vonJakob Hein 17.10.2011

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Die B.Z. besorgt's ihren Lesern: Komplexes Erklärungsmodell

Erich fragte sich manchmal, ob es Verpflichtungen für Schriftsteller gab und wenn ja, welcher Natur diese Verpflichtungen wohl sein könnten. Wenn er zum Beispiel die Verpflichtung fühlte, über die so genannte Eurokrise zu schreiben, war das dann eine Illusion oder etwas, das er verdammt noch mal schon viel früher hätte fühlen müssen. Und wenn es seine Verpflichtung gewesen wäre, worin hätte diese dann bestanden, angesichts der Tatsache, dass er höchstens durchschnittlich viel Ahnung von ökonomischen Zusammenhängen hatte und die Wirtschaftsteile der Zeitungen mit den gleichen Fingern, mit denen er auch die Immobilienteile anfasste, aus dem Konvolut Tageszeitung holte, um sie gleich unten beim Briefkasten zu entsorgen, um diesen Teilen eine sinnlose Reise in den vierten Stock zu ersparen. Seine Verpflichtung, so vermutete Erich, bestand am ehesten darin, die Zusammenhänge, soweit er sie verstand, in Worte zu fassen, um sie möglicherweise für sich verständlich und so möglicherweise sogar anderen verständlicher machen zu können.

Dem stand im Weg, dass Geld eine ziemlich einmalige Angelegenheit war, da es dazu diente, Waren, Dienstleistungen und alles mögliche andere auf einen Nenner zu bringen. Noch einmaliger war es hingegen, dass die Banken sich darauf verlegt hatten, nur noch mit dem Geld selbst zu handeln und so zu tun, als ob der Nennwert Geld einen Echtwert wie ein Laib Brot oder ein Panzer darstellten. Aber während man für ein Brot Getreide, Wasser und Hefe brauchte, brauchten die Banken nichts, um aus ihrem Geld mehr Geld zu machen. Das war ökonomisch sinnlos und zu großen Teilen empörend, aus Erichs Sicht war jedoch das Hauptproblem, dass es unendlich schwer war, ein Bild zu finden für die Scheiße, die so passierte. Mit einem Monopoly-Spiel, das irgendwie schief lief, brauchte er nicht zu kommen. Und die Subprime-Krise vor ein paar Jahren konnte man ja immerhin noch mit einer Kneipe erklären, in der die Wirtin zu vielen Trinkern Kredit gibt, dann die Bierpreise erhöht und schließlich dieses Pyramidenschema zusammenbracht. Aber die so genannte Eurokrise? Das war schwer. Wie konnte man das gemeinsame zum Ausdruck bringen, wie die Unterschiede?

Erich wollte es mit einem Hausbau versuchen. Zehn Bauunternehmer aus einer kleinen Stadt treffen sich regelmäßig zum Skat. Der eine baut Dächer, der andere baut Saunen, der dritte macht Elektrik und so weiter. Da sagte der größte der Bauunternehmer, der Mauerer- und Zimmermannsarbeiten anbietet: Mensch, wir sind ein Haufen Bauunternehmer, die alle zur Miete wohnen, wollen wir uns nicht jeder ein schönes Häuschen bauen auf dem alten Bauland im Süden der Stadt. Da würden wir uns doch alle sehr verbessern. Kein Wunder, dass der Maurermeister das sagt, er bezahlt zur Zeit die meiste Miete und es ist klar, wenn das Projekt anläuft, bekommt er ein Riesengeschäft. Der Elektriker sagt sich, ich bin auch dabei, Strom brauchen alle. Der Saunabauer ist auch dabei, er kann sich die Schose eigentlich nicht leisten und seine Miete ist eigentlich ziemlich günstig, aber ein Haus hätte er trotzdem gern und der Maurer und der Elektriker überreden ihn: Ist doch kein Problem, das Mauern und die Elektroinstallation kommt doch von uns, beste Qualität.

Sie müssen es nur noch ihren Frauen sagen, aber die fragen sie nur, ob sie weiter in ihren Mietbutzen wohnen wollen oder in richtig schönen, schön großen Häusern? Was werden die Frauen da wohl antworten? Es wollen sogar noch andere Handwerker mitmachen, das Ding klingt einfach zu gut.

