Ariane Sommer ist eine gute Fallstudie zum Thema ´Die Medien und ihre Opfer´, gerade jetzt nach dem Tode Michael Jacksons. Was wird aus einer Frau, die mit 19 in aller Munde war, weil sie sich nackt in einer Riesenwanne voller Mousse au Chocolat räkelte? Die Deutschlands erstes echtes it-Girl war, lange vor Paris Hilton? Die danach den inzwischen üblichen Verwertungsdurchlauf absolvierte, mit Fernsehshows, eigenen Clubs, Schauspielstudium in London, Filmen in Hollywood, CDs in Berlin, Büchern in Frankfurt, Lebenspartnern in Johannesburg und Mumbay und Facebookfreunden in aller Welt? Vergeht so einer irgendwann einmal die gute Laune?
Nein. Anders als den Medienopfern alter Schule erlebt Ariane, die auf geradezu unheimliche Weise keinen Tag älter aussieht als zu ihren Berliner Boom-Zeiten Ende des letzten Jahrhunderts, den sinnlosen Medienzirkus nicht als Entfremdung ihrer selbst. Was hätte wohl der King of Pop dafür gegeben, dieses makellose, nicht alternde Äussere zu haben, diese papierweiße, gesunde Babyhaut, die so hell ist, daß die blauen Äderchen, selbst die tieferliegenden, durchscheinen, was einen frappierenden Effekt ergibt. Man möchte sofort zutraulich werden. Auch die platinblonden Haare sind echt, und wenn man neben Ariane sitzt, kann mann es kaum fassen, daß ein so schönes Wesen erstens tatsächlich existiert und zweitens auch noch mit einem redet. Man fühlt sich buchstäblich wie im Traum.
Und diese bezaubernde Fee hat nun auch noch einen anspruchsvollen Erzählband vorgelegt, zusammen mit ihrer Freundin, der dunklen, dunkelhaarigen und schwarzgekleideten Libanesin Esma Annemon Dil (fast ihr orientalisches Gegenstück), die eines bestimmt nicht ist, nämlich oberflächlich. Das belletristische Kleinod – 34 Short Stories aus fünf Kontinenten – heißt ‚Foreign Affairs’ und wird heute abend in Berlin während einer dreistündigen Schiffsfahrt auf der Spree vorgestellt (*). Das dicke alte Schiff muß ziemlich groß sein, denn es gibt immer noch Karten, was an dem Eintrittspreis liegen könnte: 45 Euro. Es war eben immer schon etwas teurer, den besonderen Geschmack von Ariane Sommer zu haben.
Ariane, Nichte des ´ZEIT´-Großmuftis Theo Sommer und Tochter des deutschen Botschafters in Indien, wuchs in Neu-Dehli auf. Damit begann die Internationalität ihres Lebens, ihr früher Globalismus, der erklärt, warum sie alle Fährnisse des Medienlebens unbeschadet durchfahren konnte, als wären es die Straßen von Lagos oder eine Fawela Sao Paulos. Was ist schon an einem schmierigen ´BUNTE´-Society-Reporter schlimmer als an einem somalischer Hungerleider, der sie am liebsten als Geisel nehmen würde, oder als an einem notgeilen Saudi-Erben, der sich seit Wochen mit seinen Kamelen begnügen mußte? Die Welt hat überall ihre Schattenseiten – kein Grund für Ariane, ihre ansteckende Fröhlichkeit zu verlieren. Wohl aber ein Grund, all die tragikomischen Schrecknisse einmal aufzuschreiben, nämlich in ´Foreign Affairs´, ihrem Erzählband bei Weissbooks (**), dem neuen Verlag von Suhrkamp-Ikone Reiner Weiss.
Wenn man durh die Welt läuft wie die weiße Frau in ´King Kong´, und überall die Urwaldbewohner, Menschen wie Tiere, begeistert die Trommel rühren, wird man später kein Mauerblümchen werden. Wenn Ariane zu Besuch in Deutschland war, als Kleinkind, lief sie immer zu den Türken auf die andere Straßenseite, weil sie dachte, das seien ihre Leute. Weil die dunkel waren wie die Inder daheim. Die türkischen Mitbürger freute es, die Verwandten von der ´ZEIT´ waren not amused.
