Der Abbau von Kassiterit (Zinnerz) durch Schürfer in den Kivu-Provinzen Ostkongos wird international oft negativ bewertet, weil dadurch Kriegsparteien finanziert und Bergleute brutal ausgebeutet werden sollen. Immer wieder gibt es daher Forderungen nach dem Verbot des Handels mit Ostkongos Mineralien. Die Realität ist oftmals eine andere, wie ein Untersuchungsbericht der in Bukavu ansässigen kongolesischen Organisation OGP (Observatoire Gouvernance et Paix) zeigt. Sie befragte vom 1. November bis 15. Dezember 2007 die Bergleute in den Minen von Nyabibwe nahe des Kivu-Sees an der Grenze zwischen Süd- und Nord-Kivu, wo Kassiterit abgebaut wird, sowie in mehreren Goldminen Südkivus. Hier die Teile zu Nyabibwe aus dem vorläufigen Bericht, den OGP danach verbreitete.
„Der durchschnittliche Kassiterit-Bergmann von Nyabibwe hat ein Monatseinkommen von 100 bis 300 US-Dollar. Davon gehen 0% in Arbeitsmaterial, 19% in Lebensmittel, 10% in Kleidung, 0% in Behausung, 26% in Familienausgaben, 10% in Freizeitausgaben und 35% in Ersparnis/Investition wie die Solidaritätskette „Likirimba“ oder „Ristourne“ oder die Landwirtschaft, die Viehzucht und der Kleinhandel. Dies erklärt sich daraus, daß die Bergleute von Nyabibwe zumeist aus dem Distrikt Kalehe stammen, wo ihre biologische Familie wohnt, und wohin sie nach der Arbeit in den Gruben zurückkehren. Sie haben auch die Gewohnheit, ihre Haupttätigkeit als Bergmann mit Nebentätigkeiten zu verbinden, etwa Landwirtschaft und Viehzucht, oder ein kleiner Laden oder eine kleine Schlächterei.
Bei unserem Besuch in Nyabibwe besuchte wir drei Läden und vier Schlächtereien im Besitz von Bergleuten, die sehr gut laufen. Andere sagten uns, sie hätten Ackerland und Großvieh im Hochland von Shanje und Numbi, wo sie den Anbau von Kartoffeln, Bohnen und Mais mit der Aufzucht von Rindern, Ziegen und Schafen verbinden. Weiterhin bemerkten wir, daß alle Bergleute von Nyabibwe PDGs (Managern) unterstehen, denen die Gruben gehören, die alle Kosten der Ausbeutung tragen und im Gegenzug die gesamte Produktion kontrollieren. Unsere Befürchtung ist, daß diese Abhängigkeit die existierenden Solidaritätsinitiativen konterkarieren könnte.
Diese Initiativen funktionieren wie folgt. Die Kassiterit-Bergleute von Nyabibwe sind in Gruppen von 10 organisiert, und jedes Gruppenmitglied zahlt alle 15 Tage 50 US-Dollar ein. Die Gesamtsumme, also rund 500 US-Dollar, wird im Rotationsprinzip jeweils an ein Mitglied ausgezahlt. Somit bekommen jeden Monat zwei Gruppenmitglieder dieses Geld.
Dieses System heißt „Likirimba“ oder „Ristourne“, funktioniert normal und dient als Unterstützung für eine ziemlich harte Arbeit und ein relativ geringes Einkommen für die Bergleute von Nyabibwe in Kalehe.
Die Bergleute von Nyabibwe nennen diverse juristische Schwierigkeiten. Nach ihnen Angaben streiten sich mehrere Unternehmen (Shamika, Sakima…) um die Bergwerke, in denen sie seit langem (20 Jahre) arbeiten, und dies könnte die beschriebene Solidaritätskette stören, denn für diese braucht es ein stetiges Einkommen. Wir stellen fest, daß die Schürfer eine ungewisse Zukunft haben, denn alle informellen Bergbaustätten sind bereits an große Unternehmen vergeben, die bereits über Titel verfügen. Die Befürchtung ist, daß diese Unternehmen über die Bergleute verfügen könnten, ohne deren Interessen zu berücksichtigen.
Was den Zugang zu Krediten angeht, haben die Bergleute von Nyabibwe den Vorteil einer Spar-, Kredit- und Überweisungsinitiative, organisiert von der Adventistischen Kirche, für die sie sich selbst sensibilisieren um dort massiv einzutreten. Sie geben sogar an, daß manche unter ihnen Kassiterit nach Goma und Bukavu schicken und ihr Geld über diese Struktur der Adventisten erhalten. Wir haben bereits auf ihren Unternehmergeist hingewiesen, denn ihr Einkommen fließt zum Teil direkt in das Likirimba-System, was trotz einiger Unzulänglichkeiten Vorteilt bringt. Manche Bergleute stecken das Geld, das sie dort ausgezahlt bekommen, sofort in Ackerbau, Viehzucht, Kleinhandel oder Schlächterei.
Die Bergleute von Nyabibwe haben auch große organisatorische Fortschritte gemacht, indem sie sich als Gewerkschaft (Syndicat de Défense des Intérets des Artisans Miniers de Kalehe) organisiert haben. Diese Organisation ist aus ihrer Eigeninititative entstanden, als sie sich wiederholt von großen Unternehmen, die sich um ihr Gelände stritten, bedroht sahen. Mehrmals sind sie aus dem Bergwerk Kalimibi verjagt worden, in wilder Manier mit allen Nachteilen bis hin zur Destabilisierung ihrer Familien. Daraus erwächst die Notwendigkeit, sich zu organisieren.
Diese Gewerkschaft organisiert das Likirimba-System, führt regelmäßige Treffen zwecks Erarbeitung von Forderungskatalogen gegenüber den Behörden durch und verjagt die Angestellten des Unternehmens Shamika aus Goma, die sich illegal in Kalimbi niederlassen und die Bergleute in abhängige Tagelöhner verwandeln wollen.
Ihre Schwierigkeiten sind
– fehlende Kapazitäten an der Basis, um Informationen zu erhalten;
– fehlende amtliche Dokumente, die sie als rechtmäßige Schürfer in Kalimbi anerkennen;
– fehlende technische Ausstattung zur Förderung von Kassiterit;
– veraltetes Arbeitsmaterial;
– Nichtexistenz medizinischer Versorgung im Falle von Unfall oder Krankheit;
– mangelndes Kapital zur Verbesserung der Förderung;
– illegale und überzogene Steuern.“