von 13.05.2010

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Bei Jo Brown kann man nicht nur etwas zu essen, sondern während dessen auch erfahren, was es mit der Welt auf sich hat

Jedesmal, wenn ich Joe, den Rastafari, einen Besuch abstatte, lerne ich etwas Neues dazu. Heute unterhalten wir uns über vegetarische Kost. Joe hält sich fern von Fleisch, seitdem er sich den Rastafaris angeschlossen hat, und ist überzeugt, dass Menschen, die tote Tiere in sich hineinstopfen, nicht sehr gesund sein können. Er erzählt mir, dass es “in Südafrika Menschen gäbe” – „wir nennen sie die Boer“ (= er meint die afrikaansstämmigen Farmer), die zu jeder Mahlzeit Fleisch essen. Ich finde es wirklich witzig, wie er,  der halbfarbige  indisch-aussehende Rastafari mit dem Cape Flats-Akzent,  von den Buren spricht, als seien sie eine völlig exotische Randgruppe, die man jemanden wie mir, einer Nicht-Südafrikanerin  – auch wenn sie schon seit Jahren hier lebt – erklären muss. Südafrika ist je nachdem mit welchem Südafrikaner man sich gerade unterhält, ein anderes Land.

Jedenfalls meint Joe, dass die ganze Geschichte mit der Apartheid und der ganzen Aggression gegenüber andersfarbigen Menschen überhaupt nicht verwunderlich sei, und die logische Folge, wenn man sich den übermäßigen Fleischkonsum der Leute anschaut (= Buren), die damals an der Macht waren.

Für das Karma sei Fleischkonsum ja eh schon schlecht, da laut Rastafari-Lehre (zumindest in Joes Interpretation) jedes Tier einen Guardian oder Schutzengel hat – so wie wir Menschen auch. Diese wachen über jedes einzelne Tier und merken sich, wenn es zu Speisezwecken „ermordet“ wird. Jedem Mensch stehe nur ein kleines Pensum an Tiertötungen zu, das er während seiner Lebenszeit anhäufen darf. Wenn es mehr wird, haben die Schutzgeister das Recht und die Macht, jemanden mit Pech, Krankheit und Unglück zu bestrafen.

Es steht also nicht gut um die Liebhaber von Steaks, Chicken Wings und südafrikanischen Nieren-pies. Ich stimme Joe im Übrigen als Nicht-Fleischesserin voll und ganz zu. Wir echauffieren uns über Menschen, die Stopfleber und Kudus essen und gedenken dann auch noch der Wale und Delphine, die in Japan und Island auf grausamste Art und Weise zu Speisezwecken abgeschlachtet werden.

Joe ist noch ein bisschen mehr aufgebracht als ich und auf einmal fällt mir  – auf das Stichwort „Fisch“ und „Japan“ hin – die Sushiplatte ein, die ich gestern Abend binnen sieben Minuten in mich hineingeschaufelt habe. Ich ahne schon böses, frage aber sicherheitshalber Joe, ob Fische in der Rastafarilehre auch als Tiere gelten. Er sagt selbstverständlich ja und ich versuche augenblicklich die Thunfische und Garnelen hochzurechnen, die ich allein im letzten Monat verspeist habe. Ich befürchte das SCHLIMMSTE für meine Schicksalsrechnung, sage aber nichts und versuche innerlich mit mir auszuhandeln, ob ich in Zukunft auch auf Fisch verzichten kann. Es wird hart – ich bin kein Fan von Sushi mit Gurke.

Daraufhin klinkt sich Joes Rastabruder Abraham ins Gespräch.  Er sagt, es sei ein wirklich schreckliches Gefühl, wenn man solche Schuld auf sich geladen hat – er selbst fühle sich fürchterlich schlecht, weil er vor vier Jahren auf dem Highway einen Hasen um den Haufen gefahren hat. Das Bild der Leiche verfolgt ihn bis heute.

Auf Abrahams emotionale Erzählung hin  fallen mir die Tausenden Mücken, Fliegen und Kakerlaken ein, die ich schon völlig kaltblütig und kalkuliert ins Jenseits befördert habe. Ganz besorgt beichte ich den Jungs meine Untaten, aber sie fangen sofort an zu lachen. Insekten! Insekten sind doch gar keine Tiere, sondern eine Pest! Sie tragen keine „alte Seele“ in sich. Und vor allem nicht die Kakerlake, die sei das Ungeziefer schlechthin und seelenlos.  Sie gibt es nämlich erst seit ein paar tausend Jahren. Joe sagt, um exakt zu sein, „seit wenigen hundert“, und Abraham sagt „seit sehr vielen tausenden“.  Wie auch immer: Ich bin jedenfalls beruhigt, dass mein Weltbild, was die Kakerlake angeht, mit dem von Joe völlig übereinstimmt, und meine Mordsgelüste in der Hinsicht nicht weiter mein Karma beschatten.

Alles außer Fleisch bei Joe

Ich stehe  – nach nun über einer Stunde –  auf, um zurück in mein Office zu gehen. Joe sagt, ich solle mich nicht „dauernd so stressen“, alles sei eh “everliving” (= das richtige englische Wort für unvergänglich ist an sich everlasting, aber “lasting” sagen Rastafaris nicht, weil die Endung „last“ mit der negativen Konnotation „Ende“ behaftet ist – also haben sie es – wie vielel andere Wörter auch – einfach umformuliert.

Ich verspreche Joe, mich nicht zu stressen, und als ich schon die Straßenecke zu meinem Büro erreicht habe, winkt er mich noch einmal  zurück. Ich mache kehrt, in Erwartung, dass ich irgend etwas Wichtiges vergessen habe.

Als ich wieder vor seinem Laden stehe, sagt ganz ernst: „And you must have a good day, ey?“

Joe verabschiedet sich am liebsten mit “Tsuuuss

eure elena **

PS. Nur noch 29 Tage bis zur WM!!  Hier ist alles weitestgehend ready – mehr zu der Erwartungsstimmung im Land die Tage!

Elena Beis. My Name is not Sisi. Kulturkollison x 11. Ein deutsches Pärchen reist durch Südafrika. Erschienen März 2010 bei Conbook Medien, 9,95€

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https://blogs.taz.de/apartheid_wegen_zu_viel_fleischkonsum/

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