vonWolfgang Koch 06.08.2007

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Off-Festivals sind in Wien so selten wie bengalische Tiger. Denn fehlt hier Kultur oder Wissenschaft das offizielle Mascherl, fallen ihre Produkte sofort unter den Generalverdacht unbrauchbar zu sein.

»Soho in Ottakring« [www.sohoinottakring.at] ist eine Ausnahme von dieser Regel, und der Wienblog hat rechtzeitig auf die besten Veranstaltungen rund um den Brunnenmarkt aufmerksam gemacht. Das »Festival der Verweigerung«, eine gewitzte Idee des Wiener Schriftstellers Peter A. Krobath und seines ominösen Kusserutzky-Klans, präsentierte bei Soho 07 die Vortragsreihe »Wellness für Loser«.

Die beiden denkwürdigsten Beiträge aus dieser Reihe will ich dem Publikum der taz nicht vorenthalten. Zunächst »Paradise – Now!« von Mag. Dr. Elisabeth Mixa. Sie ist Soziologin, lehrt und forscht zu den Schwerpunkten Medizin- und Gesundheitssoziologie, Körper, Geschlecht und Gesellschaft.

© Wolfgang Koch 2007
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Paradise – Now!

Von Wellness-Wellen und Wasser-Nixen. Ein Anti-Ratgeber für Wellnes-User und -Loser in zehn Thesen und Geboten.

Von DR. ELISABETH MIXA

Achtung! Dieser Beitrag beschäftigt sich mit Wellness for Winners. Er resümiert und pointiert Markantes, Strukturelles aus einem aktuellen, gesellschaftlich relevanten Diskurs, der über neue und hegemoniale gesellschaftliche Einrichtungen, über neue Körperpraktiken, eingeschrieben ist in Kultur und Selbst*). Er betrachtet Wellness als Kulturphänomen westlicher Prägung, welches heute bereits als selbstverständlich in Sprache, Räume, Selbst-Verhältnisse integriert ist. Die rasante Etablierung des Wellness-Diskurses verweist auf die Relevanz einer Reflexion, einer Dekonstruktion, dessen, worin jeder in der einen oder anderen Weise involviert ist, und sei es in einer noch so individuell-und-nur-für-sich-passenden Version, die für Wellness gerade eben so bezeichnend ist. (Stichwort: Alle sind Wellness-User).

Wellness-Wellen – Wie das Wort selbst, kann die Wellnessrhetorik, die ihrerseits bereits Heil verspricht, als kolorierte kategoriale Grauzone bezeichnet werden. Relaxen, emotions, body&soul, mood food: Fremd-sprachen, wohlig, wellig, weiche Alliterationen, Worthüllen, Fusionen und Diffusionen, verführerische Verschleierungen, deren Enthüllungen deutliche Neukodierungen preisgeben. Im Zuge der Suche nach der aktuellen Sorge um sich/das Selbst und der Suche nach neuen Gestalt(ung)en, begegnet man zwei zentralen Figurationen des Diskurses: der Wellness-Oase, in einer Genealogie der Schöpfungs/Paradies/Mythen und der Wellness-Wellen-Wasser-Nixe, in einer Tradition w/leiblicher Alltagsmythen.

Die Wellness-Schöpfung kann als Diesseitsreligion, als postmoderne Heterodoxie und Neoreligion beschrieben werden. Sie steht im Zusammenhang mit neuen spirituellen Suchbewegungen, Sinnfragen, gobalen Wissens- und Kulturbewegungen. Der Wellness-Schöpfungs-Mythos ist ein best-of-mix aus unterschiedlichen Religionen, antiker Mythologie, von Heilpraktiken und -versprechen, vermischt mit modernstem know-how und high-tech einer Gesellschaft, die längst nicht mehr an höhere Wesen, Erlösungslehren und ein glückliches Jenseits zu glauben vorgibt. Paradies-neu ist die Wellness-Oase**).

Mit aktuellen Wellness-Oase-Narrativen gehen bedeutsame Transformationen einher: Aus dem göttlichen Imperativ, die Frucht vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, nicht zu essen, nicht gottgleich unsterblich sein zu wollen, wird ein Imperativ zu geniessen, ein Versprechen des langen Lebens bei guter Gesundheit im Diesseits. Figuriert der Garten Eden noch Verbannung und Erlösung gleichermassen, so wird nunmehr an diesen (imaginären) Orten Verbannung selbst verbannt: aus Verboten werden Gebote. Die liturgische Botschaft lautet, sei du Selbst und glaub an dich.

1. Relaxe! Regression, Auflösung, Selbst-Transformation
Das Mentalparadies Wellness kann als geschützter Raum verstanden werden, weil Figurationen postmoderner Kulturen selbst als Symptome ihrer institutionellen und ideologischen Rahmenbedingungen verstanden werden müssen. Gleichsam als Dritter Ort ist das Mentalparadies simulierte Realität, Hyperrealität, die konstituiert werden kann auf Basis der Mobilisierung sogenannter innerer Räume – es sind die Räume von Träumen und Leidenschaften. Selbst transitorischen Räumen aber auch Räumen kindlicher Erinnerung wird Gestalt gegeben (Disneyfizierung). Die Wasser-Oase wird zur Auftankstelle für Durstige nach Energie, Harmonie, Glücksgefühlen, optimalen Stimmungen.

