vonHelmut Höge 16.04.2010

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Australien foltert Schafe!

Deutschland foltert angehende Schäferinnen!


Schon gleich nachdem die BRD sozusagen offiziell das ostdeutsche MfS aufgelöst hatte, meinte der Dramatiker Heiner Müller: „Eine Gesellschaft, die Arbeitslose  hat, braucht keine Stasi.“ Im Hinblick auf die kapitalistische Wirtschaftsordnung äußerte sich ein US-Regierungsberater ähnlich: „Ohne Arbeitslosigkeit gibt es keine Innovation!“ Der Hallenser Psychologe Hans-Joachim Maaz versicherte kürzlich dem Spiegel: „Die meisten Menschen im Osten empfinden die Bedrohung durch den Verlust des Arbeitsplatzes schlimmer als die einstige Bedrohung durch die Stasi.“ Und tatsächlich ist die Kontrolle durch die 120.000 Mitarbeiter der Jobcenter heute weitaus umfassender als die durch das MfS, in dem etwa gleich viele Staatsagenten  beschäftigt waren.

Nachdem man 2003 das erweiterte „Hartz“-Gesetz verabschiedet hatte, verkündete der Verbrecher Peter Hartz lauthals: „Was für ein glücklicher Tag für alle Arbeitslosen!“ Der Richter am Bundesverwaltungsgericht Uwe Berlit schrieb in den „Informationen zum Arbeitslosen- und Sozialhilferecht“ dagegen: Mit diesem Gesetz schaffe der Staat rechtlose Untertanen, über die er bedingungslos verfügen könne, ohne auf deren Willen Rücksicht nehmen zu müssen. Vielmehr werde vorauseilender Gehorsam zur Voraussetzung, damit der Staat diesen entrechteten Menschen die sozialen Existenzgrundlagen nicht vollständig entzieht, wobei selbst diese Unterwürfigkeit keine Garantie biete, daß es nicht doch dazu kommt. Denn nahezu alles ist zukünftig eine Ermessenentscheidung der neuen „Fallmanager“ des Arbeitsamtes, von deren Wohlwollen die Gewährung minimalster Rechte abhängt, da sie nicht mehr als rechtsverbindliche Ansprüche existieren.

„Man muß allzeit bereit sein und darf sich nicht vom Fleck bewegen,“ so sagt es die Berliner Jobcenter-„Kundin“ Jutta Behrens, die seit ihrem Kunsthochschulabschluß 1998 arbeitslos gemeldet ist  – und von ihren sogenannten Arbeitsvermittlern seitdem schon mehrmals buchstäblich in den Wahnsinn getrieben wurde, d.h. sie war oft krank – gibt (sich) aber nicht auf.

Seit 7 Jahren erkundet sie Schäfereien und hat auch bereits vier Praktika bei Schafzüchtern gemacht – ohne Wissen des Jobcenters: heimlich also. 2009 arbeitete sie in einem Ausbildungsbetrieb in Mecklenburg. Der Bauer bot ihr eine Lehrstelle als „Tierpflegerin Schäferei“ an, zuvor sollte sie ein Dreimonatspraktikum dort absolvieren. Ihr Arbeitsvermittler sagte jedoch: „Es gibt keine Schäfereien in Berlin – und deswegen Nein.“ Sein Vorgesetzter fügte hinzu: „Das Arbeitsamt ist kein Wunschkonzert!“

