vonRahel 21.10.2020

Abseitsregeln

Poised between rage, punk and politics

Mehr über diesen Blog

Einzelfall hier, Einzelfall da.

Fast täglich kommen neue Informationen über rechte Strukturen innerhalb der Polizei ans Licht. Entsprechende Artikel enden meist mit den Worten „ein ähnlicher Fall ereignete sich in XY“. Doch anstatt mit einer Taschenlampe in den undurchsichtigen brauen Nebel der Polizei zu leuchten, reagierten Seehofer und Polizeibehörden mit der Dreieinigkeit: Beschwichtigung, Beschönigung, Ignoranz.

Nach monatelangem Drängen der SPD, Grünen, FDP und Linke zeigt sich Seehofer jetzt kompromissbereit: Es soll Studien über Rassismus, Extremismus und Antisemitismus in der Polizei geben. Allerdings gab es keinen Gesinnungswandel von Seehofer und somit auch keinen Grund zur Freude. Wie aus der Pistole geschossen folgen auf Polizeiskandale seine Worte: „Kein Generalverdacht!“ und „Einzelfall!“.

Damit hat er auch einen großen Teil der Bevölkerung hinter sich, die gerne mal betont, dass Polizist*innen ja nur ihren Job machen und auch nur Menschen seien. Gut, dass Letzteres nochmal erwähnt wurde. Aber es gibt eben auch rechte, rassistische und antisemitische Menschen. Auch in der Polizei. Und genau da wird es durch bestimmte Strukturen und Bedingungen eben besonders brenzlig. Stichwort „Korpsgeist“. So soll eine gesamte Dienstelle der Polizei Sachsen-Anhalt seit den 1990er Jahren Antisemitismus toleriert haben. Erst durch eine anonyme Mail wurde das Ganze aufgedeckt (1).

In der Dokumentation „Die Polizei – Bullenschweine oder Freund und Helfer“ von Rabiat kommt Simon Neumeyer zu Wort, der nach neun Monaten seine Polizeiausbildung abgebrochen hatte (2). Grund dafür waren menschenfeindliche, rechtsextreme Aussagen seiner Kolleg*innen. Seine Mitazubis benutzten das N-Wort und sangen Stahlgewittersongs.

 

Der Schießtrainer meinte, dass sie besser schießen lernen sollten weil so viele „Gäste“ nach Deutschland kämen.

Auf die Frage warum er sich nicht an seine Vorgesetzten gewandt hatte, antwortete Neumeyer, dass diese ebenfalls stark rechtes Gedankengut verbreitet oder toleriert hätten. Korpsgeist eben.

Auch ein Polizeitrainer schilderte seine Erfahrungen mit verfassungsfeindlichem Verhalten auf der Seite der Polizei. Dabei hält er sein Gesicht verdeckt um seine Identität zu schützen. Spätestens jetzt sollte einem klar werden, dass da etwas schief läuft. Wenn es um Rechtsextremismus, Racial Profiling und Polizeigewalt geht, sollte niemand verdeckt sprechen müssen. Vor allem nicht wenn es um eine staatliche Institution geht, die dafür verantwortlich ist genau diese Verfassung und Rechte zu schützen, die teilweise aus den eigenen Reihen angegriffen werden.

Fakt ist: Es gibt viel zu viele Einzelfälle um nicht von einem strukturellen rechten Problem in der Polizei zu sprechen.

Fakt ist auch: Kritik an der Polizei stößt sowohl in der Gesellschaft als auch in der konservativen Politik auf Stahl.

Vehement wird an dem Mythos der netten, gar heroischen Polizei festgehalten. Ein solcher Mythos lebt in dem Märchen das von Freunden und Helfern handelt. Dieses Märchen wird vor allem von privilegierten, weißen Märchenerzählern wie Horst Seehofer erzählt. Das Thema Rassismus und Racial Profiling findet in der Erzählung keinen Platz.

Doch Märchenerzählungen sind im 21. Jahrhundert out. Wir müssen beginnen diese internalisierten Erzählungen vom Freund und Helfer aufzugeben und anfangen in die Diskussion und kritische Auseinandersetzung zu gehen. Kritik an der Polizei bedeutet nicht notgedrungen sich mit „ACAB“ Rufen in den schwarzen Block zu stellen. Angemessene Kritik ist der Kern unserer Demokratie, die auf Gewaltenteilung basiert. Genauso wie Transparenz. Deswegen ist eine Polizeistudie über Rassismus ein wichtiger Schritt, aber sie muss mit Ernsthaftigkeit geführt werden und sich zum Ziel setzen mögliche rechte Strukturen aufzudecken.

Wenn Seehofer meint, dass es in ihr auch um Hass und Gewalt gegen Polizist*innen gehen solle, damit eine „vernünftige Balance“ herrsche, könnte man genauso gut zur Bestimmung des pH-Werts von Säure, ein bisschen Lauge dazu geben. Für die Neutralität.

(1)https://taz.de/Vorwuerfe-gegen-Polizei-Magdeburg/!5717488/

(2)YouTube: Die Polizei – “Bullenschweine” oder Freund und Helfer? RABIAT!

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/abseitsregeln/donut-love-the-police/

aktuell auf taz.de

kommentare