vonRahel 10.09.2020

Abseitsregeln

Poised between rage, punk and politics

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Während deutsche Städte und weiße Bürger*innen erklären warum die „Mohrenstraßen“ nicht rassistisch sondern der M-Begriff vielmehr ehrenwert sei, wird die Bezeichnung „fette Kartoffel“ als deutschfeindliche Straftat vermerkt.

Was sich wie schlechte Satire liest, fußt leider auf dem im Alltag fest verankerten Rassismus in Deutschland und auf der Arbeit von Horst Seehofer.

Wobei der Rassismus auch in Horst Seehofer fest verankert ist. Mindestens so stark wie seine Sorge um Deutschland.

Deswegen werden seit 2019 auf seine Anweisung hin Statistiken um „deutschfeindliche Straftaten“ erhoben. Unter „deutschfeindlich“ zählt alles was gegen Deutschland oder Deutsche gerichtet ist. Das ist auf der einen Seite sehr diffus und auf der anderen Seite sehr sehr dämlich.

So zählen beispielsweise das Entfernen von AfD-Wahlplakaten und das Entwenden von Fahnen mit Nazisymbolen auf einer Demo von Rechtsextremen als „deutschfeindliche Diebstähle“ (1).

Diese Anordnung kommt von dem gleichen Typ, also immerhin vom Bundesinnenminister von Deutschland, der vermeintlich „null Toleranz“ gegenüber Rechtsextremen hat.

Nachdem diese versuchten das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen sagte Seehofer: „Der Staat muss gegenüber solchen Leuten mit null Toleranz und konsequenter Härte durchgreifen“ (2).

Witzig, weil: Ist der deutsche Staat dann deutschfeindlich wenn er bei einer Demo von Rechtsextremen hart durchgreift? Oder ist deren Angriff auf den Reichstag mit Nazisymbolen demokratie- und damit auch deutschfeindlich?

Was denn nun Herr Seehofer?

Und was soll überhaupt dieses Kindergartenwort „deutschfeindlich“? Gibt es dann auch „großbritannienfeindlich“ und „hessenfeindlich“? Oder „horstfeindlich“?

Naja, jedenfalls gab es im vergangen Jahr wohl 132 mutmaßliche Delikte, die das Bundeskriminalamt dann als deutschfeindlich kategorisiert und als „politisch motivierte Kriminalität“ gemeldet hat. Mutmaßlich ist schon deswegen ein zutreffendes Wort, weil hätten sie mal richtig gezählt, wären es schon allein in meiner Gegend 100 Delikte im Jahr gewesen.

Ist auch keine so große Kunst, denn schon die Bezeichnung „fette Kartoffel“ reichte aus um als deutschfeindliche Straftat gewertet zu werden.

Da lässt sich jetzt streiten was genau sich da gegen Deutschland richtet.

Das Adjektiv „fett“ bezeichnet eine Körperform und die Kartoffel wurde schon zu Zeiten Friedrich Schillers in den Himmel gepriesen:

„„Kartoffeln in der Früh, zu Mittag in der Brüh, des Abends mitsamt dem Kleid, Kartoffeln in Ewigkeit!“

Gleichzeitig empören sich weiße Bürger*innen in Leserbriefen und hitzigen Debatten darüber, dass sie nicht mal mehr das „M-Wort“ oder das „N-Wort“ sagen dürfen. Sie dürfen es nicht, machen es aber trotzdem und das mit purer Ignoranz und dem Rückenwind von so manchem Stadtrat.

So ändert die Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, nicht den Straßen- und Apothekennamen, sondern bringt eine Infotafel an, die ihren Rassismus rechtfertigen soll.

Auch die stark stereotypisierte Statue eines Menschen afrikanischer Herkunft wird mit folgenden Worten relativiert: „Die Figur drückt Bewunderung für die medizinischen Kenntnissen in tropischen Ländern aus. Apotheken verkauften bis in das 20. Jahrhundert eine breite Palette auch exotischer Produkte.“

Haaaaaalllllooooo?!?! Bitte was?!

Das Wort Mohr steht historisch für einen unterwürfigen, versklavten, afrikanischen Diener und leitet sich auch von dem Wort „moros“ („töricht“) ab.

Und Exotismus und Rassismus sind zwei Seiten einer Medaille, die aus der Sicht von weißen Europäer*innen geprägt wurde.

Beim Exotismus geht auch um Sexualisierung und „exotisch“ diente als Synonym für „unzivilisiert“ (3).

Es ist eine Schande, dass diese diskriminierenden und gewaltvollen Begriffe weiterhin Gebäude zieren, während „fette Kartoffel“ als Beleidigung strafrechtlich erfasst wird.

Quellen:

(1) Spiegel „Ist „fette Kartoffel“ deutschfeindlich?“; 13.08.2020

(2) Zeit „Horst Seehofer bestürzt über Reichsflaggen am Bundestag“;  30.08.2020

(3) http://www.leipzig-postkolonial.de/htmls/08_glossar.html

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