Auch letzten Montag kam für die existenzbedrohten Milchbauern Europas aus Brüssel nichts Neues: Nachdenken und verhandeln will man weiter, zusätzliches Geld von der EU gibt es nicht. Eine Initiative, die den Erzeugern eine bessere Verhandlungsposition gegenüber ihren hoch konzentrierten Abnehmern schaffen soll, wird von 7 Mitgliedstaaten fürs Erste abgeblockt. Das Bauernsterben geht weiter. Im Kern hat sich nichts bewegt. Dieser Kern heisst: Weniger oder mehr?
Am vergangenen Freitag führte dieser Streit um des Pudels Kern zu einem ungewohnten Auftritt: Bauer gegen Bauer vor Kanzlerin und Agrarministerin. Während der Chef des deutschen Bauernverbandes Sonnleitner im Wesentlichen Massnahmen zur Erhöhung des Absatzes und mehr öffentliche Förderung der Produktion fordert, will sein Rivale, der Präsident des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter, Romuald Schaber eine Begrenzung der Produktion auf das tatsächlich nachgefragte Mass erreichen und legt Konzepte vor, wie dies von den Bauern auf freiwilliger Basis ins Werk zu setzen ist.
Dahinter stecken unterschiedliche Zukunftskonzepte für die Landwirtschaft von wegweisender Bedeutung, weit über den Milchsektor hinaus. Während Sonnleitner mit der ihm eigenen Routine alte Wachstums-Forderungen nach immer mehr und immer grösser vertritt, steht Schaber für eine neue Philosophie: Genug ist am Besten für alle:
- für die Bauern, die mit einem festen Absatz rechnen können,
- für die Konsumenten, deren Überkonsum nicht mit allerlei „Absatzförderung“ noch weiter forciert werden sollte,
- für die Steuerzahler, die keine zusätzlichen Subventionen berappen müssen,
- für die Landwirtschaft von Entwicklungsländern, die nicht von hochsubventionierten Milchexporten aus Europa niederkonkurriert werden
- für den Planeten, dem eine weitere Steigerung der Überproduktion keine zusätzliche C02-, Methan-, Dünger-, Pestizidproduktion zumutet, die einer gesunden Ernährung der Menschheit eher schadet als nützt.
- Und selbst den Kühen ginge es besser: Mehr Weide, weniger Kraftfutter und, mit etwas gutem Willen und zusätzlichen Anreizen, sogar eine Züchtung, die nicht mit Gewalt das allerletzte aus dem Vieh herauspresst und es dabei zur krankheitsanfälligen, gestressten und kurzlebigen Milchmaschine degradiert. Gesündere, bessere Milch von glücklicheren Kühen.
Derzeit produzieren deutsche Milchbauern etwa 120% der im Lande verbrauchten Milchmengen, 20% der gesamten Milch in der EU. Mehr noch als in Frankreich oder Italien handelt es sich dabei meist um reinen Rohstoff. Besondere Qualität, regionale Spezialität oder ökologische Vorteile gehen – vom Biomarkt einmal abgesehen – in den riesigen Milchtanks der Molkereien mehr und mehr unter. Verbesserungen hier könnten zwar den Wert, nicht aber deshalb auch die abgesetzten Mengen steigern. Ein gnadenloser Konkurrenzkampf bei Molkereien und Verarbeitern läßt freilich wenig Platz für kleinteilige Experimente. Mehr Milch führt so zu weniger Ertrag pro Liter. Ausnahmen bestätigen die Regel und zeigen gleichzeitig deren Widersinn auf.
Der v.a. mit der Molkereiwirtschaft verfilzte Bauernverband ist an dieser Misere nicht unbeteiligt. Dementsprechend vehement setzt er sich für die Anfang des Jahres wieder eingeführten Exportsubventionen für Milchprodukte und für einen „freien Milchmarkt“ ein, auf dem letztlich nur die größten und rationalisiertesten Betriebe überleben können und dabei das Gros der öffentlichen Förderung absahnen, die doch eigentlich nur dann Sinn macht, wo sie Umwelt und Kultur erhält. Um seine Wachstums-Milchmädchenrechnung aufrecht zu erhalten, forderte er gar, Prämien für die Schlachtung von Kühen zu zahlen, die kleinere Bauern zum Ausstieg bewegen sollten.
Dass Gerhard Sonnleitner am Montag als Ko-Präsident des Europäischen Bauernverbandes COPA/COGECA bei der Demonstration der Milchbauern in Brüssel unter dem Motto „unser grösster Gegner ist unser eigener Bauernverband“ von Landwirten mit Kastanien, Eieren und sogar einer Mistgabel beworfen wurde, zeigt eine neue, sicherlich nicht schöne Qualität der Auseinandersetzung an. Wie wenig er auf die Attacke reagierte zeigt vielleicht auch, wie bewußt ihm ist, dass er die Kontrolle über die Wut „seiner“ Bauern praktisch verloren hat.
Für den Bauernverband, der seit Jahrzehnten die Interessen der grossen Landwirtschaftsbetriebe unter dem Uraltmotte „wachse oder weiche“ bedient, dies aber nur kann, weil der als legitimer Vertreter aller Bauern auftritt ist das Entstehen und der Zuspruch zu einer Konkurrenzorganisation, der Bundesverband Deutscher Milchviehalter und dessen Europäischer Zusammenschluss „European Milkboard“ ein politischer GAU. Zusammen mit Schaber zur Kanzlerin gehen zu müssen, wäre für Sonnleitner noch vor Kurzem undenkbar gewesen. Entsprechend nachdrücklich wird er die neue Bundesregierung (DBV: „Dreiviertel der Landwirte wählten schwaz-gelb“) auf seinen bisherigen Wachstumskurs einschwören. Die CSU hat er dabei bereits verloren: Bäuerliche Landwirtschaft will sie in den Verhandlungen vertreten. Doch auch innerhalb des Verbandes beginnt es zu rumoren. Das muß keineswegs der Anfang vom Ende des (für Europa eher untypischen) Einheitsverbandes sein, sondern könnte auch zu Umdenken in den Reihen des DBV führen.
Ob das gelingt, hängt wesentlich vom Druck der Kundschaft ab: Je nachdrücklicher sie nach der Art und Weise fragt zu welchen öffentlichen und Umweltkosten und wie ihre Milch, ihr Fleisch und ihr Gemüse hergestellt werden, desto schneller werden auch Bauernfunktionäre sich diese Frage ernsthaft stellen und seine bisherigen Milchmädchenrechnungen nochmal nachrechnen.
Siehe auch Gastkommentar von Hannes Lorenzen
P.S.
Hier noch ein passendes Plakat zur Lage, herausgegeben der Bayrischen Fleckvieh-Besamungsstation München-Grub e.V.
gibt es auch als pdf