2. Geniesse! Eine Körperreise
In einer Fusion aus fernöstlichen, schul- und alternativmedizinischen Heilverfahren sowie high-tech-Verfahren und –Produkten, etabliert sich ein neues Körper-Selbstverhältnis: Grammatiken der Lesbarkeit von Körpersignalen werden vermittelt, im Zuge von Selbsterfahrungen wird der Körper als authentische Raststätte auf der Suche nach Wahrheit verstanden, die im Inneren verortet wird. Durch den Akzent auf individuelle Prävention und Genusssteigerung entstehen sowohl neue Zielgruppen, die chronisch Gesunden, als auch neue Krankheiten, sogenannte Wohlfühlkrankheiten. Die Vernachlässigung der guten Gesundheit, so wird nahe gelegt, führe zu selbstverschuldetem Unwohlsein.

3. Begehre! Safest-Sex oder das Gesuss-Risiko
In einer latenten Allgegenwärtigkeit und verstärkten Thematisierung von Sex, findet sich Sexualität in einer ausgeprägten Ambiguität wieder. Einer Sexualisierung von Praktiken und Artefakten, korrespondiert eine Profanisierung und Infantilisierung von Sexualität, eine Auflösung von Geschlechtlichkeit. Als sexualisierte Selbstbezüglichkeit, über aufgeladene Atmosphären und Dienstleisutungen an eigens dafür vorgesehenen Orten zu erwerben, kann Wellness auch als post-sexuelles Symptom zur Diskussion gestellt werden: als Safest-Sex – kontrolliert (räumlich, zeitlich, sozial), entlastend (von Auseinandersetzungen mit sich und PartnerInnen), beruhigend (gegenüber möglichen Folgen und Risiken), und vor allem: gesundheitsförderlich (weil Hormone für Schönheit, Glück, langes Leben und gegen Krebs freigesetzt werden).

4. Zer-fliesse! Panta rei – wie das Wasser sein
Die Wellness-Wellen-Wasser-Nixe gleich wie das Wasser selbst müssen als zentrale Gestalt und Medium des Wellness-Diskurses betrachtet werden. Die Wasser-Nixe ist verkörperte Sehnsucht nach dem nahezu kindlichen Körper im Wasser, das als Jungbrunnen wirkt. Die gegenwärtig inflationäre Wellness-Wasser-Nixe steht in einer doppelten Bildtradition. Die Wellness-Nixe ist weiblich, flexible sexualisierte Projektionsfläche, sie ist Kind-Frau und als körperliche Gestalt geschlechtslos und birgt gleichwohl die Geschichte dämonischer weiblicher Verführungsmacht. Vordergründige Entsexualisierungen der Darstellung können die Konsumentin freispielen von einem ‚kulturellen Ballast’, von der Gleichsetzung von Wasser mit Unvernunft, Trieb und Begehren.

5. Fühle! E-Motions oder Körper in Bewegung
Der verstärkte Konsum von sich verdichtenden Ritualen, Dienstleistungen und Produkten, insbesondere in Ruheräumen, verweist auch auf den Wunsch nach neuen Sicherheiten: Selbst-Halt. Vermittels neuer Selbsttechnologien geht es um die Gestaltung eines neuen Innen-Raums, eines psychischen Raums, der über Techniken der Kontrolle von leibhaftigen Gefühlen, konstruiert wird. Negative Erinnerungen werden gelöscht, positive stimuliert und über ästhetisierte Praxen und Räume inszeniert. Eine virtuelle Welt der Wohlgefühle, die Räume des Unbehagens denunziert bzw. als selbstverschuldetes Versagen eliminiert, verdrängt und überlagert Erinnerungen in einem inszenatorischen Spiel der Auf- und Abspaltung. Unser Körper-Selbst ist es, welches laut postmodernen Wohlfühldiskursen einer neuen Ausstattung, Einrichtung, Wartung bedürfe.

6. Optimiere! Synergie und Magie
Die Sprache der Wellness-Rede zeichnet sich durch Superlative aus. Die ganze Leichtigkeit der Handhabung und das Überzeugende der Verführungskünste, bündeln sich in einem Wort: Synergien. Nicht nur, sondern darüber hinaus und noch dazu. Göttliche Schöpferkraft verwandelt sich in irdisch-himmlische Gestaltungsmacht. Sie findet sich wieder im Selbstdesign. Nicht nur die Inszenierungsweise von Wellness verzaubert mit Magie. Magie, Zauber, Illusion, (Auto)Suggestion sind zugleich bedeutsame Heilspraktiken. Wirkt irgendwie, scheint den Genuss zu befördern.

