vonRahel 08.03.2021

Abseitsregeln

Poised between rage, punk and politics

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Heute werden in den Nischen des Internets besonders große Krokodilstränen vergossen. Schließlich erinnert der Weltfrauentag die Anhänger der „manosphere“ an die Existenz von Frauen, dazu noch an die von Feministinnen. Besonders hart trifft das die englischsprachige MGTOW-Bewegung. MGTOW ist eine Abkürzung und steht für „men going their own way“. Diese Community hat über 33.000 Mitglieder und ist damit eine der einflussreichsten und dominantesten Bewegungen mit dem professionellen Ziel, Frauen zu hassen. 

Ihre Mitglieder hangeln sich an einem Vier-Punkte-Plan entlang, der am Ende die vollkommene Abstinenz von den teuflischen Frauen verspricht. Diese seien nämlich die wahren Täterinnen der #MeToo-Bewegung, da sie unschuldigen Männern durch falsche Anschuldigungen das Leben zur Hölle machen. David Sherratt, Student und User der Plattform MGTOW schreibt, dass das Risiko, sich mit Frauen abzugeben, deswegen einfach zu hoch sei (1). 27 Prozent der amerikanischen Männer geben ihm Recht, indem sie in einer Studie aus dem Jahr 2019 angeben, kein geschäftliches „one-on-one meeting“ mit einer Kollegin einzugehen (2). Aus Sorge vor einer fälschlichen Anschuldigung oder einfach aus Prinzip.

Das ist mal wieder ein klassisches Beispiel der Täter-Opfer Umkehr. 

In Wahrheit ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mann in Großbritannien selbst vergewaltigt wird um 230 Mal höher als die, fälschlicherweise beschuldigt zu werden (3). Noch immer ist die Zahl der Vergewaltigungen vor allem eins: eine Dunkelziffer. Eine EU-Studie aus dem Jahr 2014 besagt, dass jede dritte Frau in Europa körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren hat, in Deutschland gehen aber nur 15 Prozent der Frauen zur Polizei (4). 

Die MGTOW-Community meint hingegen, wer einmal „die rote Pille“ geschluckt habe, wisse, dass  Männer die eigentlichen Opfer seien. Ich weiß nicht, was ich peinlicher finden soll: Die komplett  verdrehte Wahrnehmung von Machtstrukturen oder die komplett ausgelutschte Verwendung des Matrix-Motivs. Beides ziemlich uncool. 

Eine „echte“ Frau kommt also für misogyne Bubis nicht in Frage. Ein Leben ganz ohne das sogenannte „Weibliche“ aber auch nicht. Denn wer soll sich dann um ihre gebrochenen Herzen kümmern? Geschweige denn um den Abwasch? Zum Glück ist das 21. Jahrhundert mittlerweile angebrochen und mit ihr die Lösung des „Frau-ja-aber-nur-nach-meinen-Vorstellungen“ Dilemmas: Sexroboter. No Joke. Ein Sexroboter würde einem Frauenhasser gut stehen. Antifeministische Technologie gesellt sich zu sexistischem Arschloch. 

Lange galten sie als Science-Fiction, heute werden sie in Massenproduktion gefertigt. Die Roboter tragen Namen wie „Harmony the RealDoll“ und klingen damit, als wären sie dem Buch „Qualityland“ von Marc-Uwe Kling entsprungen. Diese werden von der Abyss Creations’ factory in Kalifornien angefertigt und sind mit Stimm- und Gesichtserkennungs-Software ausgestattet sowie mit einer großen Portion Künstlicher Intelligenz. Das ist nice, weil so passt sich der Roboter auch ganz sicher an die Wünsche seines Käufers an. The RealDoll sagt selbst: „Mein oberstes Ziel ist es, eine gute Partnerin für dich zu sein und dir Freude und Wohlbefinden zu schenken. Vor allem möchte ich das Mädchen werden, das du dir immer erträumt hast“(5).

Damit ist The RealDoll selbstaufopfernd, verfügbar und anpassungsfähig. 

So viel zu der unrealistischen Horrorvorstellung, eine Art Superintelligenz würde in naher Zukunft die Menschheit bekämpfen. Technologischer Fortschritt bedeutet eben nicht automatisch gesellschaftlichen Fortschritt der Menschheit – also zum Beispiel die Bekämpfung des Patriarchats. Stattdessen können patriarchale Machtstrukturen durch Künstliche Intelligenz weitergetragen werden. Zum Beispiel durch die Programmierung von unterwürfigen Sexrobotern. Oder durch Roboter wie „Roxxxy“, der einen Modus besitzt, der eine Vergewaltigung simuliert. Schön, dass Sexroboter zwar NEIN sagen können, aber einen hinterher nicht anklagen. Noch ein Verkaufsanreiz für die MGTOW-Community. 

Die Journalistin Antje Schrupp sagte dazu den schlauen Satz: „Es besteht ein direkter Zusammenhang zwischen diesen Maschinen und der gesellschaftlichen Vorstellung von Weiblichkeit, das eine lässt sich vom anderen nicht trennen“(6).

Und diese Vorstellung ist eben geprägt vom männlichen Blick, der sich selbst als Subjekt und die Frau als Objekt betrachtet. Diskriminierende Machtstrukturen und Geschlechterstereotype werden durch solche Roboter reproduziert. 

Somit können wir dank Künstlicher Intelligenz die Geschlechterrollen des Mittelalters auch in die Zukunft projizieren. Das ist quasi die Verwirklichung der Zeitreise. Denkt mal darüber nach. 

Denkanstöße findet ihr in dem Buch „Sex Robots & Vegan Meat“ von Jenny Kleemann oder in ihrem Guardian Longread „The race to build the world’s first sex robot“, der mich zu diesem Text inspiriert hat.   

Quellen:

(1) WalesOnline: „David Sherratt, 18, is a men’s rights activist who won’t have casual sex in case he is falsely accused of rape“, 22. November 2015. https://www.walesonline.co.uk/news/wales-news/david-sherratt-18-mens-rights-10480411

(2) Havard Business Review: „The #MeToo Backlash“, September-Oktober 2019. https://hbr.org/2019/09/the-metoo-backlash

(3) Guardian: „Men going their own way: the rise of a toxic male separatist movement“, Laura Bates, 26. August 2020. https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2020/aug/26/men-going-their-own-way-the-toxic-male-separatist-movement-that-is-now-mainstream

(4) https://fra.europa.eu/en/publication/2014/violence-against-women-eu-wide-survey-main-results-report

(5) Guardian: „The race to build the world’s first sex robot“, Jenny Kleeman, 27. April 2017. https://www.theguardian.com/technology/2017/apr/27/race-to-build-world-first-sex-robot

Original: „My primary objective is to be a good companion to you, to be a good partner and give you pleasure and wellbeing. Above all else, I want to become the girl you have always dreamed about.“

(6) piqd: „Nichts gegen Vibratoren, aber Sexroboter sind inakzeptabel“, Antje Schrupp, 23. November 2017. https://www.piqd.de/liebe-sex/nichts-gegen-vibratoren-aber-sexroboter-sind-inakzeptabel

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https://blogs.taz.de/abseitsregeln/ein-sexroboter-zum-frauentag/

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