vonKarim El-Gawhary 07.09.2010

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Noch vor wenigen Tagen saß ich mit meiner Familie am Tisch und wir redeten darüber, dass die unerträglichen Sommertage endlich vorüber sind und nun die angenehmen Herbsttage beginnen. Die Klimaanlage bleibt ausgeschaltet, stattdessen  werden die Fenster aufgemacht und eine leichte, wenngleich noch warme Brise zieht durchs Haus. Das erfreut das verschwitzte Gemüt und entlastet die Stromrechnung und das Umweltgewissen.

Alles schien also gut, bis ich heute Morgen das Fenster öffnete, um es gleich darauf wieder zu schließen. Ein kurzer Blick in die Zeitung bestätigte meinen Verdacht: Was meine Nase beim Öffnen des Fensters vermutete, wird vom „Luftverschmutzungswarnsystem der ägyptischen Umweltbehörde bestätigt. „Die Saison der „schwarzen Wolke hat begonnen“, titelt die unabhängige ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm.

Kairo befindet sich also wieder im Griff der „schwarzen Wolke“, einem alljährlich im Herbst wiederkehrenden Phänomen, das eine natürliche und eine menschengemachte Ursache hat. Die 18 Millionen Stadt Kairo erstickt in ihrem eigenen Dreck, weil über ihr metrologisch gesprochen eine thermische Inversion stattfindet. Kältere Luftmassen sperren die wärmere Luft über Kairo ein und schaffen eine Dunstglocke.

Verschärft wird diese Situation, weil die Bauern im Nildelta genau in dieser Zeit ihr Reisstroh auf den Feldern verbrennen.  Über das Jahr verteilt ist das Verbrennen für sechs Prozent der Luftverschmutzung verantwortlich, in der Saison der schwarzen Wolke aber für 45 Prozent.

Ein kleines Video über die Reisverbrennung letztes Jahr veranschaulicht die Ursache.

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=kr-in3rC7dI[/youtube]

Das Ärgerliche dabei ist: obwohl die Wolke auch menschliche Ursachen hat, bekommt Ägypten das Problem seit Jahren nicht in den Griff. Vor drei Jahren hatte ich für die taz bereits schon einmal eine Kolumne zum gleichen Thema geschrieben.

taz 29.10.2007

nebensachen aus kairo

Gefangen unter der schwarzen Wolke: Im Herbst wird das Lüften lebensgefährlich

Jeden Herbst ist es wieder so weit. Draußen taucht die afrikanische Sonne meine Straße in verlockendes Morgenlicht. Ich öffne die Fenster, atme tief durch – und fange an zu husten. Verglichen mit dem, was da von draußen hereingeweht kommt, hat die stickige Luft im Inneren der Wohnung geradezu deutschen Waldluftcharakter. „Die schwarze Wolke“ haben die Kairoer dieses mysteriöse Phänomen getauft, das ihre 18-Millionen-Stadt täglich ab Mitte Oktober für einen Monat heimsucht. Zwar sind keine Rauchschwaden auszumachen, aber es riecht, als läge die ägyptische Hauptstadt in der Windrichtung eines gigantischen Lagerfeuers.

Wissenschaftlich gesprochen haben die Stickstoff- und Kohlenmonoxide zusammen mit dem Feinstaub wieder einmal Rekordhöhen erreicht, die weit über den Grenzwerten der Weltgesundheitsorganisation liegen. Nach WHO-Schätzungen wird beim Einatmen der Kairoer Luft im Schnitt das 20fache der vertretbaren Giftmenge aufgenommen. Dazu kommt die herbstliche Witterung, in der kältere Luftschichten die wärmere Dunstglocke fest unter sich verschließen und die Stadt in ihrem eigenen Dreck langsam ersticken lassen.

In der Ursachenforschung sieht man den Wald vor Bäumen oder die Fabriken vor Schornsteinen nicht. Sind es die 100 Ziegelfabriken rund um die Stadt, die täglich 250 Tonnen Schweröl verheizen, die vier Zementfabriken, die 750 kleinen Gießereien, die 70 Steinbrüche, die 53 industriellen Töpferöfen, die 1.206 metallverarbeitenden Betriebe, die zwei Ölraffinerien oder die 269 Köhlereien? Es könnten aber auch die 21 Millionen Tonnen jährlich anfallenden Mülls sein, der meist offen verbrannt wird. Oder liegt es vielleicht doch am Verkehr, also an den 1.500 Diesel-Stadtbussen und 1.000 privaten Minibussen, den 1,6 Millionen Privatautos oder an den 80.000 teils schrottreifen Taxis?

Ich strecke meinen Kopf aus dem Fenster und blicke in Windrichtung Norden. Denn dort leben sie, die herbstlich wiederkehrenden Übeltäter: die Reisbauern des Nildeltas. Wenn sie im Oktober ihren Reis geerntet haben, entledigen sie sich des Reisstrohs kurzerhand, indem sie es anzünden. Allein in der Deltaprovinz Scharqiya gilt es 858.000 Tonnen Reisstroh zu entsorgen. Tendenz steigend, denn die ägyptische Reisproduktion ist binnen vier Jahren um ein Drittel angestiegen.

Die Regierung wird von den Medien wegen ihres schleppenden umweltpolizeilichen Tatendrangs jeden Herbst von neuem kritisiert. Und jedes Mal droht sie den Bauern Geldstrafen an. Aber es hapert an der Durchsetzung. Und an möglichen Alternativen: Die seit Jahren angekündigten Pressmaschinen für das Stroh werden nur selten gesichtet, obwohl das Reisstroh ideales Isoliermaterial für den Bau darstellt und auch zu wertvollem Biodiesel umgewandelt werden könnte. Also hat die „schwarze Wolke“, die nun seit neun Jahren in aller Munde ist, inzwischen drei ägyptische Umweltminister und deren Versprechen überlebt.

„Eine halbe Million Kairoer werden in den nächsten 25 Jahren ernsthaft an den Atemwegen oder tödlich an Krebs erkranken“, kalkuliert der Kairoer Umweltprofessor Salah Hassanein. Genug gelüftet: Ich mache mein Fenster wieder zu.

Immerhin einige Silberstreifen sind am verrauchten Horizont auszumachen. Die kanadische Entwicklungsbehörde wird zusammen mit der ägyptischen Umweltbehörde 50 Ziegeleien von Schweröl auf Gasbetrieb umstellen. Das käme angeblich der Stilllegung von 300.000 Autos gleich. Mal schauen, vielleicht werde ich morgen früh doch noch einen Versuch machen: das Fenster einen Spalt öffnen und meine Nase von der zweifelhaften Brise des Niltales streicheln lassen.

KARIM EL-GAWHARY

Nachts sieht die Reisverbrennung besonders apokalyptisch aus


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