Außerdem zahle das Arbeitsamt nur noch Einmonats-Praktika – „zum Schutz des Arbeitnehmers!“ Jutta Behrens ließ nicht locker: „Die sagen doch immer, man müsse flexibel sein und notfalls auch bereit, weit weg vom Wohnort eine Arbeitsstelle anzunehmen.“ Und also bat sie um einen neuen Termin – für „eine vorzeitige Genehmigung wegen Dringlichkeit“. Diesmal bekam sie es mit einer Arbeitsvermittlerin zu tun, die sogar bei dem für Teile Mecklenburgs ebenfalls zuständigen Jobcenter in Lüneburg anrief, wo man ihr aber bloß mitteilte: „Wir haben keine freien Schäferstellen hier.“ Die Arbeitsvermittlerin riet ihrer „Kundin“ jedoch: „Fahren Sie trotzdem mal hin, ich mache einen Vermerk. Ihr zukünftiger Arbeitgeber muß ihnen allerdings mindestens 405 Euro monatlich zahlen, damit sie nach Mecklenburg umziehen und sich beim Jobcenter in Schwerin melden können.“ Die Lehre zahlte ja der Schäfer, ihr Vater erklärte sich darüberhinaus bereit, die Miete plus Kaution in Mecklenburg zu zahlen, so dass das Jobcenter nur ihre Berliner Wohnung weiterzahlen mußte.

Sie rief daraufhin wegen eines Termins so lange beim Jobcenter in Schwerin an bis ihr Geld alle war. Schließlich fuhr sie einfach hin, dort sagte man ihr jedoch nur: „Es gibt keinen Vermerk. Sie dürfen hier gar nicht sein, fahren sie bloß zurück zu Ihrem Jobcenter und bringen das in Ordnung!“ Jutta Behrens ging – wieder in Berlin – erst einmal zu ihrem Arzt, der ihr zuriet, die Lehre zu machen: „Das wird Ihnen gut tun“. Dem Jobcenter reichte das dann jedoch nicht, sie mußte auch noch zu einem Amtsarzt. Dort erfuhr sie: „Die Reha fürs Arbeitsleben, wenn man oft krank war, besteht aus drei Teilen. 1. müssen Sie  einen  4-seitigen Fragebogen zum Schäferberuf ausfüllen. Der befindet sich beim Jobcenter in einem Buch, das alle Berufe enthält. Wenn man alle Fragen richtig beantwortet hat, dann geht es weiter mit 2. dem Praktikum und 3. der Lehre.“ Jutta Behrens bat daraufhin ihr Jobcenter um einen neuen Termin – bekam jedoch erst mal keinen. Darüber verstrich der Beginn ihres Praktikums am 15.1. 2010. Sie bat ihren mecklenburgischen Schafzüchter, dem  Jobcenter sein Lehrstellen-Angebot  schriftlich zu geben. Er lehnte ab, es war ihm mittlerweile alles zu kompliziert geworden. Ende Januar meldete sich das Jobcenter bei ihr und gab ihr  einen Termin. Jutta Behrens nahm diesen jedoch nicht mehr wahr: „Ich hatte ja nichts mehr zu sagen.“

Stattdessen schrieb sie dem Jobcenter, ihr Arbeitgeber sei abgesprungen, sie werde sich aber eine neue Lehrstellen suchen. In der taz fand sie dann eine Annonce:  „Schäfergehilfe zur Lammzeit gesucht“ – von einer Schäferei auf der schwäbischen Alp. „Ich wußte ja, dass ich die Erlaubnisgenehmigung vom Jobcenter, wenn überhaupt, dann höchstens in einem  Monat bekommen würde – und dann war die Lammzeit vorbei, außerdem hätte ich vorher noch mal zum Amtsarzt gehen müssen. Deswegen bin ich dort einfach für vier Wochen hingefahren und habe da mein fünftes Praktikum gemacht.“ Derzeit werden massenhaft  Kunden der Jobcenter, „die viel herumlaviert haben, in eine Art vorzeitige Rente gedrängt“, was bedeutet, dass sie nicht mehr vermittelt werden. Sie sollen bis ans Ende ihrer Tage zu Hause sitzen und sich still verhalten. Das blüht eventuell auch Jutta Behrens, sie hat deswegen umdisponiert: „Ich mache jetzt noch zwei, drei Praktika – keine Lehre mehr, und werde dann ‚Schäfergehilfin‘.“

