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Ada weiß, dass sie wach ist. Sie spürt ihren Körper. Seine Wärme ist wie von einer Muschel umschlossen. Im Rücken fühlt sie die bekannte Ritze zwischen den zwei Matratzenteilen, die sie manchmal am Einschlafen hindert. Um die Füße ist während des Schlafs ein kleiner Hohlraum entstanden. Ada knickt die Zehen und richtet sie wieder auf. Vielleicht acht Uhr, denkt sie, höchsten halb neun.
Adas Kopf liegt schwer im Kissen. Hinter ihren fest geschlossenen Augen ist die Welt der Bilder in Bewegung. Es sind die letzten dunklen Traumbilder, die unter dem Zugriff der Erinnerung langsam erstarren. Ein Hund im Schwimmbad. Welcher Hund? Jockel ist wieder klein. Er soll nicht ins tiefe Wasser gehen. Und doch ist er weg. Sie kann ihn nicht finden. Aber der Hund ist da. Welcher Hund denn bloß? Und warum ist das Wasser so dunkel? Jemand spricht sie von hinten an.
Die Bilder vom letzten Tag steigen wie lichte Frühnebel über den Traumszenen auf. Der Sonnenschein in der Stadt, das Café. Wie sie den Zucker aus der Verpackung geschält hat, erst ein Stück, dann das andere auch noch, weil es doch schön ist, wenn es süß ist. Dann war kein Löffel da, sie hat ihn unter den Karten und Plänen gesucht, die auf dem Tisch ausgebreitet waren. Es gab keinen Löffel. Weiß das die Kellnerin? Wird die Kellnerin denken, sie hätte ihn eingesteckt? Adas Körper erinnert sich an die Empfindung der Verlegenheit, und auch an die Scham, sich mit solchen lächerlichen Kleinigkeiten überhaupt zu beschäftigen. Der Zorn darüber hat ihr geholfen, sich zu befreien. Sie hat den Espresso in der kleinen Tasse geschwenkt und genossen, dass er Schluck für Schluck immer zuckriger wurde. Ada spürt den cremig-süßen Kaffeerest noch jetzt im Mund.
Die Szenen, die aufscheinen und verblassen, werden von Gedanken in Besitz genommen, die dem Schauen ein Ende machen. Der Raum hinter Adas geschlossenen Augen wird zum Aufmarschplatz, auf dem Meldungen und Befehle hin und her gehen und mit Fußgetrappel Aufstellungen verändert werden. Ada sieht sich eine Weile zu, wie sie bewertet, neue Vorsätze fasst und Pläne macht. Dann lächelt sie sich mit der Innenseite ihres Gesichts zu. Ist ja gut. Wird schon. Nicht so streng heute! Das Wort „Kontingenz“ kommt ihr in den Sinn und wird zum Bild. Ein prunkvolles Brokatkissen, dessen ausgeblichenes Muster eine luxuriöse, schwer zugängliche Beschreibungsformel darstellt. Wie schön ist der Überfluss!
Ada ist wach, doch noch nicht in der Welt. Gestern ist vorbei. Heute ist noch nicht da. Alles ist noch möglich. Wenn es regnet, schreibe ich den Brief. Wenn es bewölkt ist, aber nicht regnet, fahre ich in die Stadt. Wenn die Sonne scheint, mache ich die Wanderung.
Die Wanderung. Ada sieht die Schlucht, die auf der Karte aus dichter werdenden roten Linien besteht. Sie sieht die Dunkelheit in den enger werdenden Zwischenräumen. Sie muss ja nicht dahin gehen. Sie kann zuhause bleiben, auch wenn es nicht regnet. Aber: aufgestellte Pläne sollst du nicht verändern! Oder anders gesagt: Zu viel Freiheit macht doch nur verzweifelt!
Regnet es denn nun eigentlich oder nicht? Ada öffnet die Augen. Die Entscheidung ist nicht rückgängig zu machen. Aber sie sieht nicht aus dem Fenster. Sie weiß, dass hinter dem kahlen Baum der Himmel ist – entweder grau oder blau. Ihr Blick gleitet die Wand entlang. Er sucht das Bild der Nacht, das verschwimmende Aquarell an der Wand hinter ihr, wenn das orangefarbene Licht der Straßenlaterne, gebrochen durch die Zweige der Platane und aufgeteilt durch das Fensterkreuz, ins Zimmer fällt. Das nächtliche Schattenspiel ist im Weiß der Wand verschwunden. Draußen ist es hell, hinter den Zweigen ist es blau. Irgendwo muss die Sonne scheinen.