abend, also in diesem Moment – im Rabenhof Theater (…)
Es war nicht das erstemal, daß Marco Verhuelsdonk beherzt und verantwortungsvoll in die Speichen gegriffen hatte. Ich verdanke diesem Lektor viel. Bei allen Produktionen seit der Jahrhundertwende hat er die Stelle des Lektors innegehabt. Er wurde somit der direkte Nachfolger Helge Malchows, also des Verlegers, der bis dahin meine Texte selbst lektoriert hatte. Es war Malchow wichtig, den direkten Zugriff auf Lottmanntexte zu besitzen, um mich vor mißgünstigen Mitarbeitern zu schützen. Es zeugt von großem Vertrauen, daß er im letzten Jahrzehnt Marco Verhuelsdonk diese Aufgabe überließ. Meine Zusammenarbeit mit dem aufstrebenden jungen Mann war von Anfang an hervorragend. Bald telefonierten wir täglich miteinander. Auch in Monaten der Flaute, in denen kein Buch zu bearbeiten war, hielten wir an unserem Ritual der Freitagsgebete fest. Das waren, analog der gleichnamigen Rituale der Muslime, langgezogene, Stunden währende, Gott und die Welt betreffende Telefongespräche zwischen Köln und Berlin. Während einer dieser Telefonate entstand, glaube ich, die Idee, mein neues Buch bei Kiepenheuer & Witsch zusammen mit dem Buch des österreichischen Verlages zu präsentieren. Durchgesetzt hat das dann der KiWi Geschäftsführer Rainhold Joppich, der mich in Wien in der Bäckergasse besuchte. Joppich ist mit wiederum mit Dr. Benedikt Föger gut bekannt, dem Chef des Czernin Verlages. So konnte das auf dem kurzen Dienstweg geregelt werden, übrigens gerade noch rechtzeitig, bevor man Marco Verhuelsdonk wegen maßlos überhöhter Telefonrechnungen den Draht zu mir kappte bzw. drastisch einschränkte. Man läßt ihn seitdem lieber direkt nach Wien fliegen, das kommt billiger. Im Grand Hotel Fürstenhof hat er immer ein Zimmer blanco zur Verfügung.
Zu den beiden Büchern möchte ich nicht viel sagen, da aus ihnen noch ausgiebig gelesen werden wird. UNTER ÄRZTEN wurde in den späten 90er Jahren des letzten Jahrhunderts geschrieben und ist ein Therapeutenroman. Der Held des Buches sucht einen Therapeuten, was recht schwierig ist, wie jeder von uns weiß. Nachdem er einige Fehlversuche erlitten hat, findet er den richtigen, und sein Leben wird positiv. Fatalerweise stirbt sein väterlicher Therapeut nach einigen Jahren, und die Suche geht von vorn los. Schließlich landet er bei einer physisch attraktiven Verhaltenstherapeutin, der er körperlich verfällt. Oder so ähnlich. Es sind am Ende sehr viele Ärzte geworden, die der Ich-Erzähler im Laufe von drei Jahrzehnten verschlissen hat, ebenso viele wie Frauen, Freunde und Beziehungen. Erst als der Ich-Erzähler die Schriftstellerin und Kollegin Sibylle Berg kennenlernt und diese ihm ihre Aufzeichnungen über eigene Erfahrungen mit Therapeuten zu lesen gibt, ist er mit der Psycho-Schiene fertig. Fast gleichzeitig verliebt er sich in die gutaussehende innenpolitische Redakteurin eines seriösen österreichischen Nachrichtenmagazins und findet mit ihr überraschend das nie für möglich gehaltene große Glück. Nach einem langen Leben ewiger Labilität und Zerrissenheit, eben einem Therapieleben, beginnt endlich sein richtiges: das der Liebe.
Das zweite Buch ‚HUNDERT TAGE ALKOHOL‘ handelt von den ersten drei Monaten eines verheißungsvollen deutschen Schriftstellers in der Stadt Wien. Überall findet er über den Alkohol echte Freunde, die ihm allerdings unisono berichten, Deutsche seien in Wien komplett unbeliebt. Gruselige Geschichten werden als Beleg aufgetischt. In Tirol sei es anerkannter Volkssport der Burschen, junge deutsche Touristinnen zu vögeln und danach zu verachten. Im Wirtshaus machten sie dann menschenfeindliche Bemerkungen über die verhaßten und durchgevögelten Deitschn‘. Und überhaupt seien die Preußen grauslich, ihre Sprache eine Kommandosprache, ihre Lebensart strebe nach Effizienz und Unterwerfung, die Arbeitsplätze nehmen sie weg und so weiter und so fort. Die Piefkes sind das Letzte. Deshalb werden sie auch so diskriminiert.
Ich erinnere mich, daß ich als Studienanfänger einmal einen Schwarzen auf einer Party des MSB Spartakus kennenlernte. Ich glaube, es war mein erster schwarzer Freund, und er tat mir furchtbar leid. Ich sagte ihm das auch. Er würde als Neger so schlimm behandelt werden in seiner Heimat, eben als Neger und nicht als Afrikaner. Er kam aus den USA. Überall würden sie ihn verachten und beleidigen. Auf Parkbänken müsse er wahrscheinlich immer noch weißen Omas Platz machen müssen. In noblen Hotel-Bars würde er wohl kaum einen ordentlichen Drink bekommen. Es mußte schlicht die Hölle sein. Neger in den USA, das sei wie Türke in Deutschland, ich wisse Bescheid, ich hätte gerade ein Buch von Günter Wallraff darüber gelesen. Der vermeintliche Neger empörte sich ziemlich und behauptete lautstark, noch niemals diskriminiert worden zu sein. Er legte mir das so überzeugend dar, daß ich ihm glaubte. Scheele Blicke im Park? Absurd! Kein Eintritt in einem Restaurant wegen der Hautfarbe? Idiotisch! Und jetzt, eine Ewigkeit später in Wien, geht es mir genauso. Ich habe jeden Tag die wirklich allerreizendsten Begegnungen mit fremden Menschen in Wien. Die Leute sind ausnahmslos hinreißend zu mir. Sie haben übergangslos jeden erdenklichen Humor, machen Witze mit mir wie mit uralten Freunden, sind gesprächig, hilfsbereit, weiterführend, lustig, anekdotenreich, intelligent und offen. Mein kleines Moleskine Büchlein ist von vorn bis hinten voll mit neuen Telefonnummern. Gewiß, als erstes erzählen einem alle diese neuen echten Freunde immer, daß alle Deutschen wahnsinnig verhaßt seien, leider-leider. Aber sobald der Punkt abgehakt ist, versteht man sich auf das Vortrefflichste. Und seltsamerweise ist danach auch nie mehr die Rede davon.
Ich freue mich, daß so viel mehr Leute gekommen sind als bei meinen früheren Buchpräsentationen vom Typus ‚Begräbnis‘. Und daß offenbar niemand von Ihnen die Veranstaltung zum Typus ‚Tribunal‘ umzuwandeln vorhat. Ich begrüße Sie alle herzlich!“

Lektor Marco Verhülsdonk und Autor Joachim Lottmann am 6. Oktober 2011 um 13 Uhr in Wien nahe dem Cafe Ritter.

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