vonErnst Volland 12.11.2010

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Klaus Volland, Ansprache zur Einweihung der Gedenktafel am Bremervörder Rathaus am 9. November 2010

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Im Januar 2009 fragte mich Susanne Morgenstern, damals Vorsitzende des Kultur- und Heimatkreises Bremervörde, ob ich Interesse hätte, das Projekt „Ein Schabbattisch für Bremervörde“ der Berliner Judaistikstudentin Sylke Schumann zu betreuen. Nach kurzer Überlegung und nachdem ich mich der Unterstützung meiner Vorstandskollegen im Gedenkstättenverein versichert hatte, sagte ich zu. Eines der satzungsgemäßen Ziele des Vereins Dokumentations- und Gedenkstätte Sandbostel ist die Aufarbeitung der regionalen Geschichte des Nationalsozialismus. Von Sylke Schumann war geplant, dass junge Handwerker aus unserer Region ein jüdisches Wohnzimmer und das 1938 zerstörte Betgestühl des Synagogenraums der Zevener Familie Neugarten rekonstruieren sollten. Durch gemeinsame Überlegungen entwickelte sich dann das Konzept, sich auf die Rekonstruktion des Betsaals zu konzentrieren und eine Erinnerungstafel mit den Namen der 1933 bis 1945 verfolgten Juden der Stadt Bremervörde zu erstellen. Für die Zevener Juden war kurz zuvor bereits ein Gedenkstein auf dem Friedhof in der Ahe aufgestellt worden. Als Ausstellungsort für den rekonstruierten Betsaal ergab sich rasch dank der freundlichen Kooperation der Leiterin des Museums, Luise del Testa, das Museum Kloster Zeven. Weitere Überlegungen führten im Verlaufe des Jahres dazu, die Erstellung des Betsaals dem Kivinan Bildungszentrum in Zeven anzuvertrauen und die Gestaltung der Tafel in die Hände eines Fachbetriebs zu geben, da die Herstellung einer Bronzetafel die Möglichkeiten einer schulischen Einrichtung vor Ort überforderte.

Gut Ding will Weile haben, doch nun ist das Projekt „Jüdisches Leben in Zeven und Bremervörde“ am Ziel: Heute feiern wir im und am Rathaus gemeinsam die Einweihung der Erinnerungstafel für 41 in der nationalsozialistischen Zeit verfolgte jüdische Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt, morgen wird im Museum Kloster Zeven die Ausstellung „Jüdisches Leben in Zeven/Schüler rekonstruieren Geschichte“ eröffnet.

In Bremervörde haben war uns nach dem Vorbild der Stadt Uelzen nicht für Stolpersteine, sondern für eine Gedenktafel am Rathaus als dem zentralen Ort aller Bürger entschieden.

Die Tafel soll auf einen Blick an den Verlust erinnern, den auch die kleine Stadt Bremervörde durch die Ausgrenzung, Vertreibung und Ermordung der Juden erlitten hat. Näheres dazu machen die Arbeiten von Elfriede Bachmann und das von Petra Fischer am Gymnasium Bremervörde erarbeitete Projekt „Juden in Bremervörde“ deutlich, auf die in der hier präsentierten kleinen Ausstellung zurückgegriffen wird. Lange Zeit waren Juden angesehene Bürger unserer Stadt und leisteten wichtige Beiträge zu ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung.

Der 1945 aus dem KZ Theresienstadt befreite Rabbiner Leo Baeck äußerte sich damals resigniert:
„Für uns Juden in Deutschland ist eine Geschichtsepoche zu Ende gegangen. Eine solche geht zu Ende, wann immer eine Hoffnung, ein Glaube, eine Zuversicht endgültig zu Grabe getragen werden muss. Unser Glaube war es, dass deutscher und jüdischer Geist auf deutschem Boden sich treffen und durch ihre Vermählung zum Segen werden könnten. Dies war eine Illusion – die Epoche der Juden in Deutschland ist ein für alle Mal vorbei.“

In Bremervörde jubelte man am 28. Oktober 1932 in der Markthalle der Hetzrede von Dietrich Klagges, dem Braunschweiger Minister, der die Einbürgerung Hitlers betrieben hatte, und dann dem Meister selbst begeistert zu. Ich zitiere den Bericht über die Rede von Klagges in der Bremervörder Zeitung:

„Der letzte Sinn des Kampfes richte sich gegen das internationale Judentum und den jüdischen Geist, gegen jenes System, das aus diesem Geist geboren wurde. Ihm gelte es, eine neue Ordnung der Dinge entgegensetzen, geboren aus deutschem Empfinden, aus dem Lebensbedürfnis des deutschen Volkes heraus.“

Zwei Jahre zuvor bereits– Ende 1930/Anfang 1931 –, daran hat Rainer Brandt kürzlich erinnert, waren jüdischen Kaufleute in Bremervörde von jungen Nazis belästigt worden.

Ursula Gonsenhauser hat nicht vergessen, dass sie 1938 von dem Lehrer M., einem fanatischen Nationalsozialisten, aus der Klasse geworfen wurde. Auf dem Flur bekam sie noch mit, wie der Lehrer den Mitschülern zurief, sie sollten auf sie spucken. Ursula Leeser musste im November 1938 die Rektorschule Bremervörde verlassen und ging 1939 als 14-jähriges Mädchen in die Emigration in die USA. Lehrer M. wurde nach dem Krieg wieder eingestellt.