Gesagt, getan. Sie bauen sich ein paar Häuser, richtig schöne Dinger im Süden der Stadt. Es läuft bombastisch. Tolle Mauern, edle Dachstühle, die Elektroinstallationen nur vom Feinsten. Das Geschäft des Saunabauern zieht nicht richtig an, klar, dass er bei seinen Skatbrüdern jeweils eine Sauna einbaut, aber was ist das schon im Vergleich zu den teuren Maurer, Elektro- und Dacharbeiten, die nicht nur auf der Baustelle im Süden, sondern überall auf der Welt gefragt sind? Abgesehen davon hat der Saunabauer so seine Standards, er kennt seine Angestellten und ihre Familien, so dass er ihnen sehr anständige Löhne zahlt. Das könnte dem Maurermeister nicht passieren, er ist seit Jahren als Lohndrücker bekannt. Kommen die Saunaarbeiter zum Meister und beklagen sich darüber, dass sie zu wenig Geld haben, erhöht er ihnen die Löhne, kommen die Maurer, dann sagt der Meister, die Konjunktur gibt keine Lohnerhöhung her und wenn ihr zuviel verlangt, dann stelle ich mir welche vom Elektriker ein, die bei dem nichts zu tun haben, denen ich nur die Hälfte zahle und die andere Hälfte zahle ich dem Elektriker. Aber wenn ich die nicht mehr brauche, gebe ich sie dem Elektriker zurück. Die Maurer glauben ihm, denn sie haben schon viele solcher Kollegen.

Die Zeiten werden schlecht. Die Baubranche steht nicht so gut da und wenn die Leute bauen, dann ohne Saunas. Dem Saunabauer geht es schlecht. Er hat die ganzen Angestellten mit Festverträgen und keine Aufträge. Er kann sich sein Haus nun definitiv nicht mehr leisten. Aber die anderen wollen natürlich nicht, dass er die Bauarbeiten abbricht, das bringt doch das ganze Viertel in Verruf, so eine Bauruine. Also sagen sie zu ihm, dass er auch fertig bauen muss, koste es, was es wolle. Er muss sich eben nur mehr anstrengen. Er muss aufhören, seine Angestellten so gut zu bezahlen. Er soll sich mal vom Maurer und vom Elektriker abgucken, wie man wirtschaftet. Gut, die können ihm jetzt keine Aufträge abgeben oder verschaffen, aber er könnte ihnen ja den Einbau und die Elektroinstallation der Saunas überlassen, dann würde er etwas weniger bei ihnen in der Kreide stehen.

Schnitt in den Haushalt der Maurers: Die Frau des Maurers ist stinksauer und findet es nicht in Ordnung, dass sie mit ihrem schönen Geld die Familie Saunabauer finanzieren müssen, wo sie doch immer gut gearbeitet und verdient haben und jetzt Saunabauers auf der faulen Haut herumliegen, schön im Dampfbad, wie das so die Art dieser faulen Hunde ist. Meister Maurer widerspricht ihr nicht, weil so der Druck auf den Saunabauer wächst, ihnen das Geschäft zu überlassen, aber er erwähnt auch nicht, dass sie an den Skatabenden nach dem Kartenspielen immer gemeinsam in den Puff gehen und gegangen sind und er da eine ganze Menge Geld verjubelt hat und verjubeln wird. Da sagt er lieber, dass sie den Saunabauer jetzt eben raus hauen müssen, das sei alles eine Frage der Kultur, des Zusammenhalts des Handwerks im Ort.

Überhaupt würde alles zusammenkrachen, denn dann würde womöglich keiner mehr zu den örtlichen Handwerkern gehen und das würden sich doch wohl die Frauen auch nicht wünschen wollen. Nein, das stimmt, sagt die Frau. Und darum, druckst jetzt der Maurer herum, bräuchte er jetzt mal Geld von seiner Frau und zwar eine ganze Menge. Aber das sei eben notwendig. Aber wo denn das ganze Geld sei, das er in den letzten Jahren mit seinen Bauunternehmungen verdient hat, will die Frau wissen. Das, ja das, das seien ja operative Gewinne aus Investitionsabschreibungen und Obligationen und so was. Das würde doch seine Frau nicht interessieren, sie möge ihm doch mal das Geld aus ihrem Drogeriemarkt-Job geben, das bräuchten sie jetzt beide für ihr schönes Leben. Und überhaupt soll sich die Frau nicht so anstellen, schließlich habe er doch immer gut für beide gesorgt. Naja, sagt die Frau, am Anfang hatten wir nichts und wenn ich nicht arbeiten gegangen wäre, dann hättest Du auch nicht die Firma aufbauen können. Papperlapapp, das ist doch alles Schnee von gestern, schimpft der Maurer. Aber warum hast Du denn nie gesagt, wie riskant das alles mit dem Hausbau ist, will die Frau wissen. Ach, ich wollte diese Finanzsachen von Dir fern halten, sagt der Maurer. Er nimmt ihr Geld, dann geht er zur Skatrunde und freut sich schon auf den Puff.

Es blieb ein gewisses Unbehagen bei Erich, weil die gesamte Komplexität der Angelegenheit nicht gut in dem Bild gefasst war, womöglich nicht zu fassen war. Aber immerhin war das Meiste drin von dem, was Erich von der Angelegenheit verstanden hatte, also vermutlich das Meiste von Wenig. Immerhin etwas.

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