7. Trainiere! Marathon und lebenslanges Lernen
Angeblich ist Wellness eine Wortkombination aus Fit-NESS und WELL-being, womit die Aufnahme von Fitness und dessen Umcodierung gleichermassen benannt sind. Der Fitness-Begriff wird ausgedehnt auf emotionale und mentale Dimensionen, hervorgebracht durch entsprechend neue Praktiken: leichte Bewegungen, Mentaltraining, Meditationen. Der fitte Körper, in einer ökonomisch-politischen Metapher verallgemeinert, trägt sowohl die Spuren der (industriellen) Arbeit, als auch der (sexuellen) Kraft. Mit Wellness werden diese Zeichen überschrieben und in auratischen Ausstrahlungen aufgelöst.

8. Kreieren! Fit in out fit
Ästhetische Selbst-Zuschnitte, aufwendige Selbst-Inszenierungen, auratische Ausstrahlungen sind Teil einer Selbst-Performance, deren oberstes Gebot Authentizität lautet. Die Sichtbarkeit von Arbeit – Körperarbeit –, die Prozeduren, Praktiken und damit auch die technisch-künstliche wie gesellschaftliche Herstellung des Prozesses selbst – verschwinden. Das authentische Innen bzw. Selbst muss auch verkörpert werden. Es ist wohl das Paradox des Authentischen, welches immer schon ein Gewordenes, Geformtes, Projektiertes und Imaginiertes ist, und sich als solches nie zu erkennen geben darf, wie der Mythos der unschuldigen und reinen Natur.

9. Just do in! Weil’s einfach gut tut.
Die vielfältigen und doch redundanten Inszenierungsweisen des Wellness-Diskurses tragen eines gemeinsam: Re-kreation und Wunscherfüllung scheinen mit Leichtigkeit, quasi im Schlafe, herstellbar. Dieses einfach, markiert nicht nur eine (hedonistisch, lustvolle) Wende in bisherigen, durch Pflichten und Verzichte gekennzeichneten, gesellschaftlichen Diskursen, vielmehr verbirgt sich darin auch ein Wandel von Wissen: aus Erkenntnis wird Selbst-Kenntnis, aus Wissen wird Know-how, zu welchem kein tieferes Verstehen erforderlich ist, sondern lediglich eine oberflächliche Benützungsfertigkeit.

10. Funktionieret! Wellness als postmoderner Anstandsdiskurs
Der Imperativ zu geniessen und zu relaxen bringt individuelle Verhaltensweisen hervor, von der Körperpflege bis hin zu Konsumstilen, die als kollektive Handlungsformen anerkannt und eingeübt, Anerkennung übermitteln und dadurch neue Selbst-Verständlichkeiten generieren. Der Wellness-Diskurs schafft schliesslich eine neue Topologie und Topographie. Mit einer neuen, unwiderstehlichen Vernunftslogik einfach wohlfühlen, relaxen, geniessen, ewig-lang-gesund-schön-leben, entsteht eine Art neuer Wahnsinn und ihm zuordenbare Miss/Zustände und Schräg/Lagen: Unwohl-sein (z.B. nicht relaxen und geniessen können). Eine neue Gruppe/Schicht entsteht, soviel steht bereits heute (mit diesem Soho-Event 2007) fest: Die Wellness-Loser. Sie können aber ihrerseits durchaus auch, auf die eine oder andere Weise, also partiell, weil virtuell und alles möglich ist, Wellness-User sein.

Anmerkungen:

*) Die hier angestellten Überlegungen basieren auf einer mehrjährigen Kultur-wissenschaftlich-soziologischen–Analyse des Feldes im deutschsprachigen Raum (vom Beginn bis heute), sind paraphrasierte Auszüge aus meiner Habilitationsschrift (2007). Eine ausführlichere Version dieses Textes findet sich in Mixa, Elisabeth; Futscher Edith: Heterotopien des Wohlfühlens. Analysen und Thesen zu Wellness, in: Birgit Sauer, Eva-Maria Knoll (Hg.): Ritualisierungen von Geschlecht, WUV, Wien 2006, S. 181-200.

**) Im Titel findet sich eine Anspielung an den Film Paradise Now (Regie: Hany Abu Assad, 2005), einen Film, welcher religiös-kulturelle Fragestellungen und Konflikte anhand einer Reise in innerste Überzeugungen und Emotionen zweier als Selbstmordattentäter/Märtyrer auserwählter Jugendlicher im Lichte von Krieg und Terror thematisiert. Dieser Kontext und die Verbindung mit einem Imperativ, möchte den Diskurs in globale Zusammenhänge und die Wellness-Oase in ein anderes Licht stellen: eine Krisen-Heterotopie, im Sinne einer illusionären absoluten, a-sozialen Abgeschlossenheit, einer inselhaften Abgeschiedenheit (von Krieg, Terror, Umweltkatastrophen, allen Übeln) und als einen westlichen, postmodernen Schauplatz und bürgerlichen Mythos in seiner Dimension als entpolitisierte Aussage und als privilegierten Ort dechiffrieren.

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