Leider ist Littín, was Erzähltechniken und Experimentierfreude angeht, auch irgendwo in den Siebzigern hängen geblieben. „Dawson – Isla 10“, der auf dem autobiografischen Buch des ehemaligen Häftlings Sergio Bitar beruht, ist ein Film ohne jede Überraschung, eine Aneinanderreihung von Begebenheiten, die Bitar tagebuchartig aufgeschrieben hat, letztlich ein Kostümfilm, dessen Ende man schon vorher kennt. Langeweile im Kino ist da programmiert, auch wenn viele Chilenen es vielleicht als bewegend empfinden, wenn den großen Namen der Unidad Popular (wie José Tohá, Orlando Letelier, Clodomiro Almeyda) auf der Leinwand neues Leben eingehaucht wird.
Littín zeigt sorgfältig komponierte, am Originalort gedrehte Bilder, aber es gelingt ihm nicht im Geringsten, eine realistische Stimmung des Lagerlebens zu zeichnen. Da stecken fünfzig Männer in einer Häftlingsbaracke, die gerade eben noch leidenschaftlich Politik gemacht haben, die man gewaltsam aus einer der dramatischsten Phase der chilenischen Geschichte gerissen hat – aber sie schlurfen apathisch, ja autistisch herum, als verbrächten sie schon Jahre in der Isolation. Nur einmal gibt es Streit um irgendeine Lappalie, und plötzlich stehen sich Sozialisten, Kommunisten und Miristas hasserfüllt gegenüber und raufen wie die Schuljungen. Mit einem derart simplen Dreh werden schnell auch noch die ideologischen Verwerfungen innerhalb der verhinderten Revolutionäre abgehakt.
Absolut erfreulich und sehendswert ist dagegen „La Nana“, ein Film von Sebastián Silva, der auf dem Sundance Festival 2009 den Großen Preis der Jury in der Kategorie „World Cinema Dramatic“ erhielt. Eine vollkommen verdiente Auszeichnung, denn Silvas psycho- und soziologische Studie setzt neue Maßstäbe des Realismus im chilenischen Film, der traditionell zu Stilisierungen neigt. „La Nana“ („The Maid“ auf englisch, obwohl die Bezeichung für die chilenischen Hausmädchen an das englische „Nanny“ angelehnt ist) seziert den Alltag einer Hausangestellten, die seit mehr als zwanzig Jahren in einer Familie der chilenischen Upper-Class lebt. Die nana puertas adentro, das Dienstmädchen, das mit den Arbeitgebern im selben Haus wohnt, ist auch heute noch häufig in den besseren Vierteln Santiagos anzutreffen – auch wenn immer weniger Chileninnen und immer mehr Peruanerinnen diesen Job erledigen.
Eine Peruanerin wird dann auch zur Verstärkung ins Haus geholt, als Raquel, die die vier Kinder der Valdés‘ aufzieht, kocht, wäscht, saugt und den patrones morgens das Frühstück ans Bett bringt, gesundheitliche Probleme bekommt. Sie wird von Depressionen und Migränen geplagt, will aber auf keinen Fall ihre vermeintliche Position als zusätzliches Familienmitglied riskieren, denn ein eigenes Leben, das wird bald klar, hat sie längst nicht mehr. Hinter den alltäglichen Verrichtungen im Haushalt, die Silva minutiös abbildet, tut sich ein Abgrund auf, und das Festivalpublikum in den USA soll ständig damit gerechnet haben, dass die nana zum Pürierstab greift und ein tarantineskes Blutbad anrichtet. Genau das passiert aber nicht, der Film endet so unspektakulär wie anrührend.
Für die Chilenen wirkt dieser Blick auf ein sehr reales gesellschaftliches Phänomen bestürzend authentisch. Das kommt vielleicht auch daher, dass der 30-jährige Silva die „Nana“ stark an seine eigene nana angelehnt hat. Auf alle Fälle ein extrem erhellender, aufklärerischer Film, von dessen Art Chile noch viele braucht.
Bilder: Dawson – Isla 10 und Sundance Festival 2009