vonannette hauschild 15.02.2010

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Vorletzte Woche zelebrierte Chefankläger Volker Brinkmann mit seinen Mitstreitern Ralf Setton und Cornelia Zacharias den Höhepunkt von mindestens 2 Jahren Ermittlungsarbeit. In epischer Breite und mit wahrhaft erzählerischem Talent (des Bundesanwalts Ralf Setton) wurden die Ergebnisse des Mammut-Prozesses aus Sicht der Anklage fast zwei Sitzungstage lang vor den Zuhörern  ausgebreitet. Brinkmann sprach von „ungeheurem Massenmord“, den drei der  vier Angeklagten vorgehabt hätten. Sie hätten mindestens 150 Kg Sprengstoff für jeden herstellen wollen. Fritz G. und Adem Y. hätten sich, einem abgehörten Gespräch zufolge, sogar regelrecht auf das Blutbad gefreut.

 Wenn das so war, dann frage ich mich allerdings, warum die Ermittler so lange zugeschaut haben. Die Gruppe hat in den letzten Monaten vor dem Zugriff im Fereinhaus praktisch keinen Schritt mehr ohne Überwachung tun können. Warum wurde nicht  früher eingegriffen, z.B. bei dem Austausch der H2O2-Vorräte durch die Polizei? Bundesanwalt Brinkmann war, wie er selber sagte, am 27 Juni 2007, dem Tag, als er von der Anschaffung der Kanister mit der Flüssogkleit erfahren hatte, „von den Dimensionen des geplanten Anschlags erschrocken“ gewesen.   Wenn den Ermittlern allerdings damals schon relativ klar war, was geplant war, warum erfolgte dann der Zugriff erst fast zwei Monate später mit einem Riesenaufgebot an BKA und Polizei während der Herstellung des Sprengstoffes im Ferienhaus?

Die Vier seien von der IJU entsandt worden, um Anschläge in Deutschland zu begehen, so der Chefankläger. Diese sollten in zeitlichem Zusammenhang mit der Bundestagsentscheidung über den Afghanistaneinsatz stehen und darauf abzielen, Deutschland zum Rückzug  zu bewegen. Er sprach in diesem Zusammenhang von der Nötigung von Verfassungsorganen und holte die Erinnerung an die Taten der RAF und der Bewegung 2. Juni hervor: die Entführung von Peter Lorenz und Hans-Martin Schleyer, die Entführung der Lufthansa-Maschine und die Geschehnisse in Mogadishu. Nur in einem Fall (Peter Lorenz) habe der Staat der Erpressung nachgegeben. Und der Staat werde sich nicht mehr erpressen lassen.

Er vergaß dabei, dass der Bundestag keine Regierung ist und sensibler auf Stimmungen des Volkes reagieren kann als das Kabinett.

Die Taten der vier seien durch islamistische Verblendung motiviert gewesen, sagte Brinkmann. Sie hätten vorgehabt, je drei Autobomben mit 150 kg Sprengstoff zu bauen und damit von US-Amerikanischen Soldaten besuchte Diskotheken oder auch Kasernen in die Luft zu sprengen. Dass die Tatmittel dafür untauglich gewesen seien spiele keine Rolle – die Ermittler hatten die 35-prozentige Wasserstoffperoxid-Lösung unbemerkt gegen eine ungefährliche Lösung von 3,5 Prozent ausgetauscht und die Zünder, die der türkische V-Mann Mevlüt K lieferte, waren bis auf einige wenige alle unbrauchbar, einige davon waren sogar nur Übungsmaterial. Absicht oder Zufall? frage ich mich.  Jedenfalls meinte Bundesanwalt Brinkmann, die Untauglichkeit der Tatmittel tue nichts zur Sache. Es sei trotzdem versuchter Mord, denn die Vier hätten ja nicht gewußt, dass sie damit KEINE Sprengung herbeiführen konnten.

Er ging auch auf die umfangreichen Geständnisse der Angeklagten ein.

Das Gericht hatte zu Prozessbeginn erklärt, dass Geständnisse das auf zwei Jahre angesetzte Mammut-Verfahren nicht nur erheblich verkürzen würden, sondern u. U. auch strafmindernd wirken könnten. Kurz darauf wurde ein Kassiber von Daniel Sch. an Adem Y. abgefangen, in dem dieser sein grundsätzliches Einverständnis erklärte, aber nur wenn die anderen mitzögen. Und dann einigten sich die Angeklagten darauf, dass sie alle gestehen wollten, und der Prozess wurde für die Aufnahme der Geständnisse beim BKA für einige Wochen unterbrochen. Das ist, so weit ich weiß, ein Novum in der deutschen Juristerei.

Bundesanwalt Brinkmann verkürzte sich die Motive  so: Sie hätten die erdrückende Beweislast erkannt und es sei ihnen wohl peinlich gewesen, weitere Abhörprotokolle  anzuhören und sich selbst bei der Planung von Anschlägen zuzuhören. Wenn das in die Öffentlichkeit käme, was sie da gesagt hätten, … Und dann: „Selbst der härteste Gotteskrieger will nicht im Gefängnis sitzen und den Jihad an sich vorbeiziehn lassen wollen.“

Seine Strafforderung: für Fritz G., den „Emir“ der Gruppe, 12 Jahre 6 Monate, für Adem Y. 11 Jahre 6 Monate, für Atilla S.  5 Jahre 6 Monate und für Daniel Sch 13 Jahre  ( wegen des Mordversuchs an einem Polizisten). Atilla S’s Haft in der Türkei soll im Verhältnis 1:1,3 angerechnet werden.

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