vonHelmut Höge 25.01.2010

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Power to the Bauer

Das könnte das Motto der Grünen Woche sein, wobei die „Power“ durchaus amerikanisch mittels neuer Technik, Anbauverfahren, Versammlungen  (bis hin zu Blasmusik von Trachtenkapellen) und kollektiven Belehrungen durch Weißkittel aller Art kommen soll. Heuer gab es eine ganze Biowaren-Halle von „Fair Trade“ (in der es genauso gut roch wie in einem Bioladen), aber daneben hatten sich auch Nestlé, Coca-Cola und Mc-Donald’s ins Zeug gelegt – und lockten die Jugend mit Fitnessgeräten. In der Halle des Deutschen Bauernverbandes, der dort 2009 noch mit Lidl kooperierte, lagerte nun eine komplette Kuhherde in einem modernen Stall. Ab und an stand eine auf und ließ sich vom Melkroboter „Lely Astronaut“ (der natürlich „Agronaut“ hätte heißen müssen) 10 Liter Milch abzapfen.

Noch intellektueller ging es in der „Halle der Landwirtschaftsministerin“ zu. Dort begeisterte mich am Stand des staatlichen Julius-Kühn-Instituts für Pflanzenanalytik in Klein-Machnow ein Lehrfilm aus einem Kieler Schädlingsforschungsinstitut über Parasiten von Pflanzenparasiten (entofilm.com). Diese, Schwebfliegen und Schlupfwespen zumeist, konnte man dort auch lebend bewundern.

Langsam dreht sich das Stadt-Land-Verhältnis um: die tumben Toren leben mehr und mehr in der Stadt. Nicht nur sind die meisten Bauern heute hoch- und breitgebildet, es gibt ganze „Bücherdorfer“. Das sind laut Wikipedia „Orte mit einer besonders hohen Anzahl an Antiquariaten“. Ihr Netzwerk warb heuer mit einem Stand in der Halle der Landwirtschaftsministerin – vis à vis vom Messeauftritt des „B.U.N.D., der seinerseits für regionale, ökologisch angebaute Lebensmittel warb – mit einem etwas einfältigen Mitmachspiel.

Die Grüne Woche hatte das Problem, dass viele ländliche Regionen immer weniger auf Landwirtschaft setzen und stattdessen auf Tourismus – damit wären sie jedoch bei der ITB besser aufgehoben. Und dann ist die Grüne Woche schon lange keine Freßmesse mehr: In der Halle der Ukraine kostet ein winziges Canapee mit Lachskaviar zwei Euro. Also kommen auch immer weniger arme Berliner, um sich kostenlos mit seltenen Genüssen  vollzustopfen. Nach der Wende hörte die Bundesregierung auf – die Stände von Marokko bis Chile zu subventionieren. Stattdessen wurde die Messe  verwissenschaftlicht – und dazu die Ökos, die bis dahin vor der Tür gegen die „Giftgrüne Woche“ demonstriert hatten, mit reingeholt.

Aber während die Partei der Grünen die Ökologie dann für ihre Politik instrumentalisierte, geht es auf der Grünen Woche bzw. bei immer mehr Ausstellern umgekehrt darum, die Ökologie zu politisieren. Es geht ihnen also nicht mehr darum, die Welt zu modernisieren, sondern, sie zu ökologisieren – im Kleinen, vor Ort. Denn nur Minderheiten sind produktiv, d.h. es wird keine Mehrheit angestrebt, sondern eine Differenz eröffnet.

Auf ihre Weise tun das auch all die Züchter, die Zebus, Wasserbüffel und Alpakas ausstellen – und sich dazu ähnlich organisieren wie die „Deutsche Guppy-Förderation“, der Berliner Vogelspinnen-Verein und die Schrebergärtner – mit einer eigenen Halle und einem riesigen Goethedenkmal in der Mitte. Oder indem man  „die besten fünf Süßwasser-Aquarien“ auf der Grünen Woche zum „Finale“ antreten ließ, um sie  „für die Weltmeisterschaft im August zu qualifizieren“. Wo führt das hin? Der Aquariumspfleger im Bremerhavener Zoo Dieter Marwedel spricht von seinen „Mitschwimmern“; die „Akteur-Netzwerk-Theoretiker“ um Bruno Latour bezeichnen uns, Bürger, als „Mitforscher“ und eine „ganzheitliche“ Tierärztin aus Süddeutschland benutzte in einer „Talkshow“ auf der Grünen Woche das Wort „Mitkühe“.

An einem märkischen Imkerstand erwarb ich für 2 Euro Erwin Strittmatters Jugendbuch „Tinko“. Darin geht es um den Kampf der Neuerer und Kollektivierer gegen die durch die Enteignung des Junkerlandes zu „Egomisten“ gewordenen „freien, echten Bauern“ – Landarme gegen Kulaken, sowjetische Technikbegeisterung gegen bildungsfeindliche Traditionalisten (Pferdebauern). Ein Gedicht, dass die jungen Pioniere  dazu vortragen, lautet: „Beim Furchen durch das Buchgezeil/verschwinden Furcht und Vorurteil“.

