vonHeiko Werning 23.01.2009

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In den ersten Wochen des Jahres 2009 fanden in ganz Deutschland zahlreiche Demonstrationen gegen den Krieg im Gazastreifen statt. Zu manchen davon wurde sogar von Palästinensern aufgerufen. In Duisburg übernahm das allerdings die radikale, vom Verfassungsschutz beobachtete islamistische Bewegung Milli Görüs. Der Protestzug von einigen tausend Menschen führte an einem Mietshaus vorbei, aus dessen Fenstern im dritten Stock zwei israelische Flaggen hingen. Das machte die Friedensdemonstranten irgendwie übellaunig. Der Zug geriet ins Stocken, es flogen Eisstücke, Steine und Messer. Einer alten Tradition gehorchend, rief man „Kindermörder Israel“ „Tod Israel“ und „Verrecke!“ Kurzum: Die Lage drohte zu eskalieren. Doch zum Glück griff die Duisburger Polizei rasch ein. Und zwar folgendermaßen: Sie brach die Wohnung, aus deren Fenstern die provokanten Flaggen baumelten, auf, da niemand daheim war (das heißt, da man sich in den Stockwerken verzählt hatte, brach man erst die darunter liegende Wohnung auf, erkannte aber bald die dortige Flaggenarmut und kämpfte sich dann eine Etage höher). Anschließend konfiszierte sie die Flagge mit dem Davidsstern unter dem Jubel der Protestierenden. Die deutsche Staatsmacht entsorgt störende Davidssterne und stellt so den Frieden schnell wieder her – ein zukunftsweisendes Konzept.

Eine ähnliche Friedensdemonstration gab es auch in Mainz. Hier wurden z. B. Plakate mit der Aufschrift „Israel trinkt das Blut unserer Kinder“ spazieren getragen, sicherlich eine ironische Anspielung auf die besonderen Trinkgewohnheiten, die die jüdische Gemeinde seit Alters her pflegt. Vor einem Kaufhaus trat dem Anti-Kriegs-Protestzug eine Handvoll Leute mit Israel-Flaggen entgegen. Die Friedensdemonstranten suchten daraufhin den direkten Kontakt, u. a. mit der prägnanten Grußformel: „Ihr Judenschweine!“ Die Gegendemonstranten flüchteten sich in den Kaufhof. Die Polizei folgte ihnen, vielleicht um den Friedensdemonstranten zuvorzukommen, vielleicht nahm sie ihnen auch einfach nur die Arbeit ab, um die Demonstration nicht unnötig aufzuhalten. Im Kaufhaus wurden die Störer vorläufig festgenommen, ihre Personalien wurden festgestellt. Der Mainzer Polizeisprecher später wörtlich: „Es gab eine Provokation auf der Höhe des Kaufhofs, wo eine Gruppe von Personen provozierend mit einer israelischen Fahne gewunken hat.“ Das geht natürlich nicht. Erst recht nicht, da es sich nicht um Israelis gehandelt habe, so der Polizeisprecher, man könne also nur von einer Provokation ausgehen. Der Kaufhof sprach anschließend ein Hausverbot aus. Zwar wurde das Unternehmen zwar ursprünglich von dem jüdischen Kaufmann Tietz gegründet, ist aber schon in den 1930er-Jahren erfolgreich entjudet worden. Da mag man sich eine solche Provokation natürlich heute nicht einfach so bieten lassen.

Vertreter der Polizei sprachen teilweise später von vorbildlichen, deeskalierenden Einsätzen. In Duisburg entschuldigte sich der Polizeipräsident allerdings bei den jüdischen Mitbürgern, falls man ihre Gefühle verletzt habe.

Insgesamt, das kann man sicher so sagen, eine angemessene, freundliche Reaktion eines besonnenen, toleranten und weltoffenen Staates. In diesem Geist werden zweifellos auch zukünftige Konflikte gut zu lösen sein; Eskalationen sind so praktisch ausgeschlossen.

20. April 2009

Im sächsischen Gummeln zieht an einem schönen Sonntagnachmittag ein Protestzug der NPD für mehr Frieden in der Welt am Dönerladen des Örtchens vorbei. Aus der Menge der Nationaldemokraten wird Unmut laut, nicht zuletzt, weil dieser geschlossen ist. Der Imbiss wird vom hungrigen Mob umstellt, es kommt zu Tumulten, bis schließlich die Eingangstür eingetreten wird. Die Polizei reagiert besonnen und deeskalierend: Sie stürmt die über dem Geschäft gelegene Wohnung des Inhabers, verhaftet ihn unter dem Jubel der Demonstranten und überführt ihn in Abschiebehaft. Eine Dönerbude mitten in Sachsen, das sei ja halt schon generell eine ziemliche Provokation, argumentiert der Polizeisprecher später. Aber dass die auch noch geschlossen habe während eines vorschriftsmäßig angemeldeten Protestzugs, das hätte Ausschreitungen ja geradezu heraufbeschworen. Man wisse doch, dass Nazis auch nur Menschen seien und deshalb nach stundenlangem Marschieren hungrig wären, und wenn schon Ausländer, dann würde man ja wohl mindestens erwarten dürfen, dass die hier gefälligst auch arbeiten. Man entschuldige sich aber bei allen Türken, falls irgendjemand sich durch den Einsatz beleidigt gefühlt habe.

9.11.2009

Auch am Gedenktag zum 20. Jahrestag des Mauerfalls galt es, gefährliche Situationen gleich im Ansatz zu entschärfen. Im Rausch der Freude über die Wiedervereinigung empfanden es viele Deutsche als „unerhörte Provokation“, dass im selben Atemzug zu diesem „historischen Datum“ ständig von „dieser sogenannten Reichspogromnacht“ die Rede sei. Als besonders engagierten Schritt zur Verhinderung bedrohlicher Eskalationen bezeichnete ein Polizeisprecher es später, dass die Berliner Synagoge durch das beherzte Eingreifen der Beamten vor der Erstürmung durch eine aufgebrachte Menge einer angemeldeten Demonstration zur nationalen Einheit bewahrt werden konnte. Dass hierfür eine sogenannte Notsprengung erforderlich gewesen sei, nannte er zwar „nicht elegant“, aber für eine effiziente Gefahrenvermeidung unausweichlich. Er bedauerte, falls jüdische Mitbürger sich dadurch verletzt fühlten, bot aber gleichzeitig an, „in vielen Fällen schon lang gehegte Auswanderungspläne großzügig zu unterstützen“. Reisende solle man schließlich nicht aufhalten.

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