vonChristian Ihle & Horst Motor 24.03.2008

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Bitte Edding raus und aufschreiben: „John Darnielle ist ein Genie.“ Dann umblättern und weiterschreiben: „Die neue Mountain Goats ist ein Meisterwerk!“. Jetzt die beiden Din A4-Blätter an die Haustür kleben und abwarten. Wenn jemand klopft und zustimmt, unbedingt reinlassen. Wird wahrscheinlich ein liebenswerter Mensch sein…

Mountain Goats

Songwriter John Darnielle ist ein schrulliger, ziemlich weltfremder Mensch. Vielleicht auch ein bischen arrogant, so wie Stephin Merritt von den Magnetic Fields. Und wahrscheinlich hat er eine ganze Menge Spleens und Ticks. Zumindest legen das seine Texte und die schiefe Stimme nahe. Ohne Stammtisch-Psychologie betreiben zu wollen: fest steht, dass er ganz großartige Songs schreibt, und das schon seit 1991. Was all die Jahre und über 15 Alben vor allem Lo-Fi war, ist jetzt ein kompaktes Folkrock-Album geworden, das in seiner Springsteen’schen Kraft zu einem der Besten des Jahres mutieren dürfte.

Alles beginnt formschön, mit dem ungewohnt krachigen, ziemlich schief gesungenen und von fast biblischen Abgründen gezeichneten „Sax Rohmer #1“. John Darnielle entwirft das uralte Bild einer Hafenstadt, in der dunkle Gestalten und abgebrannte Seeleute den Weg bereiten für Darnielles Rückkehr zur einzig wahren Liebe. Dabei trägt er sein Herz auf der Zunge – und wenn es eben das letzte ist, das er tun muss. Mit blutigem Geschmack im Mund endet das Lied und ein Album beginnt, das Indie-Folk scheinbar eine ganz neue Komponente gibt – oder zumindest alte Helden vergessen lässt. „San Bernardino“ hat bezaubernd-traurige Geigen und eine unterwürfige Ruhe. „And flaming swords may guard the garden of Eden / But we consulted maps from earlier days / Dead languages on our tongues Holding on to our last hope“. Die Städte und der Familienkosmos, den Darnielle entwirft, sind brüchig, stehen kurz vor der Zerstörung. Die Heile Welt gibt es nicht, hat es vielleicht nie gegeben. Aber kleine Details wie das Plätschern des Wassers in die Hotelbadewanne geben ein wenig Ruhe und Zufriedenheit. „We were safe inside and our new son cried, San Bernadino welcomes you”. Man sollte Darnielle für Zeile wie diese danken, weil sie so herrlich naiv und hoffnungsvoll sind, aber nie kitschig. Draussen tobt eben immernoch ein Sturm.

Ganz am Ende, bei „Michael Myers Resplendent“, wenn der Himmel voller dunkler Geigen und Selbstzerstörung hängt, schließen John Darnielle und seine Mountain Goats mit den Worten „When the scum begins to circle the drain / Everybody loves a winner“. Dazwischen passiert alles, was auf einem perfekten Indie-Folkrock-Album passieren sollten. (Robert Heldner)

Anhören!

  • „Sax Pohmer #1“ (hier)
  • „San bernadino“
  • „So Desperate“
  • „Michael Myers Resplendent“

Im Netz:

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