von 18.04.2010

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Von Helmut Höge (U62 – „Ich bin zwei Öltanks“)

Die Idee ist nicht schlecht: dass die Praktikanten bzw. die Unter31, denen sonst oft gesagt wird, was zu tun ist und wo sie hingehen sollen, um irgendetwas zu recherchieren, nun umgedreht bestimmen, was in die Zeitung kommt. Ob sie allerdings nun den Alt-Redakteuren sagen, was sie zu tun haben, darf bezweifelt werden. Immerhin: die Kurznachrichten haben sie abgeschafft und die Wahrheitsseite ebenso – weil sie keinen Mut zur Satire haben, vermutete der Wahrheitsredakteur jedoch leicht beleidigt.

Auch die Themenvorschläge der Berlin-CvDs, die zum Teil in Form von Veranstaltungsterminen für die kommende Woche vorlagen, wurden von den U31 abgelehnt. Und terminwahrnehmungsmäßig vorgearbeitet wurde so weit sich das überblicken läßt auch nicht. Deswegen sprangen wir alte Säcke ein:

– Und besuchten erst mal am Freitag die Eröffnung der Gedenkstätte Todesmarsch in der Schmugglerheide bei Wittstock – wo wir natürlich unter den vielen angereisten Überlebenden des Todesmarsches gewissermaßen zu den U31 gehörten. Die 1975 eingerichtete Gedenkstätte war 2002 von Neonazis abgefackelt worden (sie liegt einsam mitten im Belower Wald). Ihre Eröffnung verband sich an diesem Wochenende mit den Veranstaltungen zum 65. Jahrestag der Befreiung der KZ-Häftlinge, die von der Berliner Zeitung als „Kitsch“ bezeichnet werden, wobei sie mit diesem abfällig gemeinten Wort einen Theologen zitierten. Wir waren jedoch von den vielen Reden der KZ-Forscher, Kulturpolitiker und vor allem der Überlebenden des Todesmarsches durchaus gerührt – aber dieses Gefühl ist natürlich nicht weit vom Kitsch entfernt. Vor allem die Rede der Brandenburgischen Ministerin für Wissenschaft war äußerst sympathisch – nicht zuletzt ihrer Stimme wegen…so etwas Gekonntes!

Weiter ging es nach Wittstock, wo wir kurz in der Burganlage des 30jährigen Krieges gedachten, über den es dort eine Ausstellung gibt (z.B. mit Pestflöhen unter einem Mikroskop), dann kurz zur Kuckucksmühle bei Grabow aus dem 18.Jhd. und weiter zum Ritter Kahlbutz in Kampehl aus dem 17.Jhd. und schließlich vorbei am Schloß Ribbeck, wo man jüngst die vielbesungenen Birnen des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland aus dem 19. Jhd. dank des Pomologen Dr. Artur Steinhauser gewissermaßen wiederauferstehen ließ. Zuletzt schauten wir – mehr aus Versehen und wegen eines GPS-Fehlers – auch noch beim Wannseebad aus den Dreißigerjahren vorbei, wo zwei junge Frauen sich als erste in diesem Jahr ins kalte Wasser wagten.

Auf dem Weg dahin sahen wir die ersten Spargelstecher auf den Feldern. Dort wird jetzt nur noch polnisch unter den verlogen „Erntehelfer“ genannten Billigarbeitskräften gesprochen, was wir natürlich nicht mitbekamen, aber wußten: Neben den 2500 polnischen Saisonarbeitskräften, die man allein im Beelitzer Spargelgebiet jährlich einsetzt, wurden stets auch 500 deutsche Arbeitslose dort dienstverpflichtet. In diesem Jahr jedoch so gut wie keine mehr, denn die Jobcenter haben ihren Zuschlag – 500 Euro mehr monatlich zum Hartz-IV-Geld – auf 250 Euro gekürzt. Dafür will so gut wie keiner „die zehn Wochen Knochenarbeit auf dem Feld verrichten,“ mutmaßte bereits die Berliner Zeitung. Das mache aber nichts, denn es gäbe mehr Anfragen aus Polen als man brauche, wie einer der Spargelbauer der Zeitung erklärte. Da die U31er die „Erntehelfer“ wahrscheinlich ebenfalls links liegen lassen werden in dieser Woche, sei ihnen hier wenigstens die rechtzeitig zur Spargelsaison erschienene ausführliche Studie des Sozialgeographen Jörg Becker zur Lektüre empfohlen: „Erdbeerpflücker, Spargelstecher, Erntehelfer. Polnische Saisonarbeiter in Deutschland – temporäre Arbeitsmigration im neuen Europa“, Verlag „transcript“ Bielefeld 2010.

Am nächsten Tag stand eine Besichtigung des Schwarzen Blocks aus den letzten Tagen der BRD auf dem Terminplan: Er demonstrierte am Heinrichplatz in Kreuzberg noch einmal kurz die langerprobte Lauf-Kampfformation (Ho-Ho-Ho-Tschin-Minh“), bei der wir als alte Säcke und Kettenraucher natürlich nicht mehr mithalten konnten. Wir blieben im Café Florian sitzen, wo man die Fenster geöffnet hatte, so dass man von dort alles mitbekam. Es ging um eine Demonstration gegen Gentryfication, die sich konkret gegen die neuen Eigentümer des inzwischen geschlossenen und verrammelten „Café Jenseits“ am Heinrichplatz richtete. Es wimmelte von Polizisten vor und in sogenannten Wannen, im Gegensatz zur Café-Besetzung in der Woche zuvor blieben sie jedoch diesmal halbwegs friedlich, was ihnen sichtlich schlechte Laune bereitete. Sie sind nun mal zum Draufschlagen abgerichtet und ausgerüstet. Das „Event“ endete mit Liedern von „Geigerzähler“ – ein junger Geiger mit homemade-songs, gegen den die Ton-Steine-Scherben alt aussehen würden, gäbe es sie denn noch.

Am nächsten Tag ging es zurück ins taz-haus, wo es merkwürdig ruhig war – und jetzt 16 Uhr 22 immer noch ist. Eigentlich hätte es dort wegen der erstmaligen Umdrehung der Praktikanten/U31-Altredakteure-Arbeitsverhältnisse äußerst hektisch zugehen müssen – „stressig“ im nordneuköllner Cool-Jargon genannt, dem war aber bis eben noch nicht so. Vielleicht haben die U31ger alle pfiffig Zuhause schon irgendwelche Besinnungsaufsätze verfaßt, die sie heute einfach auf ihre Seiten hieven…Das wäre zu begrüßen: Weg von der uns alle verblödenden Aktualität! Dagegen spricht, dass im 4.Stock gerade beschlossen wurde, sich zu siezen, was ja nicht gerade besonders fortschrittlich oder aufrührerisch ist. Es verhält sich damit allerdings praktisch so wie mit den Beschlüssen auf den russischen Meetings ab 1917: als erstes wurde immer ein Rauchverbot einstimmig beschlossen – und dann qualmten alle ununterbrochen.

Das Photo – aus den frühen Achtzigerjahren der taz – zeigt Thomas Hartmann, den ersten Chefredakteur (Freigestellter damals noch genannt), wie er gerade mit belehrendem Zeigefinger drei U31er (Broeckers, Höge, Zucker) zur Rede stellt, weil sie wieder mal aller Nachrichtensicherheit zum Trotz einige Fake-Interviews ins Blatt gestellt und dazu wieder mal sämtliche Formate ignoriert hatten.

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