Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.
26. August abends. Reise nach Mainz. Victor der Zivilisationsästhet hat uns als Belohnung für ›Klasse gegen Klasse. Zweiter Teil‹ – »Eure beste Folge!« – nach Mainz eingeladen. Wir kommen um 22:30 Uhr im Hyatt an, ein Luxuskasten am Rhein, Architektur kein Brüller. Innenarchitektur dezent, Schieferfußboden. Kleiner Imbiß in der Lounge. Wir beziehen ein schönes Zimmer mit Blick auf den nächtlichen Rhein. Victor hat uns zur Begrüßung eine Flasche Absinth hingestellt, ein deutsches Fabrikat von Dotzauer aus Oberstreit: ohne Fenchel, Anis und Ysop, lediglich auf Wermutbasis, bei Zugabe von Wasser erhält man deshalb keine Trübung. Der Stoff duftet nach Heu und schmeckt bitter. Man trinkt ihn wohl am besten pur wie einen Schnaps. Für uns etwas zu heftig.
Und noch eine von Victors Spitzenleistungen: Neben dem Absinth aus Oberstreit steht ein 100 ml Medizinfläschchen mit Pipette: »L’Extrême d’Absente« aus der provencalischen Destillation. Dieser Kampfstoff enthält 35 mg/l Thujon und das Etikett warnt:
»1) L’Extrême d’Absente ist hochkonzentriert. Fügen Sie Ihrem Absente-Longdrink oder -Cocktail stets nur wenige Tropfen hinzu.
2) Verwenden Sie dazu die mitgelieferte Pipette und überlassen Sie das Mixen mit L’Extrême d’Absente den Profis.
3) Auch Profis sollten L’Extrême d’Absente stets nur maßvoll verwenden. Es enthält keinen Zucker, aber 70 % Alkohol und bis zu 35 mg/l Thujon.«
Wir werden versuchen, uns daran zu halten. Wenn jemand dieses Absinthkuriosum unbedingt haben will, unser Absinthdealer hat noch ein paar Fläschchen auf Lager. Absente hat die Produktion eingestellt.
Als wir zu Bett gehen, fragen wir uns: Warum hat Victor sich und uns ausgerechnet in diesen sterilen Luxusbunker einquartiert? Am Morgen beantwortet sich diese Frage von selbst. Wenn du aufwachst, fließt der Rhein direkt an deinem Bett vorbei. Lediglich 6 Zimmer von 268 haben diesen speziellen Ausblick auf den Fluß und die Mainmündung. Und jetzt schwimmen auch noch hundert gelbe Badekappen vorüber! Später erfahren wir, es handelt sich um den City-Triathlon mit Benefizzugabe. Wir frühstücken, Victor kommt ins Zimmer und stellt fest: »Ja, das Hotel ist von außen häßlich, aber wir sehen das ja nicht, weil wir von innen rausgucken.«
Wir haben also den schönen Blick vom Fort Malakoff, hinter dem das Hyattt liegt. Zuckmayer schwärmt davon in seinen Memoiren. Das Fort Malakoff, eine Kaponniere, ist nach einer im Krimkrieg heftig umkämpften Festung auf den Malachow-Hügeln benannt, welche von den Franzosen eingenommen wurde. Als Kaponniere (von capone = Schlaukopf) bezeichnete man im Festungsbau einen gedeckten und massiv gemauerten Gang, aus dem die Verteidiger mit Gewehren die Angreifer bis in den letzten toten Winkel beschießen konnten. Heute ist hier für das unbewehrte Auge der schönste Aussichtspunkt von Mainz.
Fortsetzung morgen (BK / JS)