Später in Berlin bildete sich um Ariane herum die Clubszene aus, wie sie dann ein Jahrzehnt lang Bestand hatte und erst mit der Finanzkrise endete. Ariane gründete den ersten Club, der auch in New York, London, Paris und L.A. wahrgenommen wurde. Sie fungierte dabei als ihre eigene PR-Agentur, aber vor allem als prominentester Gast im eigenen Haus. Sie fand zu jedem einen Draht, konnte mit jedem reden, ob mit Madonna oder ihrem Taxifahrer.
Sie konnte so kehlig lachen, unabsichtlich, das tut sie heute noch. Die Süddeutsche Zeitung schrieb damals, sie sei der Frauentyp, mit dem man Pferde stehlen könne. Falsche Prminente wie Sarah Connor warf sie eigenhändig raus. Offen für jedes gutgemeinte Angebot, moderierte sie bald im Fernsehen, tingelte durch die privaten Kanäle, bekam ihre eigene Show, und wurde schließlich zur Zielscheibe frauenfeindlicher Journalisten. Wem es nicht reichte, immer auf Verona Feldbusch einzuprügeln, machte sich nun über Ariane Sommer her: die sieht doch nur gut aus, die kann doch nichts, ist nur Sexobjekt. So ist das in Deutschland: Wer zu gut aussieht, muß im Kopf ein gewaltiges Defizit haben.
Sie bekam das gar nicht richtig mit, weil sie innerlich schon wieder weg war, in Australien, Nordamerika. In Kalifornien lernte sie 2003 Esma kennen, und es war Liebe auf den ersten Blick, keine lesbische übrigens, eine literarische. Schon beim ersten Treffen erzählten sie sich gegenseitig Geschichten. Sie merkten, daß sie beide ungefähr dieselben Erlebnisse gehabt hatten in dieser neuen, fremden, globalen Welt, absurde Erlebnisse, erzählbare. Es war ein echtes coming out.
Gemeinsam ist bei ihnen die Konzeption, die innere Haltung: Beide sind sie trojanische Pferde in einer konträren Kultur. Ariane sieht aus wie die definitive Verdichtung aller Männerphantasien, hat aber das Herz und den Verstand eines Mannes, oder sagen wir: einer allseits gebildeten humanistischen Persönlichkeit. Esma wiederum hat ebenfalls diese software, bewegt sich aber als unverschleierte Frau in einer muslimischen Psychopathenwelt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schickte sie immer wieder gern in den Libanon, um über den Krieg oder die Nachkriegszustände zu berichten (´Nächte in Beirut´). Der deutsche Schriftsteller Maxim Biller nannte sie einmal die eindrücklichste Stimme, die er aus dem geschundenen Land gehört habe. Esma wiederum las schon frühzeitig Arianes ständige Kolumne ´The Diplomat´s Daughter´ in der britisch-chinesischen Publikation ´China Ethos´. Die Kinder des Globalismus und der Internet-Ära („born digital“ nennt es Ariane) lasen sich lange bevor ihre Körper sich begegneten. Frauen mit solchen Möglichkeiten sind erhaben über die Häme von Bild Zeitungs Reportern.
Das Buch wird trotzdem wieder auf diese Weise rezipiert werden. „Oha, die Mousse-au-Choolat-Nackte macht jetzt einen auf Dichtung…“. Die bürgerlichen Feuilletons werden diese heiße Kartoffel nicht einmal mit der Pinzette anfassen. (***) Es wird wieder nichts werden mit einer Anerkennung als Mensch. Aber das Leben geht weiter.
So toll wie bisher!
JOACHIM LOTTMANN
* Foreign Affairs. Esma Annemon Dil / Ariane Sommer. Flex-Cover. 180 Seiten. Weissbooks Verlag. Euro 14,95
** 19.00 Uhr Großer Empfang an Bord der MS Esplanade / 19.30 Uhr 3,5 stündige Schiffsfahrt und Premierenlesung durch die Berliner Innenstadt / Kartenreservierung unter 030 254788305
*** So ganz stimmt das nicht (mehr). In der taz wird es eine Rezension geben und in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Interview.