„Die Stasi hätte ihr schon längst eine Lehrstelle in einer LPG mit Schäfereibetrieb besorgt,“ meint ein Gewährsmann aus dem ehemaligen MfS-Wachregiment „“Feliks Dzierzynski“: Major Silbermann dazu. Dass dieser Jobcenter-„Fall“ keine Ausnahme ist, zeigen zwei weitere Arbeitslosen-Fälle: Zum Einen der Ostberliner Philosoph Lothar Feix, den sein Arbeitsvermittler gegen seinen Willen zum Gärtner umschulen wollte. Und zum Anderen der Heidelberger Musiker Jens Beiderwieden, der gegen den Willen seines Arbeitsvermittlers partout Gärtner werden wollte. Beide brauchten anderthalb Jahre Schriftwechsel – mit Eingaben, Widersprüchen, Panikattacken, fachlichen und psychologischen Gutachten, bis sie ihren Willen endlich  durchsetzen konnten.

So sieht es auf der einen Seite des Jobcenter-Tresens aus, aus der Sicht einer Arbeitslosen – aber wie stellt sich die Sache von der anderen Seite des Jobcenter-Tresens dar? Gabriele Goettle interviewte dazu unlängst eine Arbeitsvermittlerin:

Frau K. ist Beamtin, Anfang 60, und arbeitet in einer Arbeitsagentur in einem der alten Bundesländer. Sie möchte aus nahe liegenden Gründen hier anonym bleiben. “Sie haben angedeutet, dass Sie zahllose schlechte Erfahrungen seit der Einführung von Hartz IV gemacht haben?” Frau K. sagt heftig: “Nein, ich mache nicht zahllose, ich mache vor allem eine grundsätzliche, hässliche Erfahrung, und das ist die der Würdelosigkeit. Die ist quasi schon per Gesetz so angelegt und zusätzlich wird sie dann noch durch schlecht qualifizierte Kollegen verschärft. Dem Arbeitslosen ist seine Würde aberkannt worden … das schlägt natürlich auch auf uns zurück, ich habe eine richtige Wut im Bauch! Und da stehe ich nicht alleine. Aber es sind hauptsächlich die Älteren, die, so wie ich, vor der Pensionierung stehen, die noch die alte BA- Haltung vertreten, also die Haltung aus den 70er-Jahren, wo sich die BA wirklich noch gekümmert hat um die Arbeitslosen. Und auch in den Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit hatten die Vermittler diese – ich will mal sagen – solidarische Einstellung.

Aber seit eine Reform nach der anderen durch die Behörde jagt, seit es immer mehr um die Verschönerung der Statistik geht, um betrügerische Manipulationen, siehe Jagoda usf., weht bei uns ein ganz anderer Wind. Heute ist es so, dass wir ganz unmittelbar zu Mittätern beim Sozialraub gemacht werden. Das Ganze wird als größte Arbeitsmarktreform Deutschlands angepriesen, von zwei Millionen neuer Arbeitsplätze war die Rede, ,fördern und fordern’ lautet die Devise. Wo gefördert wird in diesem Land, haben wir gesehen, als gleichzeitig mit Hartz IV die 3. Senkung des Spitzensteuersatzes beschlossen wurde. Unten jedenfalls wird ,gefordert’.

Die Fortsetzung des Interviews findet man an dieser Stelle: http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2009/12/23/lifelong_learning/

Hier überfuhren 2003 zwei Mercedes-Limousinen grundlos vier Merinoschafe. Seitdem gemahnen vier Naturpoller an diese sinnlose und brutale Tat.

So geht es doch auch! (Alle Photos: Peter Grosse)

P.S.: Es gibt eine wunderbare Schafforscherin: die Biologin der Universität Berkeley Thelma Rowell. Zu gerne hätte ich einige ihrer Arbeiten, sie wird von vielen feministischen Wissenschaftlerinnen zitiert, aber nirgendwo fand ich einen Hinweis auf ein Buch von ihr. Wer kann mir helfen? Siehe dazu auch: http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2010/01/17/schafe_aufzeigen_19/

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