Wir haben die heute 86-jährige Ursula Gonsenhauser, geborene Leeser als letzte noch lebende Zeitzeugin eingeladen, zur Einweihung der Gedenktafel nach Deutschland zu fliegen, und sie hat sofort zugesagt, gemeinsam mit ihrer Enkelin zu kommen. Am Telefon sagte sie mir gleichwohl: „ Ich komme, aber ich komme nicht mit dem Herzen.“ Dann musste sie kurzfristig doch absagen. Der Besuch der alten Dame findet nicht statt.

Im Folgenden möchte ich Dank sagen:

Sylke Schumann und Dietrich Banse, die das Projekt Gedenktafel angeregt und inspiriert haben. Mein Kollege Dietrich Banse hat 2006 die Anbringung einer ähnlichen Tafel zum Gedenken an die Uelzener Juden am Rathaus der Stadt organisiert.
Elfriede Bachmann, ohne deren ausgezeichnete Vorarbeiten über die Geschichte der Bremervörder und Zevener Juden das Projekt wohl nicht einmal begonnen worden wäre.
Der Kern-Organisationsgruppe mit Peter und Elisabeth Matthiesen und meiner Frau Johanna Volland, dem Vorstand des Gedenkstättenvereins: neben Peter Matthiesen dem verstorbenen Dietmar Kohlrausch, Karl-Heinz Buck, Detlef Cordes, Helge Matthiesen, Werner Borgsen und Werner Zeitler.
Meinen Kollegen am Gymnasium Bremervörde Petra Fischer, Manfred Bordiehn und Michael Schwieger, die die Sache, um die es hier geht, über viele Jahre auf die eine oder andere Weise unterstützt haben.
Anna-Lena Zint und Christiane Grammel, die als Praktikantinnen an der Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem im dortigen Archiv die Personaldaten der Bremervörder Juden überprüft haben.

Der Firma Marahrens in Bremen, die das Modell der Tafel erstellt hat, und der Firma Lothar Rieke in Worpswede, die den Bronzeguss vorgenommen und zuletzt die sehr mühselige Arbeit auf sich genommen hat, die Tafel an der Wand des Bremervörder Rathauses anzubringen.

Mein Dank gilt auch den Politikern der Stadt, die das Projekt ohne Parteienstreit befürwortet haben. Unter ihnen möchte ich vor allem Frank Pingel von der CDU und Klaus Genter-Mickley von der SPD hervorheben.

Frank Pingel hat sich in der CDU-Fraktion erfolgreich für die Idee, die Tafel am Rathaus anzubringen, eingesetzt. Damit war, wie man in Bremervörde weiß, die entscheidende Hürde genommen. Nebenbei bemerkt hat sich mein Schüler Frank Pingel als Querdenker erwiesen: Er hat die Querausrichtung der Tafel vorgeschlagen. Auf seinen Vorschlag hin ist die Tafel waagerecht und nicht – wie am Rathaus in Uelzen – senkrecht ausgerichtet.

Ich danke auch der Stadtverwaltung herzlich: Bürgermeister Eduard Gummich, seinem Vertreter Detlev Fischer, den Sekretärinnen Dorit Knabbe und Ute Siemens, dem Standesbeamten Andreas Kieslich und dem Hausmeister Christian Hoberg.

Dank vor allem auch an Sie, die vielen Spender, von denen sich viele hier unter uns befinden. Ohne Sie, ohne euch hätte die Tafel nicht finanziert werden können. Für die finanzielle Unterstützung des Gesamtprojekts „Jüdisches Leben in Zeven und Bremervörde“ danke ich darüber hinaus dem Leo Baeck Programm, der Stiftung Erinnerung,Verantwortung und Zukunft, den Lions Clubs Zeven und Bremervörde, den GEW-Verbänden Kreis Rotenburg und Bremervörde-Gnarrenburg, der SPD Bremervörde und nicht zuletzt den Bremervörder Kirchengemeinden Liborius und Auferstehung.

Zum Schluss ein bescheidener Vorschlag, über den man in der Stadt in Ruhe nachdenken sollte: An der Osteinsel überqueren Richtung Stade zwei Brücken den Fluss, eine größere und eine kleinere. Ich schlage vor, diese beiden bisher namenlosen, nahe beieinander liegenden Brücken nach den Schwestern Adele und Henriette Leeser aus Bremervörde, die beide in den Osten deportiert und an einem bisher unbekannten Ort umgebracht worden sind, zu benennen.

Die beiden Brücken würden uns sagen:

Wir müssen uns an das, was Juden von Deutschen geschehen ist, erinnern – wir sollten uns aber auch an das, was Juden und Deutsche in der Vergangenheit verbunden hat, erinnern, u.a. an die großartigen Beiträge von Juden zur deutschen Musik, Literatur, Philosophie und Naturwissenschaft vor der Katastrophe des Nationalsozialismus. Und wir sollten uns auch in Zukunft um das uns Verbindende bemühen!


Fotos: Stephan Oertel/Zevener Zeitung

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