vonDetlef Kuhlbrodt 03.02.2010

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Schmollerplatz

… nachdem die Festplatte des Laptops gecrasht, die Notizen und unfertigen Texte der letzten zwei Monate futsch waren, konnte ich natürlich nicht gleich wieder zur Tagesordnung übergehen. So fuhr ich am frühen Abend in die Heimat, zum Südstern, Freund M. besuchen. Wir rauchten, tranken Bier, tauschten Geschichten; im Fernseher, dem dritten Mitbewohner, lief die Sendung „Wider den tierischen Ernst“, live aus dem Eurogress Aachen. Dr. Jürgen Rüttgers bekam irgendeinen Orden wider den tierischen Ernst verliehen. Diese ganze Show war unglaublich unerträglich. Jeder Witz war feist, plump und eklig, die Gesichter der meisten Zuaschauer und Gäste waren leicht verschmiert und glänzten im Scheinwerferlicht … 64jährige, die ansonsten einen sicher verantwortungsvollen Job machen, in der mittleren Verwaltung oder so hüpften mit den Händen wackelnd wie ein Slapstickvogel über die Bühne; Klaus & Klaus sahen furchteinflössend aus, und als sie dann ihr Lied von der Nordseeküste so sangen und alle schunkelten, gruselte es mich doch sehr. Wenn ich da hätte sitzen müssen, hätte ich große Angst bekommen. So fand ich es nur beklemmend, wollte aber auch unbedingt weitergucken, weil Guido Westerwelle da plötzlich auch saß.

(hier gibt es noch einen Zeitungsartikel zur tollen Unterhaltungsgala)

das von Albanern geführte „Primo“ am Südstern – ein ausgesprochen super angenehmes Lokal

Das Zombiehafte der großen Volksbelustigung, es ist ja schon oft in Filmen verwandt wurden, bei Achternbusch, in irgendwelchen Kriminalfilmen und Psychothrillern … Die angebliche Normalität, die einem da so 20:15 vorgesetzt wird, ist eine aussterbende. Die erdrückende Normkultur der komplett kulturfeindlichen Generation, die nun eben 65+ ist. … der Kriegskindergeneration letztlich auch .. CDU-Kultur? … (an diesem Abend natürlich; in drei Wochen hat Rüttgers ja Wahlen)

Südstern = Superstern!

Dazwischen also Guido Westerwelle. Ein Pflichttermin.

In letzter Zeit jubelte ich manchmal ein bißchen, wenn Guido Westerwelle im Fernseher war, zum einen, weil er neulich in meinem Traum zu Gast gewesen und eigentlich sehr nett gewesen war, aber vor allem auch aus Protest gegen den völlig übertriebenen Hass meiner Kreise, der viel mit einer mehr oder weniger gut versteckten Homophobie der Linken zu zun hat. Da bin ich mir sicher.

M., der sich mit Geschichte auskennt, erzählte die Geschichte noch einmal; wie Westerwelle die JULIS gegen die linken und stets auch drogenfreundlichen JUDOS aufgebaut hatte, wie er dann zum Ziehsohn sozusagen von Genscher wurde usw.

Man hatte Guido Westerwelle, der da lachend mitschunkelte in dieser vermutlich eher arg schwulenfeindlichen Umgebung, ein bißchen bedauert, dass er bei solchen Anlässen anwesend zu sein hat. Vielleicht hatte es ihm aber auch Spaß gemacht, auf dieser entsetzlichen Veranstaltung Ehrengast zu sein.

„Wie schwer ist es doch die Anwesenheit anderer Menschen zu ertragen“, hatte M irgendwann gesagt und ich hatte ihm gleich zugestimmt – als ich Ende der neunziger mal kurz in der taz gearbeitet hatte, hatten mich die Ich-Geräusche der Kollegen so nervös gemacht, dass ich überhaupt nicht schreiben konnte. Obgleich man damals noch rauchen durfte.

Wir sprachen auch über Katharina Rutschky, diese Podiumsdiskussionsveranstaltung über diesen de Sade-Film, 2001, im Literaturhaus in der Fasanenstraße, mit dieser furchtbar dummen Pieke Biermann. M. war ja auch dabei gewesen und Kathrin und danach hatten wir noch zusammen gesessen, es war ein wunderbarer Abend gewesen.

M. hatte erzählt, wie er in den letzten Tagen die klugen Texte im Netz von Katharina Rutschky noch mal im Netz gelesen hatte, wir kamen noch mal auf den Feminismus zu sprechen, wie schade es doch war, dass sich so eine dumme Person wie Alice Schwarzer dann durchgesetzt hatte, dass die klugen Frauen, die etwa die feministische „Courage“ gemacht hatten, irgendwie marginalisiert worden waren, ich dachte an Christel Dormagen und Gerburg Treusch-Dieter, die ich ja noch kennengelernt hatte, die ich immer toll gefunden hatte und dass Katharina Rutschky die letzte Frau aus dieser Generation der intellektuellen 68er war, mit denen ich noch irgendwie, wenn auch in den letzten Jahren nur am Telefon, Kontakt gehabt hatte. Als die Katze vorhin so still melancholisch und elegant auf dem Schreibtisch gesessen und mir beim Schreiben zugeschaut hatte, hatte ich an Frau Rutschky gedacht und auch daran, wie mir Herr Rutschky geraten hatte, mit einem Hund zusammen zu leben. Es ist furchtbar traurig, dass sie nicht mehr da ist.

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