Gekämpft wird auf dem Land auch heute noch und wieder – aber ganz anders. Um die manchmal wirren Frontverläufe nachvollziehen zu können – dafür ist die Grüne Woche gut. Die LPG „Florian Geyer“ in Saarmund, in der ich arbeitete, war übrigens die erste auf dieser Messe  – schon im Dezember 1989 begannen die Vorbereitungen dafür, u.a. mit einem Flugblatt von Kaderleiterin Elke über kommende Agrar-Probleme. Dazu gehört heute die Forderung: „Ölkonzern-Land in Bauernhand“ und die Wiederansiedlung  der einst in die Stadt Vertriebenen, die nun als „Bio-Bauern“ zurück aufs Land wollen. Auch das ist inzwischen in einigen EU-Ländern schon eine kleine Bewegung. Umgekehrt warb der Landjugend-Bund bis vor einigen Jahren noch mit einem ländlichen Buswartehäuschen als Stand.

Vom Sachzwang zur Objektbefreiung

Es geht hier nicht um den subjektiven Rest, sondern um Empirie versus Objektivismus. „Im ‚Kapital‘ liegt die historische Initiative immer wieder bei den Kapitalisten,“ heißt es im Reader „Über Marx hinaus“ von Karl Heinz Roth und Marcel van der Linden, der am 22.Januar im Kreuzberger Buchladen „Schwarze Risse“ vorgestellt wurde.

Marx‘ quasi naturgesetzliche „Ableitung aller gegebenen ökonomischen Erscheinungen“ rein aus der Kapitallogik, kritisierte bereits Karl Korsch, der sie 1929 als eine quasi Verstaatlichung (Verdinglichung) der in der revolutionären Periode vor 1850 aus der  „subjektiven Aktion der revolutionären Klasse“ hervorgegangenen „materialistischen Geschichtsauffassung“ begriff. Ähnlich bezeichnete Michael A.  Lebowitz 2009 es als eine „teleologische Absurdität“, wenn Marx annimmt [in den „Grundrissen“], „der Wert der Arbeitskraft enthalte Ausgaben für die Erhaltung  von Kindern, weil das Kapital 20 Jahre später ’neue Arbeitskräfte zu rekrutieren wünsche‘, statt dass die Arbeiter für die Durchsetzung dieser Erfordernisse gekämpft haben. Aber das ist ein logisches Ergebnis des Verschwindens der für sich selbst vorhandenen Lohnarbeit im ‚Kapital‘.“

Mit diesem Objektivismus brüstet sich noch der Nürnberger Marxist Robert Kurz – z.B. in seinen Analysen der DDR, wobei er  großzügig darüber hinwegsieht, dass die DDR nicht an zu viel „Kasernen“- und „Konsum“-Unfreiheit zugrunde gegangen ist, sondern an zu viel Freiheit – im Produktionsbereich nämlich.

Dieser Objektivismus obwaltet aber auch noch im  post-kominternen Denken der Wendehälse-Verächter im Osten, deren Hauptsorge der abschmelzende  Staatenblock gegen den US-Imperialismus gilt, und die deswegen geneigt sind, alle  Proteste, Aufstände und autonomistischen Bewegungen in diesem Block als objektiv CIA/Mossad-gesteuert einzuschätzen.

Als neulich ein JW-Vertreter dieses „Marxismus'“ zu einer Iran-Veranstaltung der taz-Genossenschaft eingeladen wurde, protestierten sofort etliche taz-Redakteure, die tatsächlich ein Oval-Office-Weltbild kultivieren, insofern  ihnen die „Menschenrechte“ wesentlich sind.

Auch dies ein Objektivismus, über den bereits der Philosoph und taz-Mitinitiator Gilles Deleuze 1988 in seinem „Abecedaire“ urteilte: „Die Menschenrechte sind nur was für Vollidioten!“ Das sagte er als Empiriker. Die andere Seite ist jedoch auch nicht vor „teleologischen Absurditäten“ gefeit. So erklärte z.B. der Peenemünder Steuerungsingenieur und spätere sowjetische Raketenbauer Helmut Gröttrup 1960 als Siemens-„Informatiker“ (der den Geldautomaten miterfand) in einem Vortrag vor Hamburger Geschäftsleuten: Die unternehmerische Freiheit sei ein bloßer Irrtum, der auf Informationsmangel beruhe. Quasi durchexerziert wurde das dann, wenn man dem Philosophen Günter Anders folgt, im Vietnamkrieg – als General McArthur den Atombombeneinsatz wünschte, die „Pentagon-Computer“ jedoch gemäß ökonomischem Kalkül  „Nein!“ sagten. Die Rechnerlogik ersetzte dabei erstmalig laut Anders die Moral – was bedeute, dass die Menschheit vor ihrer eigenen Technik kapituliert habe. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass General McArthur nach seiner Computer-Niederlage den Dienst quittierte und Aufsichtsratschef des Büromaschinenkonzerns „Burroughs“  wurde – also den Objektivismus im Nachhinein zu subjektivieren trachtete, um doch noch zu obsiegen.

In der heutigen Wissenschaftssoziologie möchte man diesen modernen Dualismus überwinden, u.a. indem man auch den Dingen Moral attestiert – da wo sie bisher nur als Sachzwang begriffen wurden: Bruno Latour spricht z.B. bei dem Autofahrer-Gebot, langsam zu fahren, von einer „schwachen Moral“,  während  „Fahrbahnschwellen“ (Speed-Breaker) für ihn eine „starke Moral“ beinhalten. Das selbe gilt für Metallpoller am Straßenrand, die  „menschliche“ Polizisten ersetzen. Im Falle der „Unruhen“ im Iran würde er wohl den Rat geben: „Follow the Actors!“

Der Hauptakteur ist unterdes verschwunden (auf dem Parkplatz der Berliner Messe). Photos: Poller-Archiv und Peter Grosse

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