Anne Fromm ist Teilnehmerin am Workshop der taz Panter Stiftung. Thema diesmal: Scheitern.
Berlins Ruf als Partyhauptstadt ist legendär. Angeblich beginnt man hier Donnerstagabend zu feiern und kann durchmachen bis Montagmorgen. Wirklich? Kann man das ohne Drogen überhaupt aushalten? Ich will’s versuchen. Meine Regeln sind einfach: Drei Tage wach bleiben, zwei Nächte feiern. Coffein, Mate und Zucker sind als Aufputscher erlaubt, Chemisches nicht. Die Frage ist nicht ob, sondern wann ich scheitere. Und vor allem wie.
Donnerstag 19:30 Uhr: Hoch motiviert rechne ich: Ich bin seit 6:30 Uhr wach, also seit 13 Stunden. Drei Tage sind 72 Stunden, also verbleiben noch 59. Der Abend beginnt mit einer Party aller Workshopteilnehmer und einiger tazler. Um Ratschläge ist keiner verlegen: Kaffee trinken, Energy-Drinks, Spazieren gehen, Beschäftigung suchen. Mitmachen will allerdings niemand.
22 Uhr: Bin ich eigentlich bescheuert? Drei Tage taz-Workshop und die versaue ich mir damit, wach bleiben zu wollen, sprich: totmüde zu sein?!
2.30 Uhr, Partyende: Ich bin nüchtern und wach. Beste Vorraussetzung, um jetzt durchzustarten. Leider sehe nur ich das so. Die letzten Partygäste gehen nach Hause und flöten mir grinsend „Gute Nacht“ hinterher. Macht mir nichts aus, ich halte durch. Scheitern kommt nicht in Frage. Nicht jetzt. Ich schwing mich auf mein Rad und fahre durch Kreuzberg.
3 Uhr, Oranienstraße: Leer gefegt. Berlin, was ist los? Lass mich nicht im Stich! Ich lande in einer Schwulenkneipe, in der viel getanzt und gekuschelt wird. Patti Smith brüllt „Because the night“ aus den Boxen. Die Freunde, die ich hoffe, hier zu treffen sind nicht da. Stattdessen lerne ich an der Bar zwei Amerikaner kennen. Sie sind zum Feiern in der Stadt, aber enttäuscht, dass Donnerstagnacht Ebbe ist. Wie wahr! Auf dem Weg zum Klo stellt sich mir ein Typ in den Weg und erzählt irgendwas mit: „Ist nicht deine Party und bevor ich die anderen Pussys hier umbringe, bring ich dich um.“ Hä? Ich will doch bloß durchmachen. Die Amis sind mittlerweile eh mit sich beschäftigt, also suche ich die Tür.
4 Uhr, Kottbusser Tor: Auf türkische Gemüsehändler ist Verlass. Der Vitaminstand am Kotti ist tatsächlich 24 Stunden geöffnet. Hier ist‘s warm, der Verkäufer nett. Bananen gehen nachts besonders gut, sagt er. Warum, weiß er nicht. Dann stolpern drei betrunkene Engländerinnen an den Stand und kaufen Bananen.
5 Uhr, zu Hause: Jetzt wird’s kritisch. Jetzt ja nicht gemütlich machen. Mein Bett sieht so verführerisch aus. Warm und weich. Ich könnte ja …, vielleicht nur 20 Minuten …?! Nein. Eine Flasche Club Mate Cola rettet mich vor‘m Bett: Mate und Koffein. EKELHAFT! Ich surfe im Internet und döse dabei immer wieder ein. Sekundenschlaf ist kein Regelbruch, befinde ich.
6 Uhr, in meiner Küche: Ich kann nicht länger sitzen. Der Durchschnittsdeutsche würde jetzt einen Kaffee trinken. Schmeckt mir leider nicht. Also greife ich zu Koffein in kompresster Form: Eine halbe Tablette, das sind 100 mg Koffein. Das entspricht ungefähr einer Tasse Kaffee. Für mich, als Nicht-Kaffee-Trinkerin, ist das eine ordentliche Dosis.
7 Uhr, in meinem Zimmer: Unangenehm wach. Knie weich, Herz rast. Wieso wollte ich dieses Experiment noch mal machen?
9 Uhr, Rudi-Dutschke-Straße: Workshopstart. Ich werde empfangen mit „Und, hast du durchgehalten?“. Es geht mir bestens.
12 Uhr: Club Mate Cola Nummer zwei. Nicht mehr ganz so eklig, dafür aber hilfreich. Ein Euphorieschub fährt durch meinen Körper. Der perfekte Zeitpunkt, sich der Abendplanung zu widmen. Ich nutze die maximale Reichweite von Facebook und poste da einen Hilferuf: Ich brauche Leute, die mit mir feiern gehen! Das Wort Party beflügelt die Kreativität meiner Freunde: WG-Party, Electro, Tanzen, Berghain. Klingt hervorragend.
16 Uhr: Jetzt kommt das Loch. Das schlimmste bisher. Wir sitzen zu dritt in einer Runde und diskutieren ein Thema. Ich will mich konzentrieren, aber die Worte fliegen an mir vorbei. Ich hechte ihnen gedanklich hinter her, bin aber viel zu langsam. Bis ich verstanden habe, worum es geht, sind meine Gesprächspartner schon beim nächsten Thema. Ob sie mir ansehen, dass ich ausgestiegen bin? Die Worte um mich herum verschwimmen zu einer dumpfen Geräuschwolke und die Buchstaben auf dem Bildschirm laufen ineinander. Mir ist ganz schwindlig und kalt. Wenn ich die Augen schließe, dreht sich alles. Ich fühl mich wie besoffen. Oder wie mit 